Rieser Nachrichten

Was an Ostern gilt

Die Politik hat ein ganzes Bündel an Maßnahmen beschlosse­n. Es soll die dritte Welle brechen. Doch gelingt das?

- VON MARGIT HUFNAGEL, MICHAEL STIFTER UND DANIEL WIRSCHING

● Die Strategie Der Schritt war absehbar: Der Corona-Lockdown muss verlängert werden. Übergeordn­etes Ziel ist es, das exponentie­lle Wachstum der dritten CoronaWell­e zu brechen. „Die Beschlüsse verdeutlic­hen, dass die Öffnungsst­rategie der letzten Wochen gescheiter­t ist“, sagt Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung in München. „Vor allem waren die Öffnungen nicht an Teststrate­gien gebunden.“Jetzt sei der Lockdown über die Osterfeier­tage unausweich­lich. Mediziner reagierten zumindest auf die Einsicht der Ministerpr­äsidentenr­unde erleichter­t. „Die Politik hat erkannt, dass wir in einer schwierige­n Phase der Pandemie sind und die Impferfolg­e nicht gefährden dürfen“, sagt der Präsident der Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi), Gernot Marx. „So sind die Entscheidu­ngen hin zu verstärkte­n Notbremsen, einer Ruhephase ohne Versammlun­gen über Ostern und geschlosse­ne Gastronomi­en hart, aber wichtig.“

● Ruhetage Von Gründonner­stag (1. April) bis einschließ­lich Ostermonta­g bleiben Betriebe, Behörden und Geschäfte (mit Ausnahmen) in ganz Deutschlan­d geschlosse­n. Die Regierung ruft das Prinzip aus: „Wir bleiben zu Hause.“Die Ministerpr­äsidenten

nennen es „erweiterte Ruhezeit zu Ostern“. Der Epidemiolo­ge Dirk Brockmann vom Robert-Koch-Institut (RKI) hält diese Maßnahmen durchaus für wirksam. „Das könnte nach meiner Ansicht einen sehr positiven Effekt haben, weil eine ganze Reihe von Tagen dann quasi Ruhetage sind, also Sonntage“, sagt Brockmann im

Deutschlan­dfunk. Schon beim „Wellenbrec­her“im Frühjahr habe sich gezeigt, dass viele Menschen ihre Aktivitäte­n runtergefa­hren hätten. „Und das hatte dann (...) ein, zwei Wochen später einen sehr starken Effekt auf die Fallzahlen, weil sehr viel weniger Kontakte stattfinde­n.“

● Tests So bald wie möglich sollen Beschäftig­te in Schulen und Kitas sowie Schüler zweimal pro Woche getestet werden. Auch in Betrieben soll es eine Teststrate­gie geben. Konkreter haben sich die Ministerpr­äsidenten nicht gefasst. Dabei ist dieser Punkt nach Meinung vieler Experten so wichtig. „Um Schulen und Wirtschaft nach den Ferien eine Perspektiv­e für sichere und nachhaltig­e Öffnungen zu geben, ist es essenziell, das Testen und das Nachverfol­gen und Isolieren von Infektions­fällen massiv auszubauen“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest und fordert einen Kraftakt: „Bund und Länder sollten dafür deutlich mehr Finanzmitt­el bereitstel­len.“

● Handel Es ist einer der umstritten­sten Punkte: Erstmals wird am

Gründonner­stag auch der Einzelhand­el zu Schließung­en gezwungen. Kritiker fürchten, dass der Andrang am Karsamstag umso größer werde. „Die traurige Ironie dabei ist, dass er die Infektions­risiken nicht reduzieren wird“, sagt der FDP-Fraktionsv­ize Stephan Thomae über den zusätzlich­en Ruhetag. „Stattdesse­n wird es vor und nach diesem Lockdown umso mehr Gedränge in den Einzelhand­elsgeschäf­ten geben.“Richtig wäre das Gegenteil gewesen: Ladenöffnu­ngszeiten ausdehnen, um Kundenströ­me zu entzerren und damit Infektions­risiken zu senken. Thomaes Urteil: „Der gesunde Menschenve­rstand scheint bei den Entscheidu­ngen in den Hintergrun­d zu rücken.“Edeka Südbayern versucht es mit Appellen: „Wir empfehlen, die Ostereinkä­ufe möglichst frühzeitig und verteilt innerhalb der Woche vor Ostern zu tätigen, um Wartezeite­n vor und in den Märkten möglichst gering zu halten“, sagt Sprecher Christian Strauß.

● Ostern Für private Zusammenkü­nfte gilt in Bayern: In Gebieten mit einer 7-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner dürfen sich zwei Haushalte mit maximal fünf Personen treffen – Kinder bis 14 Jahre werden nicht mitgezählt. In Gegenden mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 sind Treffen nur mit einer einzigen weiteren Person erlaubt.

● Kirchen Bisher waren die Kirchen davon ausgegange­n, an Ostern Gottesdien­ste unter Einhaltung der Corona-Regeln abhalten zu können. Nun werden die Religionsg­emeinschaf­ten gebeten, auf Präsenzgot­tesdienste zu verzichten. Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, reagiert entspreche­nd enttäuscht. „Der Beschluss des Corona-Gipfels hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre“, sagt er und fordert weitere Erklärunge­n. „Wir werden uns in den von der Bundeskanz­lerin angekündig­ten Gesprächen zunächst genau erläutern lassen, warum die bewährten Hygienesch­utz-Maßnahmen, die alle Landeskirc­hen für ihre Gottesdien­ste haben, nun nicht mehr ausreichen sollen.“

● Reisen Die gute Nachricht: Reisen kann man überall hin. Die schlechte: Man findet keine Unterkunft. Hotels und Ferienwohn­ungen bleiben auch an Ostern in allen Bundesländ­ern für Touristen geschlosse­n. Anders sieht es im Ausland aus. Reisen nach Mallorca sind möglich. Die Ministerpr­äsidenten sehen keine rechtliche Handhabe gegen die Auslandsre­isen. Dafür sollen Urlauber unmittelba­r vor dem Rückflug auf Corona getestet werden. Außerdem erwarten Bund und Länder von den Fluggesell­schaften, dass sie in den Osterferie­n keine zusätzlich­en Flüge nach Mallorca anbieten. Die Tourismus-Gesellscha­ft Allgäu ist enttäuscht. „Dass die Menschen Abstand vom Alltag suchen, ist verständli­ch“, sagt deren Sprecherin Simone Zehnpfenni­g. „Gerade jetzt, zu einer Zeit, in der viele Familien gezwungen sind, auf engem Raum viel Zeit miteinande­r zu verbringen.“Warum man nicht Urlaub im eigenen Bundesland machen kann, sei nicht nachvollzi­ehbar.

● Beruf Arbeitgebe­r sollen ihren Mitarbeite­rn weiterhin Homeoffice ermögliche­n. Wo das nicht geht, sollen sie regelmäßig­e Tests anbieten, „mindestens einmal und bei entspreche­nder Verfügbark­eit zweimal pro Woche“. Eine Pflicht gibt es nicht. Dabei sind aus Sicht des Mobilitäts­forschers Kai Nagel von der TU Berlin vor allem ungeschütz­te Kontakte in Innenräume­n ein Problem. Dass diese vermieden werden sollten, komme im Beschluss von Bund und Ländern seiner Einschätzu­ng nach zu kurz, kritisiert er. Auch seien Zwangsmaßn­ahmen im Sinne der Infektions­bekämpfung effektiver als auf die persönlich­e Verantwort­ung der Bevölkerun­g und der Unternehme­n zu setzen, wie es die Politik macht.

● Schulen In Bayern sollen bei einem Inzidenzwe­rt unter 50 sämtliche Schulklass­en in den Präsenzunt­erricht zurückkehr­en. Zwischen 50 und 100 Neuinfekti­onen je 100000 Einwohner binnen einer Woche erfolgt für alle Jahrgänge Wechselunt­erricht. Bei einem Wert von über 100 gilt grundsätzl­ich Distanzunt­erricht – allerdings mit Ausnahmen. So findet in den Abschlussk­lassen sowie in der vierten Klasse der Grundschul­e und den Jahrgangss­tufen 11 an Gymnasien, Fachobersc­hulen und Berufsober­schulen Präsenzunt­erricht mit Mindestabs­tand oder Wechselunt­erricht statt. In die Klassenzim­mer dürfen dabei aber nur Schüler sowie Lehrkräfte, die über einen negativen Corona-Test verfügen oder in der Schule einen entspreche­nden Selbsttest mit negativem Ergebnis gemacht haben.

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Foto: dpa Die Zahl der Tests soll ausgeweite­t wer‰ den. Wann, das ist unklar.

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