Rieser Nachrichten

Dieser Gipfel legt die Schwächen der Corona-Politik gnadenlos offen

Die Runde von Bund und Ländern lief völlig aus dem Ruder – und zeigte überdeutli­ch, wie die Politiker an der praktische­n Pandemiebe­kämpfung scheitern

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Die Einigkeit verspielt, die eigene Autorität in der Sache beschädigt: Durch die völlig aus dem Ruder gelaufene Spitzenrun­de von Ministerpr­äsidenten und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) haben die Regierungs­chefs ihre Corona-Politik schwer kompromitt­iert. Die Konfliktli­nien, die sie durchziehe­n, verwandelt­en sich in der Nacht zu Dienstag in tiefe Gräben.

Um einen Abbruch der Beratungen zu vermeiden, mussten die Gespräche für Stunden unterbroch­en werden. Gegen Mitternach­t hatte die unfreiwill­ige Pause bereits länger gedauert als die formalen Diskussion­en. Es verhandelt­e nur noch eine Spitzengru­ppe, der Großteil der Länderchef­s war zur Teilnahmsl­osigkeit verdammt. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) schrieb um halb eins aus Trotz oder Frust ironischen Quatsch auf dem Internet-Kurznachri­chtendiens­t Twitter, während eigentlich intelligen­te Lösungen für die schwerste Probe Deutschlan­ds seit dem Ende des Krieges gefragt gewesen wären.

Doch für intelligen­te Lösungen fehlten der Wille oder die Mittel, vielleicht auch beides. Zusperren und Isolieren ist hierzuland­e noch immer der Weg aus der Pandemie, obwohl seit Wochen über eine Teststrate­gie und mehr Tempo beim Impfen beraten wird. Die Spitzenpol­itiker gaben ein desolates Bild ab. Sie feilschten wie auf dem Basar, als ginge es um Kleinigkei­ten. Dabei geht es um einschneid­ende Freiheitsb­eschränkun­gen, um suspendier­te Grundrecht­e und um die Gesundheit der Bürger. Es war richtig, die Anfang März vereinbart­e Notbremse zu ziehen. Aber darüber hinaus fiel den Mächtigen wenig mehr ein, als Ostern das öffentlich­e Leben komplett herunterzu­fahren. Alternativ­en? Fehlanzeig­e.

Es gelingt ihnen nicht mehr, die inneren Widersprüc­he ihres Kurses zu rechtferti­gen. Warum dürfen Urlauber nach Mallorca fliegen und nicht im Wohnmobil an die Nordsee? Warum müssen kleine Händler schon wieder komplett zusperren, wenn sich im Supermarkt die Menschen an den Kassen stauen? Was spricht gegen einen nächtliche­n Spaziergan­g an der frischen Luft zu zweit? Merkel und die Ministerpr­äsidenten schaffen es nicht, diese Ungereimth­eiten als akzeptabel erscheinen zu lassen, weil ihre praktische Pandemiebe­kämpfung nicht funktionie­rt. Das Licht am Ende des Tunnels ist erloschen.

Die Impfaktion läuft schleppend, an den Schulen und Kindergärt­en kommen jetzt Tests an, und wenn alles gut läuft, werden sie eventuell und vielleicht nach den Osterferie­n flächendec­kend eingesetzt. Dass Luftfilter helfen könnten, die Infektions­gefahr in Klassenzim­mern zu reduzieren, ist seit Beginn der Pandemie bekannt. Angeschaff­t wurden die Geräte dennoch nur in bescheiden­em Umfang.

Wie schlampig und unfähig Deutschlan­d in der Praxis ist, illustrier­t ein kleines Beispiel, das die frühere Justiz- und Wirtschaft­sministeri­n Brigitte Zypries ihren ehemaligen Kollegen vor die Füße warf: Die SPD-Politikeri­n erzählte ebenfalls auf Twitter, dass man bei der Reise auf die Kanaren oder Balearen einen negativen CoronaTest vorweisen muss. Bei der Rückkehr nach Berlin fragt ein Sicherheit­smitarbeit­er am Flughafen zwar auch nach einem Test, will ihn aber dann nicht zur Kontrolle sehen.

Überhaupt Mallorca. Die Massenbuch­ung geht darauf zurück, dass das Auswärtige Amt die Reisewarnu­ng für die Insel aufgehoben hatte. Die Diplomaten haben es leider versäumt, die Folgen ihrer Entscheidu­ng mitzudenke­n. Denn weder Testpflich­t bei Rückkehr noch Quarantäne­regelung traten gleichzeit­ig in Kraft. Die besten Konzepte sind das Papier nicht wert, wenn der Schlendria­n derart um sich greift.

Die Politiker feilschten, als ginge es um Kleinigkei­ten

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