„König Emmanuels“Krisen
„Gelbwesten“, Rentenreform, Corona-Lockdown, Terroranschläge und jetzt das Sicherheitsgesetz: Frankreichs Präsident verliert an Sympathien. Nun knickt die Regierung ein
die Details zuerst durchsickerten, war die Harmonie dahin. Es ging um die künftigen Grenzwerte für Pkw sowie die für Ende nächsten Jahres geplante Euro-7-Abgasnorm. Das Papier enthielt so viel technischen Unsinn, dass es den Kritikern leichtfiel, es in der Luft zu zerreißen. „Sie weiß, wie man etwas verkauft, ohne zu wissen, was sie verkaufen soll“, sagen Kritiker.
In der Coronavirus-Krise lief von der Leyen zunächst den Mitgliedstaaten hinterher. Selbst Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker bilanzierte vor wenigen Tagen mitleidig: „Man kann niemandem erklären, dass Europa grenzenlos ist, und wenn etwas passiert, werden die Grenzen wieder hochgezogen.“Von der Leyen machte erst wieder Boden gut, als ihre Behörde in die Verhandlungen mit den Pharmariesen einstieg und bis heute fast 1,5 Milliarden Impfdosen sicherte. „Sie hat sich ganz gut geschlagen“, sagte in diesen Tagen die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller.
Das wirklich „große Ding“, so der Vorsitzende der deutschen SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, Jens Geier, gelang ihr, als sie einen Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron regelrechte okkupierte und noch drauflegte. Die beiden wollten 500 Milliarden für den Wiederaufbau nach der Pandemie bereitstellen. Von der Leyen machte 750 Milliarden daraus. Und verkaufte den Erfolg einmal mehr schillernd: Das Paket aus 1,1 Billionen Euro für den Haushalt 2021 bis 2027 plus Aufbaufonds erhielt den Projektnamen „Next Generation EU“.
Aber sogar Kritiker räumen ein: „Es war nicht alles schlecht“, wie es der CDU-Europapolitiker Dennis Radtke ausdrückte. Dass Polen und Ungarn gerade das MilliardenHilfspaket der EU blockieren, kann man in der Tat nicht von der Leyen anlasten. Für ihr heutiges erstes Amtsjubiläum sei kein besonderer Auftritt geplant, hieß es gestern in Brüssel. Soll heißen: Die Präsidentin hat zu viel zu tun.
Paris Nicht nur eine Nachricht schickte Emmanuel Macron am vergangenen Freitag über Twitter ab, sondern es waren 14 und aus ihnen klang die Wut. Seit einem Tag zirkulierten die Videos aus dem Eingangsbereich eines Pariser Musikstudios im Netz, auf denen drei Polizisten minutenlang auf den wehrlosen Schwarzen Michel Zecler einprügelten. Gegen sie sowie einen vierten Kollegen, der schließlich eine Tränengasgranate in das Tonstudio warf, wurde nun Anklage erhoben. Die Vorgänge empörten die französische Öffentlichkeit, aber ganz offenkundig auch den Präsidenten. Sie seien inakzeptabel und beschämend, schrieb Macron. „Frankreich ist ein Land der Freiheit und der Ordnung.“Er erwarte von der Regierung Vorschläge, um das Vertrauensband zwischen den Franzosen und der Polizei wieder herzustellen.
Doch das Problem des verlorenen Glaubens in die staatlichen Institutionen betrifft auch und gerade: ihn selbst. Macron steht massiv unter Druck. Auf die Coronavirus-Pandemie und die beiden Lockdowns mit schweren Folgen für die Wirtschaft und den Staatshaushalt, die er doch zu sanieren versprochen hatte, folgten im Herbst mehrere Terroranschläge – und nun kommt auch noch die politische Krise um das Sicherheitsgesetz hinzu. Es verbietet unter anderem die Verbreitung von Videos von Polizisten im Einsatz – während gleichzeitig Filme wie das vom Vorgehen gegen Michel Zecler erschütternde Verfehlungen von Sicherheitskräften belegen. Das war für viele Franzosen zuviel.
Landesweit demonstrierten am Sonntag laut Innenministerium 133 000 Menschen – die Organisatoren sprachen von einer halben Million – gegen den umstrittenen Artikel des Gesetzes. Am Rande der Aktionen kam es zu Ausschreitungen, bei denen Demonstranten wie Polizisten verletzt wurden.
Premierminister Jean Castex bemühte sich, die Gemüter zu beruhigen, indem er ankündigte, dass eine Kommission das Sicherheitsgesetz vor dessen endgültiger Verabschiedung überarbeiten solle. Doch damit provozierte er wiederum eine Protestwelle im Parlament: Viele Volksvertreter sehen sich entmachtet. Denn die Nationalversammlung, in der Macrons Präsidentenpartei La République en marche (LREM) eine Mehrheit besitzt, hatte das Gesetz in erster Lesung bereits verabschiedet. Wie am Montagabend bekannt wurde, ist die Regierungsmehrheit nun eingeknickt. Die Regierungsfraktionen im Unterhaus des Parlaments kündigten nach einer Krisensitzung im Élyséepalast in Paris an, dass sie den besonders scharf kritisierten Artikel des Sicherheitsgesetzes um die Aufnahmen von Polizeieinsätzen neu formulieren wollen.
Vorwürfe gegen die französische Polizei, oft unverhältnismäßig brutal vorzugehen und teilweise Rassismus in ihren Reihen zu tolerieren, gibt es nicht erst, seit Macron im Amt ist. Auch deshalb fand der Tod des schwarzen US-Amerikaner George Floyd bei einem Polizeieinsatz im Mai ein lautes Echo in Frankreich.
Doch statt Zeichen der Beruhigung auszusenden, ließ Macron die Sicherheitsgesetzgebung verschärfen und setzte Persönlichkeiten an Schlüsselstellen, die eine harte Linie verkörpern, etwa der ehrgeizige Innenminister Gérald Darmanin – er hat das jüngste Gesetz zu verantworten und besteht auf ihm – oder der Pariser Polizeipräfekt Didier Lallement. Vor allem Darmanin, den er den Konservativen abgeworben hat, braucht Macron mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2022:
Er will sich um die Anhänger auch der bürgerlichen Rechten bemühen. Denn viele der Wähler aus dem linken Spektrum, die 2017 noch für ihn stimmten, haben sich enttäuscht abgewendet.
Auch Macrons Vorgänger hatten mit schweren Zeiten zu kämpfen. Unter Nicolas Sarkozy brach die Finanzkrise mit jahrelangen Folgen für die Wirtschaft aus, François Hollande stand mehreren schweren Terrorattacken gegenüber. Doch unter Macron scheinen sich die Krisen zu multiplizieren. Vor zwei Jahren entstand die Widerstandsbewegung der „Gelbwesten“, die soziale Ungerechtigkeiten im Land anprangerte, vor einem Jahr lähmten Streiks gegen die – infolge der Coronavirus-Pandemie ausgesetzte – Rentenreform das Land. Der Dialog mit den Sozialpartnern stockt.
Präsident Macrons LREM-Partei hat Sympathien und Anhänger verloren. Sein Versprechen, den Menschen wieder Zuversicht zu geben und anders zu regieren, nämlich pragmatischer und bürgernäher, hat er nicht halten können. Im Gegenteil: Viele werfen ihm einen autoritären, ja monarchischen Amtsstil vor. Und mit ihren Monarchen gingen die Franzosen schon oft nicht zimperlich um.