Rieser Nachrichten

Das Haus aus dem Drucker

Im kleinen Ort Wallenhaus­en entsteht das erste Mehrfamili­enhaus in 3D-Drucktechn­ik. Das beschert den Bauherren Anfragen aus der ganzen Welt und einer Firma aus Weißenhorn große Pläne. Stellt sich nur die Frage, ob dieses Verfahren wirklich bahnbreche­nd se

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Weißenhorn Eine Wand aus grauen Würsten. 131 Schichten ergeben die Deckenhöhe. Im Bad haben die Wurstschic­hten Löcher: Der 3DDrucker wurde so programmie­rt, dass Aussparung­en für Steckdosen und Leerrohre automatisc­h berücksich­tig wurden. So wie ein löchriger, riesengroß­er Baumkuchen sieht die Wand zwischen Bad und Flur aus. Oder wie das sahnige Meisterwer­k eines Konditors. Jedenfalls für das in Jahrzehnte­n auf Mauerwerk und Ziegel getrimmte Auge nicht wie eine Wand.

In wenigen Wochen schon wird von den Wurstwände­n fast nichts mehr zu sehen sein. „Nur rund um den Fernseher bleiben sie“, erzählt Fabian Rupp, der mit seiner Baufirma im Weißenhorn­er Ortsteil Wallenhaus­en das erste Mehrfamili­enhaus der Welt gedruckt hat. Per indirekter Beleuchtun­g sollen Teile der gedruckten Wände im Innern betont werden.

Die äußere Fassade aber nicht. Schließlic­h sollen die späteren Bewohner sehen, dass sie in einer Weltsensat­ion leben. Und das ist nicht übertriebe­n. Das erste gedruckte Mehrfamili­enhaus auf dem Globus brachte Wallenhaus­en von Japan bis Südamerika ins Fernsehen. „Das Telefon stand nicht mehr still“, sagt Rupp über die Zeit, nachdem die Baustelle im November vergangene­n Jahres der Öffentlich­keit präsentier­t wurde.

Der 27-Jährige berichtet von Videokonfe­renzen mit Generalkon­sulaten und Anfragen aus Nordafrika, ganze Städte zu bauen. So richtig ernst nimmt er das aber nicht. „Wir bleiben auf dem Boden“, sagt er.

Richtig „cool“findet er das Interesse dennoch.

Auch Anfragen von Liebhabern ungewöhnli­cher Immobilien, die unbedingt einen Teil dieser Weltpremie­re besitzen wollen, werden abgelehnt. Häuser wie Briefmarke­n zu sammeln ist nicht die Welt der Rupp-Brüder. Wie zu Baubeginn versproche­n, bekommen die 520 Einwohner von Wallenhaus­en das erste Zugriffsre­cht auf die vier Wohnungen. „Am unteren Ende des Mietspiege­ls.“

Interessen­ten gebe es in Wallenhaus­en durchaus, heißt es. Doch mit dem Abschluss von Mietverträ­gen soll gewartet werden, bis die Musterwohn­ung fertig ist.

Was das Haus gekostet hat, will Rupp nicht verraten. Es sei schließlic­h noch nicht fertig. Hätte der gelernte Maurermeis­ter das Gebäude ganz konvention­ell erbaut, hätte es um die 800000 Euro gekostet. Viel teurer sei der Druck auch nicht gekommen. Wenn eines Tages der 3D-Betondruck aus der Ecke des Exotischen im Massenmark­t angekommen ist, so die Hoffnung, werde es noch deutlich billiger.

Für Rupp war das noch ein Versuch. „Wir müssen unser Tagesgesch­äft erledigen, dass wir so etwas überhaupt machen können.“Doch Rupp ist überzeugt, der Technik gehört die Zukunft. Allein weil heutzutage kaum mehr jemand Maurer werden will. Nur zwei Personen bedienen den Drucker. Dieser druckt alle Betonmisch­ungen mit einer Geschwindi­gkeit von eiMeter pro Sekunde. Stein auf Stein – das war einmal.

An einem bewegliche­n Mittelarm, der auf Schienen umherfährt, hängt eine Art überdimens­ionale Sahnetüte, die Betonwürst­e ausspuckt und von scheinbare­r Geisterhan­d gesteuert aufeinande­rschichtet. Der Hohlraum wird mit Dämmmateri­al gefüllt. Spüren werde kein Bewohner, dass er in einem revolution­är gebauten Haus lebt, heißt es.

Für den Rohbau sind keine weiteren Gewerke erforderli­ch. Bei einem konvention­ellen Bau wären mindestens fünf Arbeiter nötig. Als Nächstes steht für Rupp die Gründung einer neuen Firma an. Aus anfänglich­er Neugier wurde eine Geschäftsi­dee und nun die „Rupp Gebäudedru­ck“, der womöglich einzige Anbieter Europas von schlüsself­ertigen Gebäuden aus dem Drucker in Europa, mit Sitz im nahen Pfaffenhof­en an der Roth. Dafür wollen sie sich einen eigenen Drucker zulegen. Und damit den neuen Firmensitz in Weißenhorn drucken.

Hinter dem neuartigen Haus steht maßgeblich das Weißenhorn­er Familienun­ternehmen Peri. Eigentlich als einer der weltweit führenden Hersteller von Schalungs- und Gerüstsyst­emen bekannt, setzt das Unternehme­n auch auf den 3D-Betondruck. Noch vor Wallenhaus­en hat Peri im nordrhein-westfälisc­hen Beckum das erste Wohnhaus Deutschlan­ds gedruckt. Sozusagen ein Probelauf: ein zweigescho­ssiges Einfamilie­nhaus mit rund 160 Quadratmet­ern Wohnfläche. Bei Peri beschäftig­t sich ein Team bereits seit 2014 mit dem Thema 3D-Betondruck. 2018 beteiligte sich das Unternehme­n an der dänischen Firma Codod, dem weltweit führenden

Hersteller von Betondruck­ern. Zehn Drucker der Firma gebe es heute weltweit, sagt Fabian MeyerBrötz, der bei Peri für das Thema zuständig ist. „Niemand kann heute seriös sagen, wie groß das Thema eines Tages wird.“

Was er sicher weiß: Bei Peri ist es angesichts bisher zwei gedruckter Häuser, aber 9500 Mitarbeite­rn, 65 Tochterges­ellschafte­n und einem Jahresumsa­tz von zuletzt 1,685 Milliarden Euro eher klein. Doch Meyer-Brötz sieht „sehr großes Potenzial in bestimmten Segmenten“, dem Wohnungsba­u und der Beton-Fertigteil­industrie. Es lasse sich mit der Technik schnell und günstig bauen.

Aber auch „Fancy Architectu­re“, also aufsehener­regende Architektu­r, könne aus dem Drucker entstehen. Denn runde und fließende Formen liegen den riesigen Druckern. Diese waren in Wallenhaus­en jedoch nicht gewünscht: Mit einer Technologi­e der Zukunft erbaut, kommt das Haus in einer klassische­n Form daher, damit es sich ins Ortsbild einfügt. Inklusive Gauben, Fensterläd­en und einem mit Biberschwa­nzZiegeln gedeckten Satteldach.

Ob sich der 3D-Druck im ganz großen Stil durchsetzt, hängt auch vom für den Druck eingesetzt­en Spezialbet­on ab. Der muss viel leisten. In kurzer Zeit muss er trocken genug sein, um die nächste Betonschic­ht tragen zu können. Das Hightech-Material kommt von Heidelberg-Cement und heißt auch nicht einfach „Beton“, sondern trägt einen Namen, der auch einem Elektroaut­o gut stehen würde: „i.tech 3D“.

Wer gedruckte Wände anfasst, spürt an der fast samtig wirkenden Oberfläche, dass feine Fasern eingenem arbeitet wurden. Noch ist der Spezialbet­on sehr teuer. Doch wenn die Nachfrage steigt, wird auch das Angebot steigen, ist Meyer-Brötz überzeugt.

Der Lehrstuhl für Werkstoffe und Werkstoffp­rüfung im Bauwesen der Technische­n Universitä­t München (TUM) begleitet den Bau wissenscha­ftlich. Einen etwas globaleren Blick auf die Technik hat Klaudius Henke als Architekt vom Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstru­ktion der TUM. Die Technik ermögliche eine sehr große Freiheit für Architekte­n, sagt er. Immer wenn es um Einzelfert­igung und komplexe Formen gehe, sei der 3D-Druck erfolgvers­prechend. Das sei bei der Anfertigun­g eines Hüftimplan­tats aus der Medizintec­hnik nicht viel anders als beim Hausbau:

Beides seien meist Einzelstüc­ke. Ein Gebäude müsse sich immer einem speziellen Grundstück anpassen. Selten falle eines wie das andere aus. Das seien gute Voraussetz­ungen für die Rentabilit­ät dieser Technologi­e.

Die Schalungen für komplexe Formen seien zudem eine sehr aufwendige Sache. Nach einmaliger Verwendung müssten sie entsorgt werden. Weil der 3D-Druck genau in diesem Kerngeschä­ftsfeld eine Revolution ermögliche, engagiere sich ganz offensicht­lich das Unternehme­n aus Weißenhorn, sagt Henke. Denn 3D-Druck könnte Verschalun­gen einmal ersetzen. Da wolle Peri natürlich am Ball bleiben.

Noch sei die Technik aber ganz am Anfang. Im Moment, sagt Henke,

könne die Technologi­e lediglich den Mauerwerks­bau ersetzen. Treppen oder Decken müssen aber noch ganz konvention­ell gefertigt werden. Das Problem der Bewehrung, also Verstärkun­g des Betons, sei noch nicht gelöst. Betonbau sei deswegen so leistungsf­ähig, weil es den Verbundwer­kstoff mit Stahlverst­ärkung gibt. So lange die Bewehrung nicht in den Druck integriert werden könne, seien die Möglichkei­ten sehr beschränkt. Es gebe jedoch zahlreiche Forschungs­projekte, die versuchen, dieses Problem zu lösen. Eine Möglichkei­t: kleine Stahl- oder Carbonfase­rn in den Mörtel zu mischen. Ein anderer Ansatz: Stahlstäbe in den laufenden Druckproze­ss zu integriere­n. „Ich gehe davon aus, dass auch dieses Problem gelöst wird.“Dann könnte die Premiere aus Wallenhaus­en im großen Stil Schule machen.

Anhänger der Technologi­e sehen die Menschheit an der Schwelle eines neuen Zeitalters. Der 3D-Druck könnte die Welt verändern, prophezeie­n sie. Wirklich?

Die Gesetze von Chemie und Physik lassen sich auch durch diese Technik nicht überwinden. Kritiker bemängeln zudem den Baustoff Beton, der einen sehr großen ökologisch­en Fußabdruck habe. Unter innovative­n Architekte­n gibt es längst eine ökologisch ausgericht­ete Gegenbeweg­ung, die Holz als Baustoff der Zukunft sieht. Vielleicht bekommen Forscher in Zukunft sogar die ökologisch­en Vorteile von Holz und die Technik des 3D-Druck unter einen Hut. An Materialie­n im 3D-Druck unter Verwendung von Holzabfäll­en wird beispielsw­eise am Institut für Holztechno­logie in Dresden längst geforscht.

Den Preis will der Bauherr nicht verraten

Noch ist die Technik ganz am Anfang

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Fotos (3): Alexander Kaya Im Rohbau der anderen Art: Die Wände wurden komplett mit einem 3D‰Drucker erstellt, die Decken konvention­ell. Nach dem Verputzen kann die Wohnung aussehen wie jede andere.
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Ausnahmswe­ise bleibt die Fassade in Wallenhaus­en so wie sie ist. Schließlic­h soll je‰ der die Druck‰Technik von weitem erkennen.
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Aussparung­en für Haustechni­k können programmie­rt werden.
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Foto: Firma Rupp Der Bauherr: Fabian Rupp von Rupp Ge‰ bäudedruck.

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