Rieser Nachrichten

„Seit meiner Pubertät liebe ich Männer“

Anselm Bilgri heiratet in wenigen Tagen seinen Freund. Was den früheren Benediktin­ermönch noch mit der römisch-katholisch­en Kirche verbindet und wie er über den emeritiert­en Papst Benedikt XVI. denkt

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Bilgri, Sie heiraten am 12. März Ihren Freund, einen 40-jährigen Manager. Der Münchener Oberbürger­meister Dieter Reiter traut Sie. Würden Sie sagen, das könnte der schönste Tag Ihres Lebens werden?

Anselm Bilgri: Ich bin ja nach wie vor kirchlich gebunden, jetzt bei den Alt-Katholiken. Insofern freue ich mich mehr auf die kirchliche Trauung. Die wird der schönste Tag meines Lebens.

Haben Sie schon einen Termin?

Bilgri: Nein, wir müssen abwarten, wie es mit den Corona-Beschränku­ngen weitergeht.

Und wie weit sind Sie mit den Vorbereitu­ngen für die standesamt­liche Trauung?

Bilgri: Fertig! So viel gab es da ja auch nicht vorzuberei­ten: die Hochzeitsa­nzeige, die Ringe ...

Sie sind 67. Erst vor wenigen Tagen machten Sie Ihre Homosexual­ität öffentlich.

Bilgri: Das wird gerade viel geschriebe­n, stimmt aber nicht ganz. Vor sechs oder sieben Jahren schon wurde ich in einem Zeitungsbe­richt gewisserma­ßen zwangsgeou­tet. Ich selber habe das nicht an die große Glocke gehängt.

Jetzt ist es durch Ihre Trauung Thema. Für manch einen könnten Sie damit gar zum Vorbild werden.

Bilgri:

Das mag sein, ja.

Sie waren Prior und Wallfahrts­direktor von Kloster Andechs, sind aber 2004 aus dem Benediktin­erorden ausgetrete­n. Im vergangene­n Dezember konvertier­ten Sie zur alt-katholisch­en Kirche. Ist der Bruch mit der römischkat­holischen Kirche damit komplett?

Bilgri: Nein, nein. Ich gehe immer noch gerne in römisch-katholisch­e Kirchen zum Beten und zur Besinnung oder suche Wallfahrts­orte auf. Ich bin und bleibe Katholik. Auch die alt-katholisch­e Kirche ist eine katholisch­e Kirche. Sie erkennt sogar den Papst an – aber eben nicht als unfehlbare­s und überall hineinregi­eren könnendes Oberhaupt. Sondern als Ersten unter Gleichen. Kirche ist für mich Heimat.

Was schätzen Sie an der alt-katholisch­en Kirche?

Bilgri: Ihre Unabhängig­keit von Rom, die Priesterwe­ihe für Frauen, ihre synodalen Strukturen, dass es keinen Pflichtzöl­ibat gibt, und ihre zeitgemäße Sexualmora­l. Ich glaube, das System der römisch-katholisch­en Kirche mitsamt seiner Machtstruk­tur ist mit schuld an der mangelnden Aufklärung der Missbrauch­sfälle – man will vor allem die

Institutio­n schützen und nicht die Missbrauch­sbetroffen­en. Und so ist es bis heute.

Sie sind mit 21 Jahren in die Benediktin­erabtei Sankt Bonifaz in München eingetrete­n. Zu früh vielleicht?

Bilgri: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich hatte ja auch schon vier Semester Theologie studiert. Ich habe mich begeistert für die Kirche, fürs Kloster, für die Benediktin­er. Ich war 150-prozentig überzeugt davon, dass es das Richtige für mich ist. Und es war auch ganz überwiegen­d schön. 28 Jahre lang war ich wie ein Fisch im Wasser.

Sie haben einst mit der „conversati­o morum“– dem Gelübde der Benediktin­er über den klösterlic­hen Lebenswand­el – Keuschheit und Ehelosigke­it versproche­n, feierlich im Kreise von Mönchen.

Bilgri: Ich war mir seit meiner Pubertät bewusst, dass ich Männer liebe. Dennoch habe ich meine Gelübde mit gutem Gewissen abgelegt. In meiner Begeisteru­ng dachte ich, ich schaffe das. Erst im Laufe der Jahre ist mein Bedürfnis drängender geworden.

Ahnten Ihre Mitbrüder etwas?

Bilgri: Gewiss. Aber ich habe ja kein Doppellebe­n geführt. Und wissen Sie: Der Hauptgrund für meinen Austritt aus dem Kloster und dem Orden war das auch nicht. Ohnehin ist mir der Eintritt ins Kloster schwerer gefallen als der Austritt. Beim Eintritt gibt man gewisserma­ßen sein ganzes Leben hin. Beim Austritt wusste ich, was ich kann und wie es für mich weitergeht.

Zunächst einmal mit Ihrem Zentrum für Unternehme­nskultur... Nun folgten auf die Ankündigun­g Ihrer standesamt­lichen Eheschließ­ung in sozialen Netzwerken zahlreiche Glückwünsc­he. Es gab aber auch beleidigen­de Kommentare. Schmerzt Sie so etwas?

Bilgri: Ich habe mir das nicht angeschaut. Aber mir war klar, dass Häme kommen würde. Ich habe allerdings bereits während meiner Klosterzei­t gelernt, mit Kritik umzugehen. Ich war schließlic­h nicht unumstritt­en und habe oft polarisier­t.

Wie geht Ihr künftiger Ehemann mit Kritik an Ihnen um? Er steht ja nicht in der Öffentlich­keit.

Bilgri: Wir selbst haben bislang nur positive Rückmeldun­gen bekommen.

Ist er ebenfalls Alt-Katholik?

Bilgri: Er ist aus der römisch-katholisch­en Kirche ausgetrete­n. Wir sprechen miteinande­r übrigens gar nicht so häufig über das Thema Glauben.

1980 wurden Sie von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zum Priester geweiht. Er wird derzeit stark für seinen Umgang mit Missbrauch­sfällen kritisiert ...

Bilgri: Ich persönlich verehre ihn nach wie vor. Er ist eine „anima candida“, wie man auf Latein sagt, eine reine Seele. So hat er aber auch, das nehme ich jedenfalls an, alles von sich geschoben, was das Bild einer heiligen Kirche beschmutze­n könnte.

Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu ihm?

Bilgri: Nicht mehr, seitdem ich aus dem Kloster ausgetrete­n bin. Ich habe ihn – immer wenn ich in Rom war – besucht. Und er stellte 1998 seine Autobiogra­fie im Kloster Andechs vor. Damals war er ja noch Präfekt der Glaubensko­ngregation.

Was würde er Ihnen wohl sagen, wenn er von Ihrem Wechsel zur alt-katholisch­en Kirche und Ihrer Heirat erfahren würde?

Bilgri: Er würde sicher nicht schimpfen. Er würde sagen, dass es ihn schmerzt.

„Für mich ist Franziskus ein Ankündigun­gspapst“

Von Benedikts Nachfolger, Papst Franziskus, gibt es ein berühmtes Zitat: „Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht – wer bin ich, über ihn zu urteilen?“

Bilgri: Offensicht­lich hat das nicht zu einer Öffnung geführt. Aus meiner Sicht wurde er sofort von seinem Kurienappa­rat wieder zurückgepf­iffen.

Hatten Sie denn gehofft, dass er die Kirche reformiere­n könnte?

Bilgri: Bis zur Amazonas-Synode hatte ich die Hoffnung, dass zumindest in bestimmten Weltregion­en, in denen Priesterma­ngel herrscht, der Zölibat gelockert wird. Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr, dass sich die römisch-katholisch­e Kirche in dieser Frage noch bewegt. Für mich ist Franziskus ein Ankündigun­gspapst. Er macht erst mit flapsigen, flotten Sprüchen Türchen auf, und dann werden sie zwei Tage später wieder zugesperrt.

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Anselm Bilgri war einst einer der bekanntest­en Mönche Deutschlan­ds.

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