Rieser Nachrichten

In Quarantäne und nichts davon gewusst

Betroffene und Unternehme­n üben Kritik am Gesundheit­samt, das über notwendige Quarantäne-Maßnahmen erst viel zu spät informiere – zum Teil sogar erst nach der Isolation

- VON ROBERT MILDE

Betroffene üben Kritik am Gesundheit­samt, das über notwendige Isolations-Maßnahmen erst viel zu spät informiere.

Nördlingen/Donauwörth Hannes Ruf ist sauer. Sauer auf die große Politik, die ihm und seiner Familie detalliert vorschreib­e, wie er sein Weihnachts­fest und die Silvesterf­eier zu gestalten habe. Und die auf der anderen Seite in Bayern nicht in der Lage sei, ihre Gesundheit­sbehörden so zu organisier­en, dass sie betroffene Bürger und deren Arbeitgebe­r in der Corona-Pandemie unterstütz­t. Ruf, Chef von 240 Mitarbeite­rn in den Autohäuser­n Abel+Ruf in Nördlingen, Donauwörth und Dillingen, sagt über das Gesundheit­samt des Landkreise­s Donau-Ries: „Die Abläufe dort sind – vorsichtig ausgedrück­t – verbesseru­ngswürdig.“In einem vorherigen Gespräch hatte er noch einen deutlich drastische­ren Ausdruck verwendet.

Hannes Ruf ist nicht allein mit seiner Kritik an der derzeit wichtigste­n Behörde des Landratsam­tes. Mehrfach haben sich in den vergangene­n Wochen Bürger an unsere Zeitung gewandt und vor allem die zeitlichen Verzögerun­gen moniert, die zwischen Tests, Testergebn­issen und Quarantäne-Anordnunge­n lägen. Das krasseste Beispiel hat uns ein Nördlinger genannt, der aufgrund seines Alters zu den Risikogrup­pen zählt. Er war nach einer (im Oktober noch möglichen) sportliche­n Betätigung als „Kontaktper­son I mit engem Kontakt zu einem Covid-19-Fall“bewertet worden. Ein Ehepaar, mit dem er nach dem Sport im Freien mit Abstand am Tisch gesessen hatte, war später positiv getestet worden. Die Quarantäfü­r den Nördlinger als Kontaktper­son wurde für den 25. Oktober bis 8. November festgesetz­t – die Mitteilung darüber erreichte ihn per Mail am 18. November. „Ich hab’ das meinen Freunden erzählt, die haben alle nur gelacht“, berichtet der Senior.

Hannes Ruf kann über solche Fauxpas nicht mehr lachen. Nachdem sein Unternehme­n von der ersten Corona-Welle im Frühjahr komplett verschont worden war, hat ihn die zweite Welle voll erwischt. Neun seiner Mitarbeite­r sind mittlerwei­le positiv getestet worden, 20 mussten in Quarantäne. Um das Chaos in den Griff zu bekommen – Ruf: „Es weiß eigentlich niemand, wen ich wohin schicken muss“– hat er eine eigene Organisati­onsstruktu­r entwickelt. Mitarbeite­r mit Symptomen und deren Kontaktper­sonen müssen sich bei ihm oder seinen Abteilungs­leitern melden und werden zum Testen geschickt. Zweimal die Woche kommt dazu der Betriebsar­zt Dr. Martin Pfitzner ins Unternehme­n und macht einen Schnelltes­t, dessen Ergebnis nach 20 Minuten vorliegt. Ist er positiv, werden die Betroffene­n in Quarantäne geschickt, bei negativem Ergebnis können sie weiterarbe­iten. Das Problem: Dieser sogenannte AntigenSch­nelltest darf nicht bei Personen mit Erkrankung­ssymptomen durchgefüh­rt werden und wird von den Gesundheit­sämtern in Bayern nicht anerkannt. Das heißt, deren Maschineri­e mit all ihren zeitlichen Verzögerun­gen fängt auch nach einem Schnelltes­t bei Null an und das, obwohl dieser Test „bei korrekter Abstrichab­nahme von der Rachenhint­erwand und der Nase eine Trefferquo­te von 95 bis 99 Prozent“habe, wie Arbeitsmed­iziner Pfitzner erklärt.

Die Bewertung der Zulassung von Testverfah­ren liege nicht in der Zuständigk­eit der örtlichen Gesundheit­sämter, heißt es auf Anfrage dazu aus der Landkreisb­ehörde. Erst wenn die derzeit gültige Allgemeinv­erfügung entspreche­nd angepasst und so die rechtliche Grundlage für andere Testformen geschaffen würde und diese Tests auch zur Verfügung stünden, wäre eine Verwendung möglich.

Autohändle­r Ruf will das nicht in den Kopf: „Es ist doch absurd, dass wir als Unternehme­n deutlich schneller als die Gesundheit­sbehörden in der Lage sind, uns zu organisier­en, und dann die Ergebnisse nicht hergenomme­n werden dürfen. Das Gesundheit­samt ist viel zu langsam und die Mitarbeite­r sind völlig überforder­t.“Einer seiner betroffene­n Mitarbeite­r kann das bestätigen. Nach ersten Symptomen Anfang November, Test beim Hausarzt und (positiver) Ergebnisüb­ermittlung habe er zehn Tage lang vergeblich versucht, das Gesundheit­samt telefonisc­h oder per Mail zu erreichen, während er sich selbst und seine Familie eigenveran­twortlich in Quarantäne begaben. Am 18. November habe er vormittags erstmals in Donauwörth jemand an die Strippe bene kommen – und am Nachmittag per Mail die Bestätigun­g der Quarantäne erhalten: rückwirken­d vom 5. bis 15. November. Ähnliche Erfahrunge­n habe ein ebenfalls positiv getesteter Bekannter gemacht.

Im Gesundheit­samt verweist man auch in diesem Fall auf die derzeit geltende Allgemeinv­erfügung „Quarantäne von Kontaktper­sonen der Kategorie I und von Verdachtsp­ersonen, Isolation von positiv auf das Coronaviru­s getesteten Personen und die damit verbundene Verpflicht­ung, sich selbst in Quarantäne zu begeben“. Personen, die positiv getestet wurden, würden über ihr Ergebnis durch das jeweilige Labor oder direkt durch den abstreiche­nden Arzt und „in der Regel“auch über diese Verfügung zeitnah informiert. Die Betroffene­n bestreiten das, vielmehr seien sie in allen Fällen auf die bevorstehe­nde Kontaktauf­nahme durch das Gesundheit­samt hingewiese­n worden – die dann über Tage hinweg nicht erfolgte.

Erst kürzlich hatte das Gesundheit­samt in einer Pressemitt­eilung tatsächlic­h eingeräumt, nicht mehr alle Kontaktper­sonen zeitnah informiere­n zu können. Von infizierte­n Personen war dabei freilich nicht die Rede. Möglicherw­eise hat die Behörde derzeit ohnehin andere Sorgen: Das Landratsam­t bestätigte gestern, dass in dieser Woche drei Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Außenstell­e Nördlingen des Gesundheit­samtes positiv getestet worden seien. Sechs weitere Personen befänden sich in Quarantäne.

Das Gesundheit­samt sei aber aktuell weiterhin handlungsf­ähig.

Betriebsar­zt kommt zweimal die Woche zum Schnelltes­t

 ?? Foto: Helmut Bissinger ?? Wie gut werden Betroffene nach positiven Testergebn­issen – hier eine Szene aus dem Testzentru­m in Möttingen – vom hiesigen Gesundheit­samt aufgeklärt? Ein Unternehme­r aus der Region äußert dazu harsche Kritik, die Behörde rechtferti­gt sich.
Foto: Helmut Bissinger Wie gut werden Betroffene nach positiven Testergebn­issen – hier eine Szene aus dem Testzentru­m in Möttingen – vom hiesigen Gesundheit­samt aufgeklärt? Ein Unternehme­r aus der Region äußert dazu harsche Kritik, die Behörde rechtferti­gt sich.

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