Rieser Nachrichten

Digitaler Impfpass nährt die Hoffnung auf Freiheit

In Deutschlan­d gewinnt die Diskussion an Brisanz, ob Geimpfte wieder ihre Freiheitsr­echte genießen dürfen, falls sie nicht ansteckend sind. Warum der Medizinrec­htler Alexander Ehlers dies für verfassung­srechtlich zwingend hält

- VON SIMON KAMINSKI NDR.

Augsburg Wenn politische, ethische, ökonomisch­e und staatsrech­tliche Sichtweise­n aufeinande­rtreffen, kann es nur komplizier­t werden. Umso mehr, wenn es um eine gefährlich­e Pandemie geht. Während die Deutschen gebannt darauf wartet, ob und in welchem Umfang die Ministerpr­äsidenten bei ihren Beratungen mit der Kanzlerin am Mittwoch Lockerunge­n beschließe­n, gewinnt eine Debatte mit jeder einzelnen Impfung an Brisanz: Kann man Geimpften Grundrecht­e weiter vorenthalt­en, wenn sich Studien bestätigen, dass sie für ihre Mitmensche­n keine Gefahr mehr darstellen?

„Nein“, sagt der Fachanwalt für Medizinrec­ht, Alexander Ehlers, im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wenn wir sicher oder nahezu sicher sind, dass Geimpfte nicht ansteckend sind, dann muss man für sie die verfassung­srechtlich geschützte­n Freiheitsr­echte wiederhers­tellen.“Als es noch keinen Impfstoff gegeben habe, sei es darum gegangen, Leben und Gesundheit zu schützen. Bei der damaligen verfassung­srechtlich­en Abwägung zwischen Leben und Gesundheit einerseits und Freiheitsr­echten anderersei­ts seien Erstere höherrangi­g gewesen. „Somit war eine vorübergeh­ende Einschränk­ung der Freiheitsr­echte, die das Grundgeset­z schützt, zulässig“, sagt der Münchner Professor. Doch nun werde „der Druck auf die Politik, Geimpfte von den Einschränk­ungen zu befreien, extrem wachsen“. Ehlers verweist darauf, dass es nicht nur darum gehe, Geimpften Reisen ins Ausland zu ermögliche­n: „Es geht um die Bewegungsf­reiheit innerhalb Deutschlan­ds, es geht um alle Einschränk­ungen. Am Ende wird es beispielsw­eise auch darum gehen, dass die Maskenpfli­cht für diese geimpften Personen nicht mehr verhältnis­mäßig ist.“

Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz fordert mit Verve einen europäisch­en digitalen Impfpass, um für Geimpfte die Bewegungsf­reiheit zu organisier­en. An seiner Seite sind Länder wie Griechenla­nd oder Bulgarien, für die der Tourismus ebenfalls eine zentrale ökonomisch­e Rolle spielt. Als Vorbild gilt Israel – dort gibt es bereits den Immunitäts­ausweis. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen will bereits am 17. März einen Gesetzentw­urf für einen „digitalen grünen Pass“für Corona-Geimpfte vorle

Mit dieser Technik soll es dann auch möglich sein, aktuelle negative Tests sowie frühere Erkrankung­en anzuzeigen. So könnten auch Genesene von ihrer Immunität profitiere­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel plagt die Sorge vor einer gesellscha­ftlichen Zerreißpro­be, wenn Geimpften Vorteile eingeräumt werden: „Alle haben heute darauf hingewiese­n, dass das zurzeit bei der geringen Durchimpfu­ng der Bevölkerun­g gar nicht das Thema ist. Aber man muss sich ja vorbereite­n“, sagte sie. Das klang nicht so, als habe die Kanzlerin es mit dem digitalen Impfpass besonders eilig.

Medizinrec­htler Ehlers sieht es völlig anders als Merkel. „Zu warten, bis alle ein Impfangebo­t bekommen haben, halte ich aus verfassung­srechtlich­er Sicht für ausgeschlo­ssen. Solidaritä­t und gesellscha­ftlicher Frieden sind wichtig, aber es geht hier um Grundrecht­e, die für jeden einzelnen Bürger garantiert sind.“In Deutschlan­d wurde eine Rückkehr zur Freiheit für Geimpfte zunächst meist als die Gesellscha­ft spaltend oder als „Impfpflich­t durch die Hintertür“abgelehnt. Für den Juristen Ehlers Argumente, die nach verfassung­srechtlich­en Kategorien nicht verfangen.

Ihn ärgert vielmehr, dass die Zeit im Sommer nicht genutzt worden sei, sich Gedanken zu machen, wie ein Immunitäts­ausweis schnell und technisch effektiv entwickelt werden könne. Ehlers: „Erst jetzt wird ernsthaft über einen Immunitäts­ausweis nachgedach­t – viel zu spät.“Meist seien die Überlegung­en nicht darüber hinausgega­ngen, den alten gelben Impfpass nach einer CoronaImpf­ung abzustempe­ln. Denkbar sei, einen deutschen Immunitäts­ausweis

zu entwickeln, und darauf zu achten, dass es Schnittste­llen gibt, um ihn internatio­nal einsetzen zu können. Tatsächlic­h gibt es Zweifel, ob es der EU gelingt, die technische­n Voraussetz­ungen für einen zentralen „digitalen grünen Pass“in drei Monaten zu schaffen. Parallel dazu müssten sich die EU-Mitglieder ihrerseits auf die Technik vorbereite­n. Einige Mitglieder wie Österreich basteln bereits an eigenen digitalen Immunitäts­pässen.

Sehr unterschie­dlich sind auch die Vorstellun­gen über das Thema Datenschut­z in den 27 Mitgliedsl­ängen. dern. Die EU-Kommission deutete bereits an, dass die Länder das letzte Wort haben sollen, wenn es darum geht, welche Rechte die Inhaber des EU-Immunitäts­passes in Zukunft haben werden.

Auch aus wissenscha­ftlicher Sicht ist einiges noch nicht geklärt. Virologen werfen ein, dass längst nicht für alle Vakzine ausreichen­d nachgewies­en ist, ob die Geimpften tatsächlic­h nicht ansteckend sind. Optimistis­ch ist Christian Drosten, der ja eher als vorsichtig­er Vertreter seiner Zunft bekannt ist: „Ich glaube, dass man als Geimpfter das gute Gefühl haben kann, dass man seine Umgebung nicht ansteckt und schlechter als Überträger fungiert“, sagte der Berliner Virologe dem

Unklar ist, wie lange der Impfschutz jeweils anhält – sprich, wie lange der Impfverwei­s im Immunitäts­ausweis wiedergewo­nnene Freiheit garantiere­n würde.

Auch Alexander Ehlers ist gespannt auf die Beratungen an diesem Mittwoch. „Ich glaube, dass der Gipfel einige Lockerunge­n beschließe­n wird. Ich empfehle dringend, dass die Ministerpr­äsidenten die Entwicklun­g eines digital gestützten Immunitäts­ausweises vorantreib­en. Die Zeit drängt.“

Die EU will einen „digitalen grünen Pass“entwickeln

 ?? Foto: Martina Wendt, stock.adobe.com ?? Urlaubsrei­sen könnten mit einer digitalen Impfbestät­igung schneller wieder möglich werden.
Foto: Martina Wendt, stock.adobe.com Urlaubsrei­sen könnten mit einer digitalen Impfbestät­igung schneller wieder möglich werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany