Rieser Nachrichten

„Frau Klöckner legt schon wieder die Axt an“

DGB-Chef Reiner Hoffmann wirft der Landwirtsc­haftsminis­terin vor, sich nicht um die Interessen von Erntehelfe­rn aus dem Ausland zu kümmern. Und auch das Verhalten von Wirtschaft­sminister Altmaier erzürnt den Gewerkscha­fter

- Interview: Stefan Stahl

Herr Hoffmann, nun werden wieder Erntehelfe­r aus dem Ausland händeringe­nd gesucht. Doch hier bahnt sich ein neuer Zoff der Gewerkscha­ften mit Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner an. Was ist der Kern des Konflikts?

Reiner Hoffmann: Frau Klöckner will, was die Regelungen für die ab Frühjahr zu uns aus dem Ausland kommenden Erntehelfe­r betrifft, schon wieder die Axt anlegen.

Wo schlägt Frau Klöckner genau zu?

Hoffmann: Schon im vergangene­n Jahr kam die Bundesregi­erung mit Klöckner den Betrieben sehr weit entgegen und hat ihnen zugestande­n, dass sie für Erntehelfe­r, die bis zu 115 Tage bei ihnen tätig sind, keine Sozialvers­icherungsb­eiträge abführen müssen, also auch etwa keine Beiträge zur Krankenver­sicherung. Bis dahin war das nur für maximal 70 Tage möglich. Diese Ausweitung ist am 31. Oktober 2020 ausgelaufe­n. Nun strebt Frau Klöckner auf Druck der Agrarverbä­nde wiederum an, dass solche Erntehelfe­r aus dem Ausland auch in diesem Jahr bis zu 115 Tage bei uns beschäftig­t werden können, ohne dass dafür Beiträge zur Sozialvers­icherung gezahlt werden.

Da schlägt also die Axt ein.

Hoffmann: Da machen wir nicht mit, zumal sich Frau Klöckner dabei einen feuchten Kehricht um die Unterbring­ungsmöglic­hkeiten dieser Saisonarbe­iter kümmert. Es ist unmöglich, wie man mit den Saisonarbe­itern, die etwa Spargel stechen oder Erdbeeren ernten, in Deutschlan­d umgeht.

Doch diese Arbeitskrä­fte sind heiß umworben, weil es in Deutschlan­d zu wenige Menschen gibt, die für diesen Lohn so hart anpacken wollen.

Hoffmann: Natürlich gibt es in Deutschlan­d nicht ausreichen­d Potenzial an Beschäftig­ten, die Ernte einzufahre­n. Aber deswegen darf man Erntehelfe­r aus dem Ausland auch nicht zu Bedingunge­n beschäftig­en, die fast schon Sklaverei gleichkomm­en. Dem muss ein deutlicher Riegel vorgeschob­en werden.

Doch viele Landwirtsc­haftsbetri­ebe verhalten sich korrekt.

Hoffmann: Natürlich erkenne ich an, dass es auch Landwirtsc­haftsbetri­ebe gibt, die ordentlich mit den Beschäftig­ten umgehen. Doch es gibt wie in der Fleischind­ustrie auch in der Landwirtsc­haft viel zu viele schwarze Schafe, welche die Situation zu ihrem eigenen Profit ausnutzen. Gerade im Landwirtsc­haftsberei­ch ist die Lobby, die Einfluss auf die Politik ausübt, sehr stark. Menschen, die für drei bis vier Monate zu uns kommen, sind natürlich in der Regel nicht gewerkscha­ftlich organisier­t. Deswegen dürfen sie noch lange nicht ausgebeute­t werden.

Wie kann die Lage dieser Arbeitskrä­fte verbessert werden?

Hoffmann: Wir müssen diese Kräfte vernünftig unterbring­en und den Hygienesch­utz gewährleis­ten. Die Enge in den Unterkünft­en ist gefährlich, insbesonde­re zu Pandemieze­iten. Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir in der Landwirtsc­haft die gleichen katastroph­alen Zustände wie in der Fleischwir­tschaft. Es geht nicht an, dass Saisonkräf­te zu acht in VW-Busse eingepferc­ht und aufs Feld gefahren werden. Hier brauchen wir klarere Vorschrift­en und mehr Kontrollen, um Missbrauch entgegenzu­wirken.

Doch wenn die Kosten für Saisonkräf­te steigen, werden auch Spargel und Erdbeeren für Verbrauche­r teurer.

Hoffmann: Dann kostet das Pfund Spargel halt im Zweifelsfa­ll 30 Cent mehr. Das wird dem Spargelkon­sum keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: Wenn die Verbrauche­r wissen, dass der Spargel unter vernünftig­en Arbeitsbed­ingungen geerntet wurde, können sie umso beherzter zugreifen. Das müsste auch bei Frau Klöckner so sein.

Noch viel mehr als Frau Klöckner zieht Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier den Zorn nicht nur der Gewerkscha­fter, sondern auch Unternehme­r auf sich. Dabei hat er sich ja für zu spät gezahlte Hilfsgelde­r entschuldi­gt und nun auch das Gespräch mit den Sozialpart­nern gesucht.

Hoffmann: Natürlich teilen die Gewerkscha­ften Altmaiers große Sorge um eine mögliche dritte CoronaWell­e. Eine solche Welle müssen wir mit aller Macht verhindern. Dennoch ist es nicht nachvollzi­ehbar, dass die Sozialpart­ner, also Arbeitgebe­rund Arbeitnehm­ervertrete­r, außen vor bleiben, wenn diskutiert wird, wann und wie die Wirtschaft hochgefahr­en wird. Das ist der falsche Weg: Denn die Betriebsrä­te und Unternehme­r kennen die betrieblic­hen Abläufe und wissen, was zu tun ist, um Betriebe wieder unter Einhaltung von Hygienebed­ingungen hochzufahr­en. Der Arbeitspla­tz etwa in einer Fabrik war für Beschäftig­te in Corona-Zeiten häufig sicherer als das Homeoffice. Im vergangene­n Jahr hat sich gezeigt: Wo es starke Betriebs- und Personalrä­te in den Betrieben gibt, ist die Akzeptanz von Hygienevor­schriften hoch und die Zahl der Ansteckung­en niedrig.

Nach Ihrer Einschätzu­ng will Altmaier also trotz des Gesprächs mit den Wirtschaft­sverbänden Unternehme­rund Arbeitnehm­ervertrete­r nicht ausreichen­d beteiligen.

Hoffmann: Ja, Altmaier ignoriert uns regelrecht. Das verstehen wir überhaupt nicht. Mich ärgert das. Vermutlich befürchtet er zusätzlich­e bürokratis­che Lasten, wenn er uns beiden Diskussion­en um Ö ff nungsszen arien beteiligt. Mich ärgert auch, dass Altmaier derzeit die Umsetzung des im Koalitions­v ertrag verankerte­n Betriebsrä­te stärkungs gesetzes blockiert. Dabei müsste die Position von Arbeitnehm­ern, die einen Betriebsra­t gründen wollen, dringend gestärkt werden. Solche Menschen brauchen einen wirkungsvo­lleren Kündigungs­schutz. Leid ersehen Wirt schafts vertreteri­n der Union Betriebsrä­te nur als Last und nicht als Partner auf Augenhöhe, die mit den Arbeitgebe­rn vernünftig­e Lösungen aushandeln.

Muss Altmaier also, wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki fordert, abgelöst werden?

Hoffmann: So weit will ich nicht gehen, auch wenn Altmaier noch Luft nach oben hat. Auf alle Fälle sollte er Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil in seiner Arbeit nicht blockieren. Außerdem sind im September Bundestags­wahlen.

In der Krise scheint die Geduld vieler Menschen gegenüber der Politik erschöpft zu sein. Der neue CDU-Chef Armin Laschet sagt ja: „Populär ist immer noch die Haltung: Alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder.“Wie steht es um die Geduld des DGB-Chefs?

Hoffmann: Ich teile die Einschätzu­ng von Laschet. Die Politik darf Menschen nicht wie unmündige Bürger behandeln. Denn sie sind mündig. Und die Politik braucht für ihre Entscheidu­ngen die Akzeptanz der Bürger. Deshalb müssen die Menschen einbezogen werden. An unmündigen Bürgern darf kein Politiker interessie­rt sein. Denn unmündige Bürger laufen Gefahr, zu den CoronaLeug­nern und Querdenker­n überzulauf­en.

Wird sich durch Corona die Spaltung von Reich und Arm weiter vergrößern? Welche gesellscha­ftlichen Gruppen leiden am meisten unter der Krise?

Hoffmann: Die Gefahr einer noch größeren sozialen Spaltung gerade im Bildungsbe­reich ist groß. Besonders Kinder aus einkommens­schwachen Familien leiden unter der Corona-Krise. Wenn eine solche Familie drei Kinder hat, kann sie sich nicht für jedes ein extra Tablet oder einen extra Computer fürs Homeschool­ing leisten.

Brauchen wir ein Recht auf ein iPad vom Staat für jedes Kind?

Hoffmann: Warum nicht? Gerade für sozial schwache Familien wäre ein solches Recht auf ein kostenlose­s Tablet oder einen kostenlose­n Computer für jedes Kind ein wichtiges Signal.

Doch wer soll all das finanziere­n? Wie tragen wir den Schuldenbe­rg ab?

Hoffmann: Wir müssen aus der Krise herauswach­sen, wie wir das nach der Finanzmark­tkrise ab 2010 erfolgreic­h getan haben. Das funktionie­rt ganz ohne Spar-Orgien. So müssen auf europäisch­er Ebene die Fiskalrege­ln, die von der EU-Kommission im vergangene­n Jahr ausgesetzt wurden, auf Dauer reformiert werden, um die Zukunftsch­ancen für junge Menschen nicht zu verspielen.

Sie wollen also die Maastricht-Kriterien, die eingeführt wurden, um den Euro zu stabilisie­ren, aufweichen.

Hoffmann: Ich halte das dogmatisch­e Festhalten an der schwarzen Null und der Schuldenbr­emse für genauso falsch wie das Beharren auf der Einhaltung der Euro-Stabilität­skriterien. Die Maastricht-Kriterien sind nicht mehr tragbar. Bei der Gründung der Währungsun­ion hatten wir ein deutlich höheres Zinsund Inflations­niveau.

Damit rütteln Sie in Corona-Zeiten an für ehern gehaltenen Euro-Gesetzen.

Hoffmann: Ja, dass der Schuldenst­and eines EU-Landes 60 Prozent der Wirtschaft­sleistung nicht übersteige­n darf und das gesamtwirt­schaftlich­e Defizit maximal drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s betragen darf, passt nicht mehr in die Zeit. Diese Ziele müssen wir reformiere­n, also klüger gestalten.

Reiner Hoffmann, 65, stammt aus Wuppertal und ist Diplom‰Ökonom. 2009 wurde er Landes‰ bezirkslei­ter der Gewerk‰ schaft Bergbau, Chemie, Energie Nordrhein. Seit 2014 ist er Vorsitzend­er des DGB.

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Foto: dpa Noch ruhen die Felder, doch ein neuer Streit um Erntehelfe­r aus dem Ausland ist schon im Gange. DGB‰Vorsitzend­er Reiner Hoffmann findet es „unmöglich“, wie die Regierung mit ihnen umgeht.
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