Hin- oder mitreißend? Nirvana vs. Muse
Es ist Anfang gegen Ende, mitreißende Wucht gegen hinreißende Hinfälligkeit, das Pathos gegen das Nichts. Und doch verbindet diese Konzertmitschnitte Entscheidendes: Ja, sie sind beide großartig – und in ihnen fehlt eigentlich etwas, das für die Bands je charakteristisch scheint, worauf ihre Berühmtheit mitunter gründet.
Da sind Muse 2001 mit „Hullabaloo“im Pariser Zenith. Gerade Anfang 20, haben die Briten ihr zweites Album veröffentlicht und damit erstmals genug Material für eine volle 90-Minuten-Show. Aber noch fehlt der große Pomp in der Inszenierung, mit dem sie später die Welt erobern, noch ist da kaum Queen, kein Pop. Unmittelbar als Rock-Band auf der Bühne versetzen sie eine tosende Menge von Beginn an mit Druck, fast ohne Balladen-Pausen (wenn, dann dürfen sie Nina Simones „Feeling Good“rockcovern!), in Ekstase – wie gerne wär man da selbst Anfang 20 und mittendrin! Und Matthew Bellamy, dieses Kerlchen, singt nicht nur außerirdisch, er sieht auch so aus. „Plug In Baby“: Nach diesem Ritt ist man sogar auf der Couch daheim erschöpft und glücklich.
Und da sind – „Unplugged“– Nirvana 1994 in New York. Klar kann man diese Stunde, deren Veröffentlichung Kurt Cobain nicht mehr erlebte, nur anhören (der
Musik-Express kürte es nicht umsonst zum besten LiveAlbum aller Zeiten). Auch dann wirkt, dass hier keine Wut mehr ist, dass zusätzlich zu dem auf einen schmerzlichen Kern reduzierten eigenen Material vor allem Covers triumphieren: der Vaselines, Meat Puppets – und David Bowies „The Man Who Sold The World“! Aber Kurt mit den stechend blauen Augen, schon hundert Jahre alt, mit Strickjacke auf dem Schreibtischstuhl beim stimmlichen Ringen zusehen, dazu das (fast schon coronatauglich) gesittete Sitz-Setting – berührt von dieser unmittelbaren Vergänglichkeit kann man glatt noch mal ins Couch-Kissen heulen.