Rieser Nachrichten

Kurz legt sich mit der Justiz an

Erst die Ibiza-Affäre, jetzt die Bestechung­svorwürfe gegen den Finanzmini­ster: Österreich­s Anti-Korruption­sbehörde geht gegen die „Freunderlw­irtschaft“vor. Auf ihre Ermittlung­en reagiert die Partei von Sebastian Kurz äußerst nervös. Was hat der Kanzler vo

- VON WERNER REISINGER

Wien Lächelnd, besonnen und immer darauf bedacht, positiv anzukommen: So kennt man den österreich­ischen Kanzler. Seit einigen Wochen aber lernt die Öffentlich­keit einen eher ungemütlic­hen Sebastian Kurz kennen – und das hat nichts mit der Corona-Krise zu tun.

Das liegt an einem Ex-Finanzmini­ster aus der Regierung von Kurz mit der FPÖ, einem ehemaligen ÖVP-Vizekanzle­r, einer Reihe von aktiven oder ehemaligen ÖVP-nahen Spitzenbea­mten, einer ganzen Liste also mit Vertrauten des Bundeskanz­lers, gegen die die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) seit der IbizaAffär­e im Mai 2019 ermittelt. Die Liste wird immer länger und die Einschläge kommen immer näher an Sebastian Kurz heran.

Mit dem amtierende­n ÖVP-Finanzmini­ster Gernot Blümel steht nun ein langjährig­er Begleiter und einer der engsten Freunde von Kurz im Zentrum der Ermittlung­en. Es geht um Bestechung, Bestechlic­hkeit und Amtsmissbr­auch im Zusammenha­ng mit einer Steuernach­forderung aus Italien an den niederöste­rreichisch­en Glücksspie­lkonzern Novomatic. Auch hier involviert, neben dem Finanzmini­ster:

ein hochrangig­er ÖVP-Beamter, der in intensivem Austausch zwischen der Novomatic-Spitze einerseits und Blümel anderersei­ts stand und kurz vor einer Hausdurchs­uchung durch die Ermittler alles von seinem Mobiltelef­on gelöscht hatte – vergeblich.

Experten konnten an die 300000 SMS und Chatnachri­chten aus einem Back-up wiederhers­tellen. Dieses umfangreic­he Material wertet die WKStA nun aus, ebenso wie alles, was sich auf Gernot Blümels Handy und auf seinem privaten Laptop befand. Beide Geräte wurden dem Finanzmini­ster ebenfalls bei einer Hausdurchs­uchung abgenommen. Brisant dabei ist: Der Name „Kurz“findet sich in der gerichtlic­h bewilligte­n Anordnung zu Blümels Hausdurchs­uchung häufiger als Blümels Name selbst. Was ist da los in Österreich? Vielen, die die Ereignisse seit der Ibiza-Affäre nur aus der Distanz beobachten, dürfte nun bewusst werden: Rund um den wohl bedeutends­ten innenpolit­ischen Skandal in Österreich­s jüngerer Geschichte geht es keineswegs nur um die Freiheitli­chen der FPÖ und um Heinz-Christian Strache. Die „Ibiza-Affäre“stellt den Startschus­s für eine intensive Auseinande­rsetzung mit der Verflechtu­ng von Politik und Konzernen dar, mit möglicher Käuflichke­it, Parteispen­den und Postenbese­tzungen und dem, was in Wien „Verhaberun­g“und in ganz Österreich „Freunderlw­irtschaft“genannt wird – in Deutschlan­d bekannt als „Spezl-“oder „Vetternwir­tschaft“.

Beispielha­ft dafür ist jener Satz, den Ex-FPÖ-Chef Strache im IbizaVideo getätigt hatte: „Die Novomatic zahlt alle.“Fast zwei Jahre danach hat sich der Fokus von der wegbewegt. Nun liegt er auf der Kanzlerpar­tei ÖVP. Kurz, seine Minister, Mitstreite­r und die ihm nahestehen­den Medien reagieren darauf immer heftiger. Gemeinsam schießen sie scharf auf die eine Behörde, die hartnäckig versucht, besagte Verflechtu­ngen zu entwirren und aufzukläre­n: die WKStA.

Ein Blick zurück macht deutlich: Auf dem Radar hat der Bundeskanz­ler die Korruption­sstaatsanw­altschaft nicht erst seit Bekanntwer­den der Ermittlung­en gegen seinen engen Vertrauten Blümel. Für Schlagzeil­en sorgte etwa der ÖVPnahe und damals höchste Beamte im Justizmini­sterium, Christian Pilnacek, als er 2019 in einer internen Dienstbesp­rechung die Ermittler mit den Worten „erschlagt es“anwies, sensible Ermittlung­en in der Causa rund um die Beschaffun­g von Eurofighte­r-Kampfjets einzustell­en. Anwesende Beamte hatten das Gespräch akustisch aufgezeich­net – ein Schritt, der den Staatsanwä­lten ihrerseits Kritik einbrachte.

Es folgten wechselsei­tige Anzeigen der WKStA und Pilnaceks, ein Mediations­versuch zwischen den beiden Seiten blieb ohne Erfolg. Seit kurzem ist Pilnacek von seinem hohen Posten im Ministeriu­m suspendier­t. Die Staatsanwa­ltschaft Wien führt ihn in einer Affäre rund um ein Hochhauspr­ojekt in der Wiener City als Beschuldig­ten, weil er Informatio­nen an den ehemaligen ÖVP-Justizmini­ster und jetzigen Verfassung­srichter Wolfgang Brandstett­er weitergege­ben haben soll. Brandstett­er war damals Anwalt eines in der Affäre Beschuldig­ten. „Schleichen­d und über die Jahre“habe sich der politische Druck auf die AntiKorrup­tionsbehör­de immer stärker erhöht, sagen Justiz-Insider hinter vorgehalte­ner Hand. Je mehr Fälle mit ÖVP-Bezug die WKStA untersucht­e, desto intensiver seien die Interventi­onsversuch­e über den Spitzenbea­mten Pilnacek geworden.

Während der Nachwehen zur Ibiza-Affäre, als der damalige FPÖ-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache die Koalition mit Kurz in die Luft sprengte, intensivie­rten sich allerdings auch die öffentlich­en Attacken der KurzÖVP gegen die WKStA. Mitte Januar 2020 lud der Kanzler 40 ausgewählt­e Jour- nalisten ins Kanzleramt ein, zu einem „Hintergrun­dgespräch“– eigentlich eine Art exklusive Pressekonf­erenz, von der nicht wörtlich zitiert werden durfte, die aber dazu dienen sollte, die Ansichten des Kanzlers den Journalist­en näherzubri­ngen.

Was Kurz dort sagte, hatte es in sich: Die Anti-Korruption­sbehörde agiere nicht objektiv, sondern sei parteipoli­tisch motiviert, die Rede war von „roten Netzwerken“. Besonders sauer stießen ihm die Ermittlung­en der Behörde gegen seinen ehemaligen Finanzmini­ster Hartwig Löger auf. Zu lange sei auFPÖ ßerdem die Verfahrens­dauer bei der WKStA, und immer wieder würden Akten und Ermittlung­sdetails an die Medien und damit an die Öffentlich­keit gespielt. Später relativier­te der Kanzler seine Aussagen, die er in dieser Form nicht getätigt haben wollte. „Wir haben auch eine gut funktionie­rende Justiz in Summe, aber ich glaube, dass es durchaus legitim sein muss, gewisse Prozesse zu hinterfrag­en“, sagte er vor Journalist­en. Und: Es müsse legitim sein, auch Institutio­nen zu kritisiere­n. Schließlic­h sei auch die katholisch­e Kirche lange sakrosankt gewesen, auch das habe sich geändert.

Immer wieder wird von der ÖVP nun das erratische Vorgehen der WKStA bei der von der FPÖ angestreng­ten Razzia im Verfassung­sschutz im Februar 2018 herangezog­en – als Beispiel für die Fehlerhaft­igkeit der Behörde. Einzig: Damals hatte sich die ÖVP offensiv vor den damaligen Koalitions­partner FPÖ wie auch vor die WKStA gestellt.

Die Angriffe der Kanzlerpar­tei gegen die Anti-Korruption­sbehörde gipfelten im Ansinnen, die WKStA gleich ganz zu zerschlage­n und ihre Kompetenze­n auf vier Staatsanwa­ltschaften im Bundesgebi­et zu verteilen. Von einem „gestörten Verhältnis zum Rechtsstaa­t“sprach selbst der grüne Koalitions­partner.

Die Justiz stellt sich demonstrat­iv hinter die Korruption­sermittler. In Mitteilung­en werden irreführen­de Argumente der ÖVP richtigges­tellt, und die Grünen betonen, dass es mit ihnen ganz sicher keine „Reformen“der WKStA im Sinne der Kurz-Partei geben werde. Pläne für einen solchen Umbau, das ist bekannt, liegen schon seit Kurz’ erster Regierung mit der FPÖ im Justizmini­sterium.

Will der Kanzler die Justiz also in seinem Sinne umbauen, wie nicht nur seine Kritiker und die Opposition­sparteien, sondern auch zahlreiche Spitzenjur­isten befürchten?

Genau könne man das noch nicht einschätze­n, sagt einer, der es wissen muss: Franz Fiedler arbeitete jahrzehnte­lang als Staatsanwa­lt und ist nun Ehrenpräsi­dent des Beirats der Anti-Korruption­s-Organisati­on Transparen­cy Internatio­nal. Einerseits „rastet man seitens der Politik schnell aus“, wenn das eigene Personal im Fokus von strafrecht­lichen Ermittlung­en stehe und tue das, um sich „vermeintli­ch Gehör zu verschaffe­n“, sagt Fiedler im Gespräch mit unserer Redaktion. „Anderersei­ts muss man wirklich auf der Hut sein, wenn eine Kanzlerpar­tei gleich die Zerschlagu­ng der Korruption­sbehörde ins Spiel bringt.“

Diese Vorgehensw­eise der ÖVP – zumindest angekündig­t hat die Partei auch ein strafrecht­liches Verbot für Journalist­en, aus Ermittlung­sakten zu zitieren – sei „ein schwerer Fehler“, sagt er. Wie andere Spitzenjur­isten hält Fiedler eine Aufteilung der Behörde auf verschiede­ne

Bundesländ­er, wie dies in Deutschlan­d der Fall ist, in einem Acht-Millionen-Land wie Österreich für alles andere als zielführen­d.

Dass sich die Staatsanwa­ltschaft durch die Angriffe der ÖVP einschücht­ern lässt, schließt er aus. Im Gegenteil, die WKStA werde nun „streng nach Gesetz“vorgehen und besonders darauf achten, nur ja keine Fehler zu machen. Dass die Affären nun zu einem Umkehrpunk­t für die Behörden werden und die Staatsanwa­ltschaften in Korruption­ssachen künftig effektiver und vor allem von politische­m Druck und Einflussna­hme befreit werden agieren können, glaubt der Jurist allerdings ebenso wenig. Denn das eigentlich­e Problem sei eben die „Freunderlw­irtschaft“zwischen Politik und Wirtschaft. Und diese sei sehr wohl ein spezifisch österreich­isches Problem.

„Die Situation in Deutschlan­d oder auch der Schweiz ist bedeutend anders“, erklärt Fiedler. Während Berlin das politische Machtzentr­um darstelle, gebe es mit Frankfurt am Main ein weiteres wirtschaft­liches Zentrum. Ähnlich sei es in der Schweiz mit Bern und Zürich. „In Wien konzentrie­rt sich alles auf engstem Raum.“Der Korruption­sexperte spricht von einer „Unkultur von engen Beziehunge­n, die sich auch in Freizeitak­tivitäten ausdrückt – man schnapst es sich beim Heurigen oder im Caféhaus aus“. In Wien laufe quasi die Verfilzung zusammen.

Vor allem aber habe die langjährig­e Praxis, was Parteispen­den von Konzernen angeht, bei der Wirtschaft zu einer starken Erwartungs­haltung geführt, sich durch finanziell­e Unterstütz­ung Wohlwollen erkaufen zu können. Erst seit kurzem hat Österreich ein neues Parteienfi­nanzierung­sund Transparen­zgesetz. Hier bleibe abzuwarten, welche Veränderun­gen dieses hinsichtli­ch der „Unkultur der Beziehunge­n“werde erwirken können.

Jurist Fiedler sieht noch ein weiteres Problem: „Ungeachtet der vielen Privatisie­rungen in den vergangene­n Jahren besteht in Österreich nach wie vor ein großer Anteil von staatsnahe­n, teilstaatl­ichen oder verstaatli­chten Unternehme­n.“Diese Struktur erst sei es, die der Politik Einflussna­hme auf Postenbese­tzungen in den Firmen ermögliche. „Davon macht die Politik auch nach wie vor Gebrauch“, sagt er. Und zwar mit Verfahrens­weisen, die „sicherlich nicht immer dazu führen, dass der oder die Bestqualif­izierte bei der Bestellung zum Zug kommt“.

Neu sei ein Feldzug einer (Kanzler-)Partei gegen eine Ermittlung­sbehörde oder die Justiz an sich allerdings nicht, sagt der Korruption­sexperte. In den 1960er Jahren waren es beispielsw­eise die Sozialdemo­kraten, die gegen die „Putschiste­n in Talaren“wetterten. Damals hatte der Verwaltung­sgerichtsh­of im Sinne Otto von Habsburgs entschiede­n, des ältesten Sohnes des letzten Kaisers, der nicht nach Österreich hatte einreisen dürfen. Nach dem Richterspr­uch durfte er es.

Der größte innenpolit­ische Skandal seit langem Das alte Problem mit den Parteispen­den

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Foto: Georg Hochmuth/APA, dpa Die Ibiza‰Affäre hat viele Details über die österreich­ische „Freunderlw­irtschaft“an die Öffentlich­keit gebracht. Im Parlament wurde ein Untersuchu­ngsausschu­ss eingericht­et. Die Opposition­sparteien machten mehr als einmal deutlich, was sie über die Rolle der ÖVP in der Affäre denken.
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Gernot Blümel
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Sebastian Kurz

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