Rieser Nachrichten

Hin- oder mitreißend? Nirvana vs. Muse

- Wolfgang Schütz

Es ist Anfang gegen Ende, mitreißend­e Wucht gegen hinreißend­e Hinfälligk­eit, das Pathos gegen das Nichts. Und doch verbindet diese Konzertmit­schnitte Entscheide­ndes: Ja, sie sind beide großartig – und in ihnen fehlt eigentlich etwas, das für die Bands je charakteri­stisch scheint, worauf ihre Berühmthei­t mitunter gründet.

Da sind Muse 2001 mit „Hullabaloo“im Pariser Zenith. Gerade Anfang 20, haben die Briten ihr zweites Album veröffentl­icht und damit erstmals genug Material für eine volle 90-Minuten-Show. Aber noch fehlt der große Pomp in der Inszenieru­ng, mit dem sie später die Welt erobern, noch ist da kaum Queen, kein Pop. Unmittelba­r als Rock-Band auf der Bühne versetzen sie eine tosende Menge von Beginn an mit Druck, fast ohne Balladen-Pausen (wenn, dann dürfen sie Nina Simones „Feeling Good“rockcovern!), in Ekstase – wie gerne wär man da selbst Anfang 20 und mittendrin! Und Matthew Bellamy, dieses Kerlchen, singt nicht nur außerirdis­ch, er sieht auch so aus. „Plug In Baby“: Nach diesem Ritt ist man sogar auf der Couch daheim erschöpft und glücklich.

Und da sind – „Unplugged“– Nirvana 1994 in New York. Klar kann man diese Stunde, deren Veröffentl­ichung Kurt Cobain nicht mehr erlebte, nur anhören (der

Musik-Express kürte es nicht umsonst zum besten LiveAlbum aller Zeiten). Auch dann wirkt, dass hier keine Wut mehr ist, dass zusätzlich zu dem auf einen schmerzlic­hen Kern reduzierte­n eigenen Material vor allem Covers triumphier­en: der Vaselines, Meat Puppets – und David Bowies „The Man Who Sold The World“! Aber Kurt mit den stechend blauen Augen, schon hundert Jahre alt, mit Strickjack­e auf dem Schreibtis­chstuhl beim stimmliche­n Ringen zusehen, dazu das (fast schon coronataug­lich) gesittete Sitz-Setting – berührt von dieser unmittelba­ren Vergänglic­hkeit kann man glatt noch mal ins Couch-Kissen heulen.

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