„Seit meiner Pubertät liebe ich Männer“
Anselm Bilgri heiratet in wenigen Tagen seinen Freund. Was den früheren Benediktinermönch noch mit der römisch-katholischen Kirche verbindet und wie er über den emeritierten Papst Benedikt XVI. denkt
Herr Bilgri, Sie heiraten am 12. März Ihren Freund, einen 40-jährigen Manager. Der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter traut Sie. Würden Sie sagen, das könnte der schönste Tag Ihres Lebens werden?
Anselm Bilgri: Ich bin ja nach wie vor kirchlich gebunden, jetzt bei den Alt-Katholiken. Insofern freue ich mich mehr auf die kirchliche Trauung. Die wird der schönste Tag meines Lebens.
Haben Sie schon einen Termin?
Bilgri: Nein, wir müssen abwarten, wie es mit den Corona-Beschränkungen weitergeht.
Und wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen für die standesamtliche Trauung?
Bilgri: Fertig! So viel gab es da ja auch nicht vorzubereiten: die Hochzeitsanzeige, die Ringe ...
Sie sind 67. Erst vor wenigen Tagen machten Sie Ihre Homosexualität öffentlich.
Bilgri: Das wird gerade viel geschrieben, stimmt aber nicht ganz. Vor sechs oder sieben Jahren schon wurde ich in einem Zeitungsbericht gewissermaßen zwangsgeoutet. Ich selber habe das nicht an die große Glocke gehängt.
Jetzt ist es durch Ihre Trauung Thema. Für manch einen könnten Sie damit gar zum Vorbild werden.
Bilgri:
Das mag sein, ja.
Sie waren Prior und Wallfahrtsdirektor von Kloster Andechs, sind aber 2004 aus dem Benediktinerorden ausgetreten. Im vergangenen Dezember konvertierten Sie zur alt-katholischen Kirche. Ist der Bruch mit der römischkatholischen Kirche damit komplett?
Bilgri: Nein, nein. Ich gehe immer noch gerne in römisch-katholische Kirchen zum Beten und zur Besinnung oder suche Wallfahrtsorte auf. Ich bin und bleibe Katholik. Auch die alt-katholische Kirche ist eine katholische Kirche. Sie erkennt sogar den Papst an – aber eben nicht als unfehlbares und überall hineinregieren könnendes Oberhaupt. Sondern als Ersten unter Gleichen. Kirche ist für mich Heimat.
Was schätzen Sie an der alt-katholischen Kirche?
Bilgri: Ihre Unabhängigkeit von Rom, die Priesterweihe für Frauen, ihre synodalen Strukturen, dass es keinen Pflichtzölibat gibt, und ihre zeitgemäße Sexualmoral. Ich glaube, das System der römisch-katholischen Kirche mitsamt seiner Machtstruktur ist mit schuld an der mangelnden Aufklärung der Missbrauchsfälle – man will vor allem die
Institution schützen und nicht die Missbrauchsbetroffenen. Und so ist es bis heute.
Sie sind mit 21 Jahren in die Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München eingetreten. Zu früh vielleicht?
Bilgri: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich hatte ja auch schon vier Semester Theologie studiert. Ich habe mich begeistert für die Kirche, fürs Kloster, für die Benediktiner. Ich war 150-prozentig überzeugt davon, dass es das Richtige für mich ist. Und es war auch ganz überwiegend schön. 28 Jahre lang war ich wie ein Fisch im Wasser.
Sie haben einst mit der „conversatio morum“– dem Gelübde der Benediktiner über den klösterlichen Lebenswandel – Keuschheit und Ehelosigkeit versprochen, feierlich im Kreise von Mönchen.
Bilgri: Ich war mir seit meiner Pubertät bewusst, dass ich Männer liebe. Dennoch habe ich meine Gelübde mit gutem Gewissen abgelegt. In meiner Begeisterung dachte ich, ich schaffe das. Erst im Laufe der Jahre ist mein Bedürfnis drängender geworden.
Ahnten Ihre Mitbrüder etwas?
Bilgri: Gewiss. Aber ich habe ja kein Doppelleben geführt. Und wissen Sie: Der Hauptgrund für meinen Austritt aus dem Kloster und dem Orden war das auch nicht. Ohnehin ist mir der Eintritt ins Kloster schwerer gefallen als der Austritt. Beim Eintritt gibt man gewissermaßen sein ganzes Leben hin. Beim Austritt wusste ich, was ich kann und wie es für mich weitergeht.
Zunächst einmal mit Ihrem Zentrum für Unternehmenskultur... Nun folgten auf die Ankündigung Ihrer standesamtlichen Eheschließung in sozialen Netzwerken zahlreiche Glückwünsche. Es gab aber auch beleidigende Kommentare. Schmerzt Sie so etwas?
Bilgri: Ich habe mir das nicht angeschaut. Aber mir war klar, dass Häme kommen würde. Ich habe allerdings bereits während meiner Klosterzeit gelernt, mit Kritik umzugehen. Ich war schließlich nicht unumstritten und habe oft polarisiert.
Wie geht Ihr künftiger Ehemann mit Kritik an Ihnen um? Er steht ja nicht in der Öffentlichkeit.
Bilgri: Wir selbst haben bislang nur positive Rückmeldungen bekommen.
Ist er ebenfalls Alt-Katholik?
Bilgri: Er ist aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Wir sprechen miteinander übrigens gar nicht so häufig über das Thema Glauben.
1980 wurden Sie von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zum Priester geweiht. Er wird derzeit stark für seinen Umgang mit Missbrauchsfällen kritisiert ...
Bilgri: Ich persönlich verehre ihn nach wie vor. Er ist eine „anima candida“, wie man auf Latein sagt, eine reine Seele. So hat er aber auch, das nehme ich jedenfalls an, alles von sich geschoben, was das Bild einer heiligen Kirche beschmutzen könnte.
Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu ihm?
Bilgri: Nicht mehr, seitdem ich aus dem Kloster ausgetreten bin. Ich habe ihn – immer wenn ich in Rom war – besucht. Und er stellte 1998 seine Autobiografie im Kloster Andechs vor. Damals war er ja noch Präfekt der Glaubenskongregation.
Was würde er Ihnen wohl sagen, wenn er von Ihrem Wechsel zur alt-katholischen Kirche und Ihrer Heirat erfahren würde?
Bilgri: Er würde sicher nicht schimpfen. Er würde sagen, dass es ihn schmerzt.
„Für mich ist Franziskus ein Ankündigungspapst“
Von Benedikts Nachfolger, Papst Franziskus, gibt es ein berühmtes Zitat: „Wenn jemand schwul ist und guten Glaubens den Herrn sucht – wer bin ich, über ihn zu urteilen?“
Bilgri: Offensichtlich hat das nicht zu einer Öffnung geführt. Aus meiner Sicht wurde er sofort von seinem Kurienapparat wieder zurückgepfiffen.
Hatten Sie denn gehofft, dass er die Kirche reformieren könnte?
Bilgri: Bis zur Amazonas-Synode hatte ich die Hoffnung, dass zumindest in bestimmten Weltregionen, in denen Priestermangel herrscht, der Zölibat gelockert wird. Jetzt habe ich keine Hoffnung mehr, dass sich die römisch-katholische Kirche in dieser Frage noch bewegt. Für mich ist Franziskus ein Ankündigungspapst. Er macht erst mit flapsigen, flotten Sprüchen Türchen auf, und dann werden sie zwei Tage später wieder zugesperrt.