In Quarantäne und nichts davon gewusst
Betroffene und Unternehmen üben Kritik am Gesundheitsamt, das über notwendige Quarantäne-Maßnahmen erst viel zu spät informiere – zum Teil sogar erst nach der Isolation
Betroffene üben Kritik am Gesundheitsamt, das über notwendige Isolations-Maßnahmen erst viel zu spät informiere.
Nördlingen/Donauwörth Hannes Ruf ist sauer. Sauer auf die große Politik, die ihm und seiner Familie detalliert vorschreibe, wie er sein Weihnachtsfest und die Silvesterfeier zu gestalten habe. Und die auf der anderen Seite in Bayern nicht in der Lage sei, ihre Gesundheitsbehörden so zu organisieren, dass sie betroffene Bürger und deren Arbeitgeber in der Corona-Pandemie unterstützt. Ruf, Chef von 240 Mitarbeitern in den Autohäusern Abel+Ruf in Nördlingen, Donauwörth und Dillingen, sagt über das Gesundheitsamt des Landkreises Donau-Ries: „Die Abläufe dort sind – vorsichtig ausgedrückt – verbesserungswürdig.“In einem vorherigen Gespräch hatte er noch einen deutlich drastischeren Ausdruck verwendet.
Hannes Ruf ist nicht allein mit seiner Kritik an der derzeit wichtigsten Behörde des Landratsamtes. Mehrfach haben sich in den vergangenen Wochen Bürger an unsere Zeitung gewandt und vor allem die zeitlichen Verzögerungen moniert, die zwischen Tests, Testergebnissen und Quarantäne-Anordnungen lägen. Das krasseste Beispiel hat uns ein Nördlinger genannt, der aufgrund seines Alters zu den Risikogruppen zählt. Er war nach einer (im Oktober noch möglichen) sportlichen Betätigung als „Kontaktperson I mit engem Kontakt zu einem Covid-19-Fall“bewertet worden. Ein Ehepaar, mit dem er nach dem Sport im Freien mit Abstand am Tisch gesessen hatte, war später positiv getestet worden. Die Quarantäfür den Nördlinger als Kontaktperson wurde für den 25. Oktober bis 8. November festgesetzt – die Mitteilung darüber erreichte ihn per Mail am 18. November. „Ich hab’ das meinen Freunden erzählt, die haben alle nur gelacht“, berichtet der Senior.
Hannes Ruf kann über solche Fauxpas nicht mehr lachen. Nachdem sein Unternehmen von der ersten Corona-Welle im Frühjahr komplett verschont worden war, hat ihn die zweite Welle voll erwischt. Neun seiner Mitarbeiter sind mittlerweile positiv getestet worden, 20 mussten in Quarantäne. Um das Chaos in den Griff zu bekommen – Ruf: „Es weiß eigentlich niemand, wen ich wohin schicken muss“– hat er eine eigene Organisationsstruktur entwickelt. Mitarbeiter mit Symptomen und deren Kontaktpersonen müssen sich bei ihm oder seinen Abteilungsleitern melden und werden zum Testen geschickt. Zweimal die Woche kommt dazu der Betriebsarzt Dr. Martin Pfitzner ins Unternehmen und macht einen Schnelltest, dessen Ergebnis nach 20 Minuten vorliegt. Ist er positiv, werden die Betroffenen in Quarantäne geschickt, bei negativem Ergebnis können sie weiterarbeiten. Das Problem: Dieser sogenannte AntigenSchnelltest darf nicht bei Personen mit Erkrankungssymptomen durchgeführt werden und wird von den Gesundheitsämtern in Bayern nicht anerkannt. Das heißt, deren Maschinerie mit all ihren zeitlichen Verzögerungen fängt auch nach einem Schnelltest bei Null an und das, obwohl dieser Test „bei korrekter Abstrichabnahme von der Rachenhinterwand und der Nase eine Trefferquote von 95 bis 99 Prozent“habe, wie Arbeitsmediziner Pfitzner erklärt.
Die Bewertung der Zulassung von Testverfahren liege nicht in der Zuständigkeit der örtlichen Gesundheitsämter, heißt es auf Anfrage dazu aus der Landkreisbehörde. Erst wenn die derzeit gültige Allgemeinverfügung entsprechend angepasst und so die rechtliche Grundlage für andere Testformen geschaffen würde und diese Tests auch zur Verfügung stünden, wäre eine Verwendung möglich.
Autohändler Ruf will das nicht in den Kopf: „Es ist doch absurd, dass wir als Unternehmen deutlich schneller als die Gesundheitsbehörden in der Lage sind, uns zu organisieren, und dann die Ergebnisse nicht hergenommen werden dürfen. Das Gesundheitsamt ist viel zu langsam und die Mitarbeiter sind völlig überfordert.“Einer seiner betroffenen Mitarbeiter kann das bestätigen. Nach ersten Symptomen Anfang November, Test beim Hausarzt und (positiver) Ergebnisübermittlung habe er zehn Tage lang vergeblich versucht, das Gesundheitsamt telefonisch oder per Mail zu erreichen, während er sich selbst und seine Familie eigenverantwortlich in Quarantäne begaben. Am 18. November habe er vormittags erstmals in Donauwörth jemand an die Strippe bene kommen – und am Nachmittag per Mail die Bestätigung der Quarantäne erhalten: rückwirkend vom 5. bis 15. November. Ähnliche Erfahrungen habe ein ebenfalls positiv getesteter Bekannter gemacht.
Im Gesundheitsamt verweist man auch in diesem Fall auf die derzeit geltende Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen der Kategorie I und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen und die damit verbundene Verpflichtung, sich selbst in Quarantäne zu begeben“. Personen, die positiv getestet wurden, würden über ihr Ergebnis durch das jeweilige Labor oder direkt durch den abstreichenden Arzt und „in der Regel“auch über diese Verfügung zeitnah informiert. Die Betroffenen bestreiten das, vielmehr seien sie in allen Fällen auf die bevorstehende Kontaktaufnahme durch das Gesundheitsamt hingewiesen worden – die dann über Tage hinweg nicht erfolgte.
Erst kürzlich hatte das Gesundheitsamt in einer Pressemitteilung tatsächlich eingeräumt, nicht mehr alle Kontaktpersonen zeitnah informieren zu können. Von infizierten Personen war dabei freilich nicht die Rede. Möglicherweise hat die Behörde derzeit ohnehin andere Sorgen: Das Landratsamt bestätigte gestern, dass in dieser Woche drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Außenstelle Nördlingen des Gesundheitsamtes positiv getestet worden seien. Sechs weitere Personen befänden sich in Quarantäne.
Das Gesundheitsamt sei aber aktuell weiterhin handlungsfähig.
Betriebsarzt kommt zweimal die Woche zum Schnelltest