Die Gefahr im Einkaufskorb
Spielzeug, Autos, Elektrogeräte – noch nie waren in der EU so viele unsichere Produkte im Verkehr wie zuletzt. Betroffen sind verstärkt auch Waren zum Schutz vor Corona
Brüssel Es gibt sie immer noch: die Nachtleuchten für Kinder in Form eines kuscheligen Bärchens, das aber wegen ungenügender Isolation Stromschläge von sich gibt. Auch die Rückrufe von Autos – mal wegen Brandgefahr, mal wegen defekter Software, die Eingaben des Fahrers ignoriert – haben 2020 zugenommen. Der jährliche Bericht der Europäischen Kommission zur Produktsicherheit ist zu einem regelrechten Sündenregister geworden, in dem viel von gesundheitsgefährdenden oder riskanten Waren die Rede ist, die jährlich aus den Regalen geräumt wurden. Doch 2020 hat sich die Lage deutlich verschärft.
5377 Mal schlugen die Behörden Alarm – „ein Rekordwert“, wie EUJustizkommissar Didier Reynders am Dienstag bei der Vorstellung des Berichtes für das Vorjahr feststellte. Insgesamt waren 2253 Produkte betroffen. In neun Prozent aller Fälle ging es um lebenswichtige Waren zum Schutz vor dem Coronavirus. 161 Warnungen betrafen Masken, die schützen sollten, dies aber nicht – zum Beispiel, weil die verarbeiteten Nanopartikel von den Trägern hätten eingeatmet werden können. 13 Mal warnten die Behörden der 31 Staaten (EU plus Großbritannien, Norwegen, Island und Liechtenstein) vor Handdesinfektionsmitteln, die giftige Chemikalien enthielten. Zum Beispiel Methanol, das bei Verschlucken zu Erblindung oder sogar zum Tod führen kann. In 18 Fällen schritten die Aufsichtsbehörden gegen UV-Lampen ein, die angeblich zur Sterilisierung nützlich sein sollten. Allerdings war die Strahlenbelastung für Menschen im gleichen Raum so groß, dass die Prüfer das Risiko schwerer Hautreizungen sahen. In drei Fällen wurden Schutzoveralls zurückgerufen, weil sie aus durchlässigem Material hergestellt worden waren, sodass die Träger weiter dem Virus ausgesetzt blieben.
„Solche Produkte haben auf dem Binnenmarkt nichts verloren“, bilanzierte die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini, Vorsitzendes des Parlamentsausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, den Bericht. Schließlich gehe es bei den eingetretenen oder möglichen Verletzungen durch unsichere Produkte nicht um Kleinigkeiten. Am häufigsten wurden Waren gemeldet, die bei Kindern Knochenbrüche oder Gehirnerschütterungen verursachten (25 Prozent). Gefolgt von Gesundheitsgefahren durch chemische Bestandteile (18 Prozent). Bei zwölf Prozent schlugen die Marktbehörden Alarm, weil durch einen Gegenstand Erstickung drohte. Die dramatische Zunahme weiterer Gefährdungen durch Spielleisteten zeug (27 Prozent der gemeldeten Fälle), Kraftfahrzeuge (21 Prozent) und Elektrogeräte (zehn Prozent) führen die Brüsseler Marktexperten auf die Coronavirus-Krise zurück.
„Mit der durch die Pandemie beschleunigten Verlagerung des Kaufverhaltens ins Internet finden sich vermehrt auch unsichere Produkte auf Online-Marktplätzen“, sagte Cavazzini. Zwar arbeitet die EU derzeit an einem neuen Regelinstrument, mit dem alle im analogen Leben geltenden Verbraucherschutzvorschriften auch auf den digitalen Bereich übertragen werden sollen. Doch das Vorhaben zieht sich noch immer hin. Die Kommission hat deshalb eine Kooperation von Unternehmen gegründet, die sich selbst verpflichteten, die Sicherheit der auf ihren Marktplätzen angebotenen Produkte zu verbessern und gegebenenfalls Waren auch zu entfernen. Dazu gehören große Namen wie Amazon, Ebay, Aliexpress, Rakuten, Allegro, Etsy und Joom. Dass es trotzdem zu einer eklatanten Steigerung der Produktwarnungen gekommen ist, wird in Brüssel als Alarmzeichen gewertet.