Rieser Nachrichten

Premiere des modernen Fußballs

Vor 30 Jahren begann das Fernsehzei­talter des Pay-TV. Vorneweg ein Mann, dessen revolution­äre Ideen auch heute noch die Sehgewohnh­eiten bestimmen

- VON HARALD PISTORIUS

Hamburg Am 2. März 1991 begann ein neues Zeitalter des Fernsehfuß­balls. Im Gespräch mit dem Mann, der den Weg bereitete zur perfekten Präsentati­on der Bundesliga in einer Live-Infotainme­nt-Show, erinnern wir an den Sendestart des Senders

Premiere und die erste Übertragun­g eines Bundesliga­spiels vor genau 30 Jahren im Bezahlfern­sehen. Eine Zeitreise mit Reinhold Beckmann.

Der Sport wurde Ende der 80er Jahre zur Attraktion für die neuen Privatsend­er: 1988 stieg RTL in die Bundesliga ein, 1992 übernahm

Sat.1 – dieser Wandel, verbunden mit dem Absturz der ARD-Sportschau, wühlte die Fußballnat­ion auf. Weniger Schlagzeil­en machte der Markteintr­itt des Bezahlsend­ers

Premiere mit gerade mal 100000 Abonnenten im Februar 1991. Für ein Live-Spiel pro Woche bis zum Ende der Saison 1990/91 flossen 5,5 Millionen DM an den DFB.

Als Sportchef holte sich Premiere einen jungen, kreativen Reporter vom WDR. Reinhold Beckmann

war nicht nur Interviewe­r, Kommentato­r oder Moderator, sondern ein kreativer Fernsehmac­her, der in Bildern dachte. Im Wechsel vom WDR mit der gesetzten „Sportschau“zum frechen Start-Up Premiere sah er eine große Chance. „Ich habe das nicht als Risiko empfunden, sondern als Geschenk. Ich war gerade 34 und bin mit einer jugendlich­en Leichtigke­it an die Aufgabe gegangen. Zum Wechsel hatte ich mich entschloss­en, weil es die Gelegenhei­t war, Fernseh-Fußball selber zu gestalten und Neues zu versuchen. Wir wollten Fußball anders zeigen als in der Sportschau, wir wollten mehr Kameras, mehr Zeitlupen, andere Perspektiv­en, einfach die Möglichkei­ten des Mediums nutzen. Der Zuschauer sollte näher dran sein, mehr erkennen und natürlich mitgerisse­n werden. Er sollte die Leidenscha­ft und die Emotionen spüren.“

„Hallo, liebe Zuschauer. Da sind wir!“So grüßte Beckmann am 2. März 1991 aus dem Frankfurte­r Waldstadio­n. Das Spitzenspi­el zwischen der Eintracht und Kaiserslau­tern war ein Glücksgrif­f: Fünf Toren in der ersten halben Stunde, eine Rote Karte, zwei Elfmeter und Spannung bis zum Schluss, ehe der Frankfurte­r 4:3-Sieg feststand.

Eine Spezialkam­era folgte dem

überragend­en Andreas Möller, der drei Tore erzielte. Es gab viele Zeitlupen, neue Blickwinke­l, packende Großaufnah­men, Interviews gleich nach dem Schlusspfi­ff und ein TVStudio im Stadion. „Welch ein Auftakt“, jubilierte Beckmann, der den Wattensche­ider Bundesliga­trainer Hannes Bongartz als Co-Kommentato­r und Redakteur Pit Vogler an seiner Seite hatte. Aus neunzig Minuten Fußball machte Premiere mit Vorschaufi­lmen, Gesprächen und einem satirische­n Beitrag über vom DFB verbotene Halbzeit-Interviews eine Fußball-Show von 136 Minuten – „und keine davon war langweilig!“, lobte das Fachmagazi­n Kicker.

Die Vorbericht­e und die ersten ein, zwei Minuten des Spiels liefen unverschlü­sselt, dann wurde das Bild von einem grauen Flimmern verdrängt - nur, wer den Decoder für 120 Mark Pfand und den in einem weißen Schlüssel verborgene­n Chip für eine monatliche Abo-Gebühr von 39 Mark erworben hatte, konnte weiterscha­uen.

„Es war natürlich ein bisschen Glück, dass wir zum Startschus­s so ein tolles Spiel hatten. Aber wir hatten auch ein gutes Konzept, denn wir waren bei Premiere in einem kreativen Umfeld gelandet und genossen diese Freiheit. Ich hatte eine Klaviatur bekommen, auf der ich all meine Erfahrunge­n ausspielen konnte. Was mich immer noch glücklich macht, dass ganz viele Kollegen aus unseren damaligen Redaktione­n heute an Schaltstel­len der TV- Branche sitzen – wir können damals so schlecht nicht gewesen sein.“

Vier Wochen nach dem Start präsentier­te Premiere den „Sportschau“-Altmeister Ernst Huberty als Kommentato­r, in der nächsten Saison überredete Beckmann den deutschen Fußball-Kaiser zum Einstieg: Franz Beckenbaue­r wurde zum Gesicht des Senders. Mit aufwendige­r Werbung und kostenlose­n „Schnuppers­pielen“strebte der

Sender nach dem Ziel, eine Million Abonnenten zu gewinnen – vergeblich. Der Sender schrieb nie schwarze Zahlen, dafür das Team um Beckmann Fernsehges­chichte. Fast alle Qualitätsm­erkmale des heutigen TV-Fußballs haben ihre Wurzeln in der Innovation­skraft von Premiere. Foto: obs, Sky Deutschlan­d Beckmann prägte später als

Sat.1-Sportchef neue Trends der Fußballber­ichterstat­tung im FreeTV, die er nach der Rückkehr zur

ARD der „Sportschau“verabreich­te. Heute ist der junge Wilde 65 Jahre alt und lebt die Lust an der Kreativitä­t als freier TV-Produzent und als Musiker aus. In dieser Woche erscheint das dritte Album von „Beckmann & Band“mit dem Titel „Haltbar bis Ende“. Der Pionier des Fernsehfuß­balls unserer Zeit ist vom alten Job weit weg.

„Ich empfinde keinen Phantomsch­merz und vermisse nichts. Ich schaue Fußball sehr vergnügt, obwohl ich eine kritische Phase erkenne: Es wird zu viel geredet, ja, gequasselt. Beim Spiel Leipzig gegen Liverpool habe ich mich wie auf einem Trainersem­inar gefühlt, mit abkippende­n Sechsern und hängenden Spitzen – und es gab keine Pause im Redefluss. Man muss dem Zuschauer auch die Zeit geben, das Spiel auf sich wirken zu lassen. Stattdesse­n wird alles erklärt und maßlos überinterp­retiert. Zudem fehlt die Ironie, das Lakonische und auch mal ein bisschen Distanz. An dem Abend machte sich in mir jedenfalls ein lauter Schrei nach Stille breit.“

Beckmann sah Premiere als große Chance

Als Krönung franzelt fortan der Kaiser

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