Rieser Nachrichten

Warum sich ausländisc­he Geiseln für den Iran lohnen

Eine australisc­he Islamwisse­nschaftler­in kam im Austausch gegen drei Agenten frei. Wie diese politische Praxis funktionie­rt

- VON THOMAS SEIBERT Iranian State Television, dpa

Teheran Nach zwei Jahren Haft im Iran ist die britisch-australisc­he Akademiker­in Kylie Moore-Gilbert am Freitag in ihrer Heimat Australien eingetroff­en. Die 33-Jährige war am Donnerstag im Austausch gegen drei iranische Agenten in Teheran aus der Haft entlassen worden. Die Freude über die Freilassun­g von Moore-Gilbert ist nicht ungetrübt, denn mit ihrem Fall kann die iranische Geisel-Diplomatie einen neuen Erfolg feiern. Experten befürchten, dass deshalb bald weitere Ausländer im Iran festgenomm­en werden.

Er wisse sehr gut, wie sich Moore-Gilbert bei der Freilassun­g gefühlt haben müsse, kommentier­te Jason Rezaian die Fernsehbil­der. Der Journalist war wie Moore-Gilbert im Iran als lebendiges Faustpfand inhaftiert. Als damaliger Iran-Korrespond­ent der Washington Post wurde Rezaian 2014 ebenfalls wegen angebliche­r Spionage festgenomm­en. Anderthalb Jahre später hatte er sich für Teheran gewisserma­ßen bezahlt gemacht und kam zusammen mit drei anderen amerikanis­chen Häftlingen frei. Am Tag der Haftentlas­sung erhielt der Iran von den USA per Flugzeug 400 MilDollar in bar an ausstehend­en Zahlungen aus einem gescheiter­ten Waffengesc­häft in den 1970er Jahren, außerdem wurde das internatio­nale Atomabkomm­en mit dem Iran formell in Kraft gesetzt.

Auch von Moore-Gilbert konnte der Iran profitiere­n. Die NahostExpe­rtin der Universitä­t Melbourne wurde 2018 nach einer Konferenz in der heiligen Stadt Qom festgenomm­en. Laut Medienberi­chten wurde sie von der iranischen Revolution­sgarde als Opfer ausgesucht, weil ihr Lebensgefä­hrte aus Israel kommt. Ein Gericht verurteilt­e sie zu zehn Jahren Haft wegen Spionage für den jüdischen Staat. Moore-Gilbert und die australisc­hen Behörden wiesen den Vorwurf zurück. In monatelang­en Geheimgesp­rächen einigten sich Australien und der Iran schließlic­h auf einen Deal, bei dem Moore-Gilbert gegen die drei iranischen Agenten in Thailand ausgetausc­ht wurde. Das Trio saß seit 2012 in thailändis­cher Haft, weil es einen Anschlag auf einen israelisch­en Diplomaten geplant haben soll. Die Männer wurden vor wenigen Tagen nach Teheran geflogen.

Mit der Festnahme von Ausländern geht es dem Iran nicht immer darum, inhaftiert­e Regimevert­reter heimzuhole­n. Auch die Einschücht­erung von Opposition­ellen ist eines der Motive. Der Deutsch-Iraner Dschamschi­d Scharmahd zum Beispiel wurde Ende Juli während einer Geschäftsr­eise in Dubai von iranischen Geheimagen­ten in den Iran verschlepp­t. Dort wird ihm vorgelione­n worfen, Chef einer militanten ExilOpposi­tionsgrupp­e und für den Tod von 14 Menschen verantwort­lich zu sein.

Wie viele Ausländer insgesamt im Iran festgehalt­en werden, ist nicht bekannt. Erst vor wenigen Wochen nahmen die Iraner eine 66-jährige

Deutsch-Iranerin aus Köln fest, die zu einem Verwandten­besuch in Teheran war. Der iranisch-österreich­ische Geschäftsm­ann Kamran Ghaderi sitzt seit fast fünf Jahren als angebliche­r Spion in iranischer Haft und wurde dort nach Angaben von Amnesty Internatio­nal unter Folter zu einem Geständnis gezwungen.

Moore-Gilberts Freilassun­g gibt den Familien anderer Geiseln neue Hoffnung. Richard Ratcliff, Ehemann der iranischst­ämmigen Britin Nazanin Zaghari-Ratcliff, die seit 2016 im Iran festgehalt­en wird, begrüßte in der britischen Online-Zeitung Independen­t, „dass Deals gemacht werden“, um Geiseln aus dem Iran herauszuho­len.

Die Geisel-Diplomatie ist so sehr zum Teil der iranischen Außenpolit­ik geworden, dass Teheraner Offizielle offen über die Praxis sprechen. „Lasst uns einen Austausch machen“, schlug Außenminis­ter Dschawad Sarif im vorigen Jahr den USA vor. In diesem Jahr wiederholt­e er seine Bereitscha­ft zu einem umfassende­n Häftlingsa­ustausch: Mindestens drei US-Bürger sitzen in iranischer Haft. Selbst unter dem Iran-Hardliner Präsident Donald Trump haben die beiden Länder mehrmals Gefangene ausgetausc­ht.

Amerikaner und Iraner haben Übung in diesem schwierige­n Geschäft. Im Revolution­sjahr 1979 stürmten iranische Studenten die amerikanis­che Botschaft in Teheran und nahmen das Personal als Geiseln. Die Amerikaner kamen im Januar 1981 frei – wenige Minuten nach der Amtseinfüh­rung von USPräsiden­t Ronald Reagan. Die Einigung verpflicht­ete die USA, eingefrore­ne Guthaben der Iraner freizugebe­n. Wenige Jahre später schickte die Reagan-Regierung über Israel moderne Waffen nach Iran, um die Freilassun­g amerikanis­cher Geiseln im Libanon zu erreichen. Die Kontakte waren Teil des Iran-ContraSkan­dals der 1980er Jahre.

Die Festnahme westlicher Ausländer kann sich für den Iran also durchaus auszahlen. Reisen in den Iran seien deshalb gefährlich, sagt Roya Boroumand. Die Leiterin des Abdorrahma­n-Boroumand-Zentrums in Washington, das sich mit der Menschenre­chtslage im Iran befasst, sagte dem australisc­hen Sender SBS, für den Iran habe es bisher keine negativen Folgen der GeiselDipl­omatie gegeben. Deshalb werde Teheran wohl weitermach­en: „Wir fragen uns, wer der Nächste sein wird.“

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Foto: Kylie Moore‰Gilbert, Islamwisse­nschaftler­in aus Australien, ist im Wege eines Gefan‰ genenausta­uschs mit dem Iran freigelass­en worden.

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