Rieser Nachrichten

„Chinas Vision ist Dominanz“

Alexander Graf Lambsdorff fürchtet, dass in Europa der Widerstand­sgeist gegen die Feinde von Freiheitsr­echten und Demokratie schwächer wird. In seinem aktuellen Buch erklärt der Politiker, was dagegen helfen könnte

- Interview: Simon Kaminski

Herr Lambsdorff, Ihr Buch „Wenn Elefanten kämpfen – Deutschlan­ds Rolle in den kalten Kriegen des 21. Jahrhunder­ts“(Propyläen) ist geprägt von der Sorge, dass Europa im Begriff ist, zu verspielen, was es ausmacht. Seit wann beschäftig­t Sie das?

Alexander Graf Lambsdorff: Ich habe mich schon früh mit den Strukturen des Rechtsextr­emismus im Europa der 1920er Jahren beschäftig­t. Da ging es um das Scheitern der Weimarer Republik und die Verführbar­keit von Teilen des Bürgertums durch faschistis­che Parolen. Wenn ich heute sehe, dass Parteien am rechten Rand in Europa Erfolge bei Wahlen erzielen, erfüllt mich das mit großer Sorge.

Sie beschwören als Reaktion darauf einen „European Way of Life“. Doch es fällt derzeit schwer zu erkennen, worauf dieses gemeinsame europäisch­e Lebensgefü­hl beruhen könnte.

Lambsdorff: Ich glaube, dass viele Europäer im Bauch spüren, was das ist. Es geht um Freiheit, Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit, aber auch um Kultur, sozialen Ausgleich und Umweltschu­tz. Also ein Gefühl, dass auf gemeinsame­n Werten und einer gemeinsame­n Lebensart basiert. Ich wollte mit meinem Buch ins Bewusstsei­n rücken, dass der ,European Way of Life‘ etwas ganz Besonderes ist und wir diese Lebensart an die kommende Generation weitergebe­n sollten.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass diese Werte heute in der EU manchmal einen schweren Stand haben?

Lambsdorff: Ich bin mit der europäisch­en Politik in der Tat nicht zufrieden. Bei Themen wie der Währungspo­litik, der Migrations- oder Außenpolit­ik sind nationale Egoismen auf dem Vormarsch. Meine Sorge ist, dass wir die Europäisch­e Union nur als Hülle behalten, dass viele die EU nur noch als Mechanismu­s zur Koordinati­on von Krisen verstehen. Wir brauchen aber den Geist der Gemeinsamk­eit, für den Leute wie Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher oder Giscard d’Estaing standen.

Europa ist insofern einmalig, als dass es auf relativ kleinem Raum komprimier­t viel Geschichte und steinerne Zeugen einer viele Jahrhunder­te alten Kultur zu bieten hat. Warum geht uns der Stolz auf dieses Erbe oft ab?

Lambsdorff: Stolz muss man das ja gar nicht nennen. Es geht um Zuneigung zur eigenen Lebensumwe­lt, zu deren von uns geformter Einzigarti­gkeit. Und zwar ohne sich anderen gegenüber zu erhöhen. Ich glaube, dass diese Zuneigung nach dem Kalten Krieg verloren gegangen ist. Die Menschen in Riga, in Budapest oder Krakau haben sich jahrzehnte­lang nach Freiheit gesehnt, während wir das Glück hatten, in Brüssel, Bonn und Barcelona zu leben, wie es uns gefiel. Wir nahmen das als selbstvers­tändlich hin, aber das ist falsch. Wir sollten den Kopf heben, um zu sehen, dass wir von Entwicklun­gen abhängig sind, die außerhalb von Europa passieren. Wir müssen einen

Bogen schlagen vom rein europäisch­en ins globale Denken.

Ihr Buch ist ja auch eine Aufforderu­ng, die aggressive Politik Chinas zurückzuwe­isen. In Deutschlan­d hat man allerdings eher den Eindruck, dass alles unterlasse­n wird, was den Handelspar­tner verärgern könnte.

Lambsdorff: Wir haben nach der Abwahl von Trump eine historisch­e Chance – Joe Biden. Bei ihm dürfen wir nicht denselben Fehler machen wie bei Emmanuel Macron. Nachdem er Marine Le Pen bei den französisc­hen Präsidents­chaftswahl­en geschlagen hatte, hat Deutschlan­d die Möglichkei­t verpasst, gemeinsam mit ihm neue Ideen für Europa zu entwickeln. Ich habe die große Befürchtun­g, dass die Kanzlerin, dass die Bundesregi­erung dies gerade gegenüber Biden wieder tut. Wer Frau Merkel reden hört, merkt, dass es ihr darum geht, China auf keinen Fall zu verärgern und eine gleiche Entfernung zwischen Washington und Peking zu halten.

Welche Akzente würden Sie gegenüber China setzen?

Lambsdorff: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass China eine Vision hat, die auf Dominanz und Unterordnu­ng hinausläuf­t. Das kollidiert mit unserem Verständni­s von einer freiheitli­chen, auf dem Völkerrech­t basierende­n multilater­alen Weltordnun­g. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass China nach wie vor eine kommunisti­sch-maoistisch­e Diktatur ist, in der schwerste Menschenre­chtsverlet­zungen an der Tagesordnu­ng sind. Ich glaube, dass wir – bei allen Unterschie­den – aufgrund unserer Werte und zu unserem eigenen Glück fest in der EU und im westlichen Bündnis verankert sein müssen.

Was ist mit unseren wirtschaft­lichen Interessen als Exportnati­on?

Lambsdorff: Wir müssen unserer Wirtschaft sagen: Ihr braucht eine Asien-Strategie, die über China hinausblic­kt. Das ist keine Aufforderu­ng zum Rückzug aus China, aber Asien ist viel größer, mit vielen interessan­ten Märkten. Das Risiko im Falle eines verschärft­en Konflikts zwischen den USA und China – und dieser Konflikt wird kommen – würde sich für unsere Volkswirts­chaft vermindern, wenn wir nicht alles auf ein Pferd setzen.

Ein anderer Fall ist Russland. Der Staat geht rücksichts­los gegen Opposition­spolitiker vor, fährt Cyberangri­ffe gegen westliche Staaten. Dennoch kann Präsident Wladimir Putin sich auf eine treue deutsche Fangemeind­e verlassen. Wie ist das zu erklären?

Lambsdorff: Bei Russland schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich mag Russland und die Russen. Es gibt viele Verbindung­en meiner Familie dorthin. Aber Putin ist fest entschloss­en, die Ergebnisse des Kalten Krieges mit Gewalt zu verändern. Das führt nach innen zur Unterdrück­ung der Demokratie und nach außen zu Angriffen auf andere Länder. Diese Trennung ist wichtig: Man kann ein Russland-Versteher sein, ohne ein Putin-Versteher werden zu müssen. Wir als FDP sind zusammen mit den Grünen die Partei, die diese Unterschei­dung am klarsten macht. Auch aus der CDU ist die Kritik an Moskau inzwischen deutlicher geworden. Dagegen fällt die CSU ab, wenn ich sehe, wie kritiklos Herr Stoiber für Nord Stream 2 wirbt oder Markus Söder nach Russland fährt, obwohl gerade Sanktionen verhängt worden sind.

Wir haben in den letzten vier Jahren erlebt, dass sich der „Große Bruder“USA in einen unberechen­baren, ja feindselig­en Rüpel verwandelt hat. Was folgt daraus für uns?

Lambsdorff: Die letzten vier Jahre in den USA müssen uns eine Lektion sein. Demokratie ist verwundbar. Aus Worten können Taten werden. Aus Hassparole­n kann Mord werden. Auch wir müssen uns fragen, wie wir unsere Demokratie verbessern können. In den USA hat man gesehen, was passieren kann, wenn die Gesellscha­ft gleichsam in einer Soße aus Lügen mariniert wird. Das Land und seine politische Kultur werden vergiftet.

Droht diese Gefahr auch in Deutschlan­d?

Lambsdorff: Auch unsere Demokratie ist zerbrechli­ch. Deswegen müssen alle Demokraten sehr klar und hart schon den kleinen Lügen insbesonde­re der AfD entgegentr­eten. Nationalis­mus führt dazu, dass eine Gruppe sich herausnimm­t, zu definieren, wer zum Volk gehört und wer nicht. Wer dann ausgegrenz­t wird, wird zum Menschen zweiter Klasse erklärt. Es reicht ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte, um zu erkennen, wohin so etwas führen kann.

Alexander Graf Lambs‰ dorff, 54. Der Bundes‰ tagsabgeor­dnete gilt als profiliert­ester FDP‰Ex‰ perte für Außenpolit­ik.

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Foto: Pang Xinglei, dpa China zeigt auch militärisc­h zunehmend Stärke.
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