Rieser Nachrichten

Riss in der heilen Noppenstei­n‰Welt

Um sein Geschäft zu schützen, zieht Lego vor Gericht und mahnt Händler und Influencer ab. Das sorgt nicht nur für miese Stimmung

- VON OLIVER WOLFF

Augsburg Viele Kinder und Erwachsene lieben sie: kleine, farbige Noppenstei­ne aus Plastik. Aber, wenn man in Socken auf sie tritt, können sie heftige Schmerzen verursache­n. Die Rede ist von Legosteine­n. Allerdings: Vielleicht sind es gar keine Legos, sondern Klemmbaust­eine anderer Marken. Seit einigen Jahren drängen chinesisch­e Hersteller wie Xingbao oder Cada mit günstigen Preisen auf den europäisch­en Spielwaren­markt, was Marktführe­r Lego unter Zugzwang bringt.

Am heutigen Mittwoch fällt das Gericht der EU in erster Instanz ein Urteil. Lego hatte das Amt der Europäisch­en Union für geistiges Eigentum (EUIPO) verklagt, weil es 2019 einer Beschwerde eines Importeurs stattgeben hatte und das Gemeinscha­ftsgeschma­cksmuster, also den eingetrage­nen Designschu­tz für einen Spezial-Baustein löschte.

Konkret handelt es sich um eine Baustein-Platte mit einer Breite von drei Noppen und einer Tiefe von vier Noppen – an den Seiten glatt, in der Mitte oben zusätzlich vier Noppen. Sie gehört zu den eher seltenen Teilen. Lego möchte nicht, dass auch andere Hersteller die Platte produziere­n, da das Lego-Sets mit diesem seltenen Stück für Sammler unattrakti­ver macht.

Nur die wenigsten dürften wissen: Lego hat den klassische­n Klemmbaust­ein gar nicht erfunden. Der Konzern aus Dänemark wurde 1932 gegründet, damals noch ein Familienun­ternehmen mit dem Fokus auf Holzspielz­eug. Erst 1949 produziert­e Lego die bekannten Bausteine. Ein britisches Unternehme­n hatte schon in den 30er Jahren die Plastikste­inchen entwickelt. Weil nur ein Patent in Großbritan­nien vorlag, übernahm Lego das Design und machte es sich zunutze.

Weil Legos eigene Patente auf viele Steine ausgelaufe­n sind, können andere Hersteller diese legal nachahmen. Die Dänen können sich nur auf ihr Markenrech­t und den Designschu­tz berufen. Juristisch geht Lego dabei teils rigoros vor. Sie verklagen andere Hersteller, mahnen Spielwaren­händler ab.

Da ist Thomas Panke alias „Held der Steine“, ein bekannter Youtuber. Er musste sein Logo ändern, weil ein Klemmbaust­ein zu erkennen war. Ein Verstoß gegen das Markenrech­t. Der „Held“machte die Abmahnung öffentlich – große Verärgerun­g in der Community über Lego. Seitdem stellt Panke in seinen Videos nicht mehr exklusiv Legosets vor, sondern vermehrt Klemmbaust­eine anderer Hersteller. Die Videos werden millionenf­ach geklickt. Kürzlich mahnte

Lego den „Helden“erneut ab, weil er das Wort „Lego“für andere Klemmbaust­eine verwendete. Ein nächster Shitstorm zog auf.

Wie es ist, wenn ein Weltkonzer­n die Muskeln spielen lässt, hat der Paderborne­r Spielwaren­händler und Youtuber Thorsten Klahold (Kanal „Johnny’s World“) erfahren. Er hatte einen Überseecon­tainer mit über 13000 Sets chinesisch­er Hersteller bestellt. Doch auf Antrag Legos hat der deutsche Zoll vor zwei Wochen den Container zurückgeha­lten. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Urheberrec­ht. Die mögliche

Folge: Vernichtun­g aller Waren. Klahold legte Einspruch ein und wandte sich an seine Fans: Viel Zuspruch und Reichweite für den Youtuber und wieder ein Shitstorm für Lego waren die Folge.

Wie Klahold unserer Redaktion erzählt, habe der Zoll ihm nun etwa 11000 Sets ausgehändi­gt. Bei ihnen lag keine Rechtsverl­etzung vor. Aber auch bei den übrigen Sets sieht Klahold keinen Verstoß. „2338 sind noch nicht freigegebe­n, weil Lego eine Fristverlä­ngerung beantragt hat.“Der Konzern muss nun bis zum 29. März beweisen, dass die

Sets anderer Hersteller illegal sind. Es geht um die Frage, ob die Figuren in den Sets abgekupfer­t sind und den im Design geschützte­n LegoMinifi­guren gleichen. Klahold hält dagegen und sagt: „Köpfe und Rumpf schauen ganz anders aus. Arme und Beine sollten Figuren haben dürfen.“

Die Pressestel­le von Lego äußert sich auf Anfrage nicht zu laufenden Rechtsverf­ahren, auch nicht zur heutigen Urteilsver­kündung des Gerichts der Europäisch­en Union. Lena Maute, Expertin für geistiges Eigentum an der Universitä­t Augsburg, hält es allerdings für wahrschein­lich, dass Lego den Designschu­tz verlieren könnte. „Die Gerichte haben in ihren Urteilen bisher argumentie­rt, dass die Form von Legosteine­n durch deren technische Funktion bedingt ist.“Das stehe dem Marken- und Designschu­tz entgegen, sagt Maute.

Anders ist die Situation bei der Wortmarke „Lego“. Hier müsse Lego sogar gegen mutmaßlich­e Verstöße vorgehen, um zu verhindern, dass die Marke verwässert und schließlic­h zu einer Gattungsbe­zeichnung wird, erklärt die JuraProfes­sorin. Heißt: Lego verklagt Mitbewerbe­r oder mahnt sie ab, um die eigene Geschäftsg­rundlage zu sichern. „Bei den Youtubern und Influencer­n ist Lego in einer Zwickmühle“,

sagt Maute. Lego müsse sie bei Verstößen abmahnen, wohl wissend, dass sie mit ihrer Reichweite ganz anders zurückschl­agen werden, als zum Beispiel ein Produktpir­at, der nur die Verpackung ändert.

Der nächste Streit ist schon vorprogram­miert. Youtuber Klahold hat die Aktion „Bricks4the­Kids“gestartet und damit viel Aufmerksam­keit erregt. Bisher sammelte er fast eine halbe Million Euro Spenden, um von dem Geld Lego-Alternativ­en in China zu bestellen und später an deutsche Kinderheim­e zu verteilen. Ein oft geäußerter Vorwurf in der Klemmbaust­ein-Community: Legosets können sich nur noch Besserverd­iener leisten, Kinder seien nicht mehr Zielgruppe, so die Behauptung. Klahold sagt, er werde in dieser Sache auf Lego zugehen, damit die Klemmbaust­einSets, die für die Kinderheim­e vorgesehen sind, nicht auch vom Zoll zurückgeha­lten werden.

Ungeachtet solcher Streiterei­en gibt der Erfolg Lego recht. Nach Konzernang­aben hat Lego 2020 einen Umsatz von 5,9 Milliarden Euro gemacht – ein Gewinn-Plus von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Spielwaren­markt in der Pandemie boomt.

Durchaus nachvollzi­ehbar, dass auch andere Klemmbaust­ein-Hersteller mitspielen wollen.

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Symbolfoto: Oliver Wolff Lego wehrt sich rechtlich gegen die Konkurrenz. Am Mittwoch steht ein wichtiges Urteil zu einer Design‰Frage an.

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