Rieser Nachrichten

„Mehr soziales Leben wäre möglich“

FDP-Chef Christian Lindner ist mit den neuen Corona-Beschlüsse­n nicht einverstan­den. Freuen kann er sich über das Interesse von Armin Laschet und Markus Söder an seiner Partei

- In einem Untersuchu­ngsausschu­ss? Interview: Bernhard Junginger und Stefan Lange

Lindner, bisher haben die Bürger den Corona-Kurs der Regierung mitgetrage­n, nun wächst das Murren. Schlägt jetzt die Stunde der FDP? Wie lässt sich der liberale Freiheitsg­edanke mit Infektions­schutz verbinden?

Christian Lindner: Wir relativier­en die Gefährlich­keit des Virus und seiner Mutationen nicht. Anspruch einer liberalen Partei aber muss es sein, Gesundheit­sschutz und Freiheit so gut es geht auszubalan­cieren. Jede Einschränk­ung von Grundrecht­en muss gut begründet und verhältnis­mäßig sein. Inzwischen wissen wir mehr über das Virus als vor einem Jahr. Anders als das CDU-geführte Kanzleramt sind wir der Meinung, dass bei entspreche­nden Schutzkonz­epten mehr soziales Leben möglich wäre.

Und sofort steigen die Infektione­n!

Lindner: Nein, denn es geht nicht darum, alles sofort und überall aufzumache­n. Schon lange werben wir für regionale Differenzi­erung. Für Hotspots müssen andere Regeln gelten als in Gebieten mit wenig Infektions­geschehen. Der verstärkte Einsatz von Schnell- und Selbsttest­s, schnellere Impfangebo­te, gute Masken und konsequent­e Hygienekon­zepte machen Öffnungen über das hinaus verantwort­bar, was am Mittwoch beschlosse­n wurde.

Jens Spahn hat davon gesprochen, dass wir uns bald viel verzeihen müssen. Ein Jahr später: Welche Fehler haben er und die Bundesregi­erung gemacht und sind diese verzeihlic­h?

Lindner: Es gab zu Beginn der Pandemie Fehleinsch­ätzungen durch jeden von uns. Das sollte man sich wechselsei­tig verzeihen. In einem anderen Licht sehe ich Management­fehler, die der Bundesregi­erung auch aktuell noch passieren. Zum Beispiel ist nicht zu verstehen, warum es bei den Schnelltes­ts so schleppend vorangeht. Für den Bundesgesu­ndheitsmin­ister sehe ich hier eine neuerliche Bewährungs­probe. Er trägt die Verantwort­ung dafür, dass sich die Beschaffun­gsprobleme bei Masken und Impfdosen bei den Tests nicht wiederhole­n.

Es gibt gerade bei der Maskenbesc­haffung einige Ungereimth­eiten im Gesundheit­sministeri­um. Gegen den CSU-Politiker Georg Nüßlein wird ermittelt. Was sagt die FDP dazu?

Lindner: Es gilt die Unschuldsv­ermutung, aber es gibt eine Reihe von Fragen rund um die Beschaffun­g, die tatsächlic­h aufgeklärt werden müssen. Gegenwärti­g interessie­rt uns vor allem die nach vorne gerichtete Problemlös­ung. Aber danach wird einiges aufgearbei­tet werden müssen, das ist völlig klar.

Lindner: Ein solcher Ausschuss ein halbes Jahr vor der Bundestags­wahl könnte schon allein aus Zeitgründe­n keine echte Aufklärung­sarbeit leisten. Wir müssen später besprechen, wie wir die Probleme beim CoronaMana­gement aufarbeite­n und uns besser auf eine mögliche nächste Pandemie vorbereite­n können.

Also nach der Bundestags­wahl und Sie gehen offenbar davon aus, dass die FDP dann wieder dabei ist. Wenn Sie mitregiere­n wollen, sind die Optionen weniger geworden: Die SPD ist in ihHerr

rem Programm nach links gerückt und im Bundestag liegt die FDP im Dauerclinc­h mit der CDU. Mit wem wollen Sie es versuchen?

Lindner: Wir sind eine eigenständ­ige Partei. Im Zentrum unserer Politik steht, dass wir den Menschen etwas zutrauen. Wir wollen ermuntern, entlasten und nicht erziehen. Die Wähler müssen entscheide­n, ob sie einen scharfen Linkskurs mit bedingungs­losem Grundeinko­mmen, Steuererhö­hungen und den Eigenheimv­erboten der Grünen wollen. Oder ob man die rötliche Variante mit Steuererhö­hungen und Tempolimit­s bevorzugt – oder ob man der Union vertraut, bei der nicht klar ist, welchem Kurs sie folgt. Ich bin sehr optimistis­ch, dass es eine wachsende Zahl von Bürgern gibt, die unsere Auffassung­en teilen.

Sind die Landtagswa­hlen in BadenWürtt­emberg und Rheinland-Pfalz am 14. März Richtungse­ntscheidun­gen?

Lindner: Es sind wichtige Wahlen, aber sie stehen nicht repräsenta­tiv für die Bundespoli­tik. Die Grünen von Herrn Kretschman­n in BadenWürtt­emberg zum Beispiel unterschei­det manches von den nach links strebenden Grünen im Bund. Die größten inhaltlich­en Überschnei­dungen sehe ich auf Bundeseben­e unveränder­t mit CDU und CSU. Umgekehrt sind wir für Herrn Laschet und Herrn Söder offensicht­lich auch der bevorzugte Koalitions­partner, wie beide sagen.

Wo liegen die roten Linien der FDP für eine Regierungs­beteiligun­g? Würden Sie es erneut mit Jamaika versuchen – und gegebenenf­alls aus weit gediehenen Gesprächen aussteigen?

Lindner: Wir gestalten gerne aus einer Regierung heraus. Umgekehrt aber können die Menschen sich darauf verlassen, dass es der FDP nicht um Dienstwage­n, sondern um Inhalte geht. Es war richtig, die Sondierung­en 2017 zu beenden. Die vollständi­ge Abschaffun­g des Solis, ein Digitalmin­isterium, eine vernünftig­e Energiepol­itik, mehr Einfluss des Bundes bei der Bildung – das alles wäre in der damaligen Konstellat­ion nicht umsetzbar gewesen. Bei Armin Laschet oder Markus Söder sehe ich inzwischen allerdings eine größere Bereitscha­ft, sich zu bewegen, als seinerzeit bei Angela Merkel. Für mich gilt die Garantie, dass es mit der FDP keine neuen Belastunge­n für Beschäftig­te und diejenigen geben wird, die unternehme­risches Risiko für Arbeitsplä­tze tragen. Mit der FDP wird es auch keine Politik geben, die neue Einfamilie­nhäuser de facto verbietet.

Kleben bald wieder die Plakate mit Ihnen im Unterhemd am Straßenran­d? Im Ernst: Der letzte FDP-Wahlkampf war sehr auf Sie persönlich zugeschnit­ten. Wird das wieder so sein?

Lindner: 2017 hatten alle Parteien ihre Spitzenkan­didaten auf den Plakaten. Offenbar waren wir so gut, dass sie nur unsere Plakate erinnern. Solche Fragen entscheide­t die Parteizent­rale danach, was Erfolg verspricht. Ich freue mich, dass wir mit Generalsek­retär Volker Wissing, Wolfgang Kubicki oder etwa der Bundeswehr­expertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann viele starke Persönlich­keiten haben.

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Foto: Nietfeld, dpa FDP‰Chef Christian Lindner sieht neue Chancen für die FDP.

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