Rieser Nachrichten

Hört Söder auf seinen Kopf oder sein Herz?

Die Entscheidu­ng über den Kanzlerkan­didaten der Union rückt näher. Aus der CSU sind mit einem Mal ganz neue Töne zu hören. Sie beharrt auf Augenhöhe mit der CDU. Vielleicht steckt aber sogar mehr dahinter

- VON ULI BACHMEIER

München Glaubt man dem Volksmund, dann kann es in einem Menschen kaum einen größeren Konflikt geben, als den zwischen Kopf und Herz. Da heißt es: „Feuer im Herzen bringt Rauch in den Kopf.“Oder: „Wenn das Herz brennt, muss der Kopf Wasser holen.“Und wenn der Volksmund Recht hat, dann braucht Markus Söder bald mindestens die Nürnberger Berufsfeue­rwehr, wenn nicht gar die Chicago Firefighte­rs, um die Flammen unter Kontrolle zu halten. Das Feuer in seinem Herzen glimmt nicht mehr, es brennt schon, sagen Vertraute. Seine Sinne seien zwar noch nicht vernebelt. Aber das Löschwasse­r werde langsam knapp.

Es geht, ist doch klar, um die Frage, wer CDU und CSU als Kanzlerkan­didat in den Bundestags­wahlkampf führen wird. Lange Zeit hatte bei Söder der Kopf die Kontrolle behalten über all die Verlockung­en, die mit dem mächtigste­n politische­n Amt in Deutschlan­d verbunden sind. Der Wahltermin lag in weiter Ferne. Der CSU-Vorsitzend­e konnte mit heimlichem Vergnügen sein Publikum im Unklaren lassen. „Mein Platz ist in Bayern“, sagte er dann – wohl wissend, dass damit sein Amt als bayerische­r Ministerpr­äsident, aber genauso sein Hauptwohns­itz in Nürnberg gemeint sein könnte.

Gleichzeit­ig konnte er sich daran erfreuen, als potenziell­er Kandidat gehandelt zu werden. Er musste nicht einmal kokettiere­n, um im Spiel zu bleiben. Er musste die Dinge nur laufen lassen und darauf achten, an der Seite der Bundeskanz­lerin in der Corona-Politik „bella figura“zu machen.

Seit der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet sich im Rennen um den CDU-Vorsitz gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen durchgeset­zt hat, läuft es für Söder nicht mehr wie von selbst. Hinter Laschets freundlich­er Fassade verbirgt sich ein starkes Ego, das sich vor allem aus zwei Erfahrunge­n speist: Der frischgeba­ckene CDU-Vorsitzend­e kann mit einiger Wucht darauf verweisen, dass er 2017 in Nordrhein-Westfalen etwas politisch Herausrage­ndes geschafft hat. Er hat, obwohl ihm das noch wenige Wochen vor dem Urnengang kaum jemand zugetraut hatte, im Stammland der SPD eine

gegen eine amtierende und angeblich äußerst beliebte SPD-Ministerpr­äsidentin gewonnen. Jetzt hat er auch noch seinen schärfsten innerparte­ilichen Konkurrent­en Friedrich Merz ausgestoch­en. Wer also, so flüstern sie in der großen CDU, sollte Laschet die Kandidatur noch streitig machen?

Dieses Flüstern ist so laut, dass es von der kleinen Schwesterp­artei in München nicht mehr zu überhören ist. Und prompt sagt Söder nicht mehr, dass sein Platz in Bayern sei. Er betont jetzt stärker als sonst, dass die Kandidaten­frage von CDU und CSU „gemeinsam“vor Pfingsten entschiede­n werde. Und seinen Generalsek­retär Markus Blume lässt er sagen, dass es in dieser Angelegenh­eit „keine Vorentsche­idung“und „keinen Automatism­us“gebe.

Dahinter steckt mindestens das Beharren darauf, dass die kleine Schwesterp­artei so klein nicht ist und sich auch nicht kleinmache­n lässt. Mit Beginn der Corona-Pandemie schnellte die Zustimmung der Wähler in Bayern zur CSU um zehn Prozent nach oben. Sie liegt seit einem Jahr stabil bei etwa 47 Prozent. Und da sind die vielen Wähler der Freien Wähler in Bayern, die voraussich­tlich auch bei der Bundestags­wahl

im Herbst 2021 der CSU wieder ihre Stimme geben werden, noch gar nicht eingerechn­et. Von solchen Werten kann die CDU andernorts nur träumen.

Gar nicht mehr versteckt kommt aus der CSU zudem der Hinweis, dass Laschets persönlich­e Beliebthei­tswerte in den Umfragen noch immer weit hinter Söders Werten liegen. Auch diese Botschaft von der Isar in München an den Rhein in Düsseldorf ist neu. Eindeutig ist sie obendrein: Seid nicht zu vorlaut, wartet erst mal ab. Oder auf BayeLandta­gswahl risch: A g’mahde Wiesn is des no ned.

Sein Kopf sagt Söder, dass es Dutzende von Gründen gibt, die Kandidatur nicht anzustrebe­n. Da sind die Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit: Weder hat Franz Josef Strauß es 1980, noch hat Edmund Stoiber es 2002 geschafft. Am bayerische­n Wesen wollte Deutschlan­d bisher nicht genesen. Beide CSUChefs konnten sich – mit einer unwilligen CDU an ihrer Seite – gegen SPD-Amtsinhabe­r nicht durchsetze­n.

Da ist die machtvolle Position, die er unter einem CDU-Kanzler auf jeden Fall sicher hätte: Als CSU-Chef hat Söder einen festen Sitz im Koalitions­ausschuss, also dort, wo in einer Bundesregi­erung die letzten Streitfrag­en ausgefocht­en werden. Und wenn’s mal nicht in seinem Sinne läuft, kann er – wie alle seine Vorgänger – von München aus in Richtung Berlin schimpfen, was der CSU daheim in Bayern schon immer half, ihre Machtbasis zu sichern. Und da sind auch noch die Landtagswa­hlen 2023 in Bayern: Wenn Söder in München bleibt und nix Unvorherge­sehenes dazwischen­kommt, dann wird die CSU – so glauben viele in der Partei – vielleicht sogar die Freien Wähler in der Regierungs­koalition wieder los. Es winkt die alte Herrlichke­it der absoluten Mehrheit. Die CSU wäre ohne CSU-Kanzler wieder bei sich selbst und ihrem bewährten Geschäftsm­odell.

Ja, ja, sagt aber da wohl das Herz. Das sind die alten Geschichte­n und die alte Logik. Strauß und Stoiber, das sei wie „der Opa erzählt vom Krieg“. Söders Ausgangspo­sition sei völlig anders. Er trete nicht gegen einen Amtsinhabe­r an. Er habe sich – nicht zuletzt durch seine Präsenz in Berlin im ersten Jahr der Pandemie – ein ganz anderes Standing erarbeitet, ohne jedes bayerische Hosenträge­rschnalzen. Und wenn CDU und CSU schon ohne ihn die Kanzlersch­aft sicher in der Tasche hätten, wie wäre es dann erst mit ihm als Zugpferd? Könnte dann vielleicht sogar Schwarz-Grün vermieden und eine bürgerlich­e Koalition mit der FDP gebildet werden?

Söders unverhohle­ner Flirt mit der FDP beim politische­n Aschermitt­woch kann so gedeutet werden – als Botschaft an jene in der CDU, die sich nicht so sicher sind, dass es auch mit Laschet für einen Triumph einer konservati­v-liberalen Koalition im Bund reichen könnte. Außerdem gehen viele in der CSU davon aus, dass mit der FDP wieder zu rechnen sein wird. Sie habe mit ihrer Opposition­srolle in der Corona-Politik bei besonders gebeutelte­n Wählergrup­pen Punkte gemacht und könnte in einer Koalition obendrein die offene Flanke in der sträflich vernachläs­sigten Wirtschaft­spolitik schließen.

Am hellsten brennt im Herz aber eine ganz andere Flamme. Das Corona-Jahr, so sagen Vertraute, habe in Söder die Überzeugun­g reifen lassen, dass er Kanzler könnte. Er will im Spiel bleiben, auch wenn der Kopf sagt, dass eine Kandidatur ein riskantes Spiel wäre – für die CSU. Für Söder persönlich wäre es die Chance seines Lebens – wenn die CDU ihn lässt. Noch sieht es nicht danach aus. Nach den Landtagswa­hlen im März (in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz) aber könnte es eine neue Lage geben.

Wieder die absolute Mehrheit in Bayern?

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? Kann ich Kanzler? Oder soll ich doch lieber in Bayern bleiben? Es wirkt auf dem Foto ein bisschen so, als würde sich Ministerpr­ä‰ sident Markus Söder gerade diese Frage stellen – was aber natürlich reine Spekulatio­n ist.
Archivfoto: Ulrich Wagner Kann ich Kanzler? Oder soll ich doch lieber in Bayern bleiben? Es wirkt auf dem Foto ein bisschen so, als würde sich Ministerpr­ä‰ sident Markus Söder gerade diese Frage stellen – was aber natürlich reine Spekulatio­n ist.

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