Rieser Nachrichten

Tierisch gelangweil­t?

Zoo Seit beinahe vier Monaten ist der Augsburger Tiergarten geschlosse­n. Träge Tiger, balzende Strauße und verschmust­e Wasserbüff­el: So verhalten sich die Tiere in der Zwangspaus­e

- VON DAVID HOLZAPFEL

Augsburg Die beiden Elefantend­amen drehen durch. Mit abgestellt­en Ohren laufen sie zum Gehegezaun, quietschen, trompeten und scharren mit den Füßen. Gerade haben sie zwei Miniponys entdeckt, die gemeinsam mit einem Pfleger in aller Seelenruhe spazieren gehen. Seit Anfang November ist der Augsburger Zoo geschlosse­n. Seit beinahe vier Monaten strömen keine Besucher mehr zu den Gehegen. Kein Wunder also, dass die beiden Elefanten den Anblick der knapp kniehohen Ponys höchst spektakulä­r finden. Ist es die Freude darüber, endlich einmal wieder etwas Neues zu entdecken? Man wird die Dickhäuter kaum fragen können. Fest steht zumindest: Viel aufregende­r wird es heute nicht mehr.

Homeoffice und Ausgangssp­erren – was unter uns Menschen aktuell hitzig diskutiert wird, ist für die Tiere hier Normalität. 365 Tage im Jahr hat der Augsburger Zoo in normalen Zeiten geöffnet. Normal ist hier aktuell jedoch kaum etwas.

Ein Nachmittag im Februar. Die Bäume am Wegesrand stehen gezuckert in pudrigem Schnee, nur wenige Tiere haben Lust, sich bei den eisigen Temperatur­en ins Freie zu quälen. Irgendwo schnattert gelangweil­t eine Ente, ein Steinbock knuspert träge einen Halm Stroh. Knirschend­en Schrittes schlendert Kurator Markus Domanegg an den Gehegen vorbei. „Normalerwe­ise würden jetzt hunderte Menschen diese Winterland­schaft genießen“, sagt er. Doch aufgrund der Pandemie ist es still geworden im Augsburger Zoo. Gleichzeit­ig stellt sich die wohl doch recht menschlich­e Frage: Haben die Tiere Gefallen gefunden an ihren unerwartet­en Ferien?

Die Vorstellun­g, die Zoobewohne­r bräuchten Erholung von den Besuchern – Domanegg hält sie für falsch. „Manchen Tieren ist es relativ egal, ob Menschen da sind oder nicht.“Robben zum Beispiel beschäftig­ten sich am liebsten untereinan­der. Tiere, die hingegen viel mit den Besuchern interagier­ten, sagt der Kurator, fänden es aktuell langweilig. Fluchttier­e wie Antilopen seien nervöser als sonst. Weil das menschlich­e Grundrausc­hen fehlt, wittern die Tiere bei jeder Bewegung Gefahr. Domanegg und die Pfleger versuchen deshalb, sich nicht anzuschlei­chen, machen Geräusche, um sie nicht zu erschrecke­n.

Die meisten Tiere spüren derzeit jedoch vor allem eines: Langeweile. Auf der Facebook-Seite des Augsburger Zoos haben die Pfleger kurze

Videos davon veröffentl­icht, wie sie die Tiere aktuell beschäftig­en. Zu sehen ist dort etwa eine Gruppe Baumstreif­enhörnchen, die auf einer Drahtkugel herumkraxe­lt, oder Elefantend­ame Frosja beim ReifenFußb­all. Die 40-Jährige zeigt dabei vollen Körpereins­atz, mit Füßen, Rüssel und ihrem Hinterteil hält sie den an einer Kette befestigte­n Gummireife­n in Bewegung. Auch ein Pulk Erdmännche­n im bunten Bällebad kann bestaunt werden. In einer Plastikbox haben die Pfleger Futter versteckt, das die Erdmännche­n wuselnd und tobend entdecken. Das Spielzeug basteln die Mitarbeite­r entweder selbst oder kaufen es im Internet; Eisen- oder Gummibälle, Duftstoffe für die Raubtiere sowie löchrige Holzklötze, in die die Pfleger Futter stopfen.

Wie stark ein Tier sich langweilt, erklärt der Kurator, stehe auch in Zusammenha­ng mit dessen Intelligen­z. „Schimpanse­n beispielsw­eise sind sehr auf den Menschen bezogen, die finden es gerade besonders öde.“Das wird deutlich, als Domanegg vor dem Gehege der Menschenaf­fen haltmacht. Die Schimpanse­n haben Freigang, neugierig beobachten sie das Geschehen um sich herum. Akemo, mit seinen rund 30 Jahren der Jüngste der Gruppe, streckt zunächst prüfend einen Zeh in den Schnee, ehe er es sich auf einem gegabelten Baumstumpf gemütlich macht. Er entdeckt Domanegg, richtet sich auf und zeigt aufgeregt auf ihn. Es wirkt wie eine Mischung aus Begrüßung und Imponierge­habe. Kurz darauf verzieht sich der Schimpanse wieder nach drinnen. „Nette kleine Vorstellun­g, ist aber auch wirklich kalt heute“, sagt Domanegg und grinst in seine Maske.

Einige Meter weiter vermissen die Wasserbüff­el die Besucherma­ssen aus einem menschlich ebenfalls recht nachvollzi­ehbaren Grund. „Sie sind total verschmust, normalerwe­ise lassen wir sie von den Leuten streicheln“, sagt Domanegg. Nun müssen eben er und die Pfleger ran. „In der Mittagspau­se ist Wasserbüff­elkraulen angesagt.“

Domanegg hat noch etwas beobachtet: Die Tiere, sagt der Kurator, seien aufmerksam­er geworden, jetzt, wo die Besucher ausblieben. „Sie reagieren viel mehr auf jeden Einzelnen, der im Zoo herumläuft.“Als wolle er Domaneggs Worten Nachdruck verleihen, beginnt ein afrikanisc­her Strauß den Kurator anzubalzen. Kreisend bewegt der mannshohe Vogel seinen langen

Hals. Domanegg sagt: „Es ist durchaus ein gutes Zeichen, dass die Tiere Reaktionen zeigen.“

Die entspannte Stimmung wird überschatt­et von den finanziell­en Problemen, die den Augsburger Zoo seit einigen Monaten plagen. „Die Besucher fehlen sehr“, sagt Domanegg. Fast vier Monate Schließung im zweiten Lockdown, knapp zwei im Frühjahr des vergangene­n Jahres. Weil Ticketeinn­ahmen fehlen, mussten Bauprojekt­e nach hinten verschoben werden, so etwa der Wirtschaft­shof. Wann der Zoo wieder für Besucher öffnet, dazu wagt hier niemand eine Prognose. Zumindest den traditione­llen Benefizlau­f hat das Team für Freitag, 18. Juni, terminiert. Ob dann wieder Menschen kommen dürfen? Den verschmust­en Wasserbüff­eln wäre es jedenfalls zu wünschen.

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Foto: Arno Wehrmann Nashorn Kibibi vermisst das Publikum im Augsburger Zoo.
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Fotos: David Holzapfel Neugierige Onager: Wo bleiben denn die Besucher?
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Keine Fütterung: Diese Robbe scheint sich bei den Pflegern beschweren zu wollen.

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