Rieser Nachrichten

„Der Staat hat versagt“

Als der „Schwabinge­r Kunstfund“2012 über Nacht beschlagna­hmt wurde, gab es daran umgehend erhebliche Kritik. Jetzt stellt ein Jura-Professor aus Münster Strafanzei­ge

- Interview: Rüdiger Heinze

Sie haben im Fall Cornelius Gurlitt Strafanzei­ge erstattet wegen des Verdachts der Verfolgung Unschuldig­er. Worum geht es Ihnen im Kern? Welcher Missstand soll beseitigt, welche Wunde geheilt werden nach der Beschlagna­hmung der Sammlung Gurlitt 2012?

Thomas Hoeren: Mir geht es darum, dass der Staat nicht mit den Mitteln der Strafverfo­lgung ganz anders geartete Probleme aufarbeite­t, nämlich die grundsätzl­iche Frage, wie Deutschlan­d mit NS-Raubkunst umzugehen hat. Der Münchner Rechtsanwa­lt Johannes Wasmuth und ich möchten, dass der bis 2017 amtierende Gruppenlei­ter der Staatsanwa­ltschaft Augsburg, Johannes Ballis, als Symbol verurteilt wird und der Staat zum Nachdenken darüber gebracht wird, die Grundsatzf­rage im Umgang mit NS-Raubkunst zu klären, zum Beispiel die Rückgabe von Kunst aus dem Privateige­ntum jüdischer Händler.

An der Beschlagna­hme der Sammlung Gurlitt, an der Beschlagna­hme des sogenannte­n Schwabinge­r Kunstfunds, wurde ja schon 2012 erhebliche Kritik geäußert. 2021 nun reichen Sie Ihre Klage ein, gut acht Jahre später. Woran haperte es?

Hoeren: Der Paragraf 344 des Strafgeset­zbuches, der die Verfolgung Unschuldig­er behandelt, wird nur selten angewendet. Aber er ist geltendes Recht. Gleichzeit­ig setzt er voraus, dass der Staatsanwa­lt bei seinen Anordnunge­n weiß, dass er einen Unschuldig­en verfolgt – und

ist nur extrem schwer nachzuweis­en. Im Fall Gurlitt aber gab es inzwischen Anfragen und Antworten im Bayerische­n Landtag; es erschienen auch Bücher dazu. Nun ist die Sachlage klar. Es ging dem Staat im Eigentlich­en darum, dass er den Finger auf der Sammlung hält.

Für Sie also ist geklärt, dass die Augsburger Staatsanwa­ltschaft seinerzeit wider besseres Wissen gehandelt hat. Wider besseres Wissen: Dies könnte für einen Staatsanwa­lt doch auch gleichsam berufliche­n Selbstmord bedeuten – oder nicht?

Hoeren: Das Klima damals war politisch hochgeputs­cht. Der Druck auch aus Berlin war so groß, dass man erst mal beschlagna­hmen wollte, koste es, was es wolle. Es war den

Agierenden egal, dass es damals nur einen Anfangsver­dacht für eine Straftat geben konnte.

Wieso richten Sie Ihre Klage gegen Johannes Ballis, den ehemaligen Gruppenlei­ter der Staatsanwa­ltschaft Augsburg – und nicht gegen den damaligen Leiter der Augsburger Staatsanwa­ltschaft, Reinhard Nemetz, der in dieser Sache ja auch immer wieder öffentlich auftrat?

Hoeren: Wir haben denjenigen herausgegr­iffen, der ganz eng mit dem Fall betraut war, der direkt vor Ort die Beschlagna­hme organisier­t hatte und ganz große Kenntnisse im Kunstrecht besitzt. Das schließt im Übrigen Weiterunge­n nicht aus. Einfach wird man diesen Fall nicht los, er erfordert einen hohen Prüdies fungsaufwa­nd unter schwierige­n Bedingunge­n. Wir haben die Klage beim Münchner Generalsta­atsanwalt Reinhard Röttle eingereich­t.

Warum hat die Staatsanwa­ltschaft eigentlich ihren tatsächlic­hen oder vermeintli­chen Fehler in der Folge nicht selbst korrigiert?

Hoeren: Sie wollte es partout so haben. So etwas nachträgli­ch zu korrigiere­n, hätte geheißen, Gurlitt alles zurückzuge­ben. Und das wollte man eben nicht. Man hätte gut daran getan, mit Gurlitt menschlich­er umzugehen. Sich mit ihm erst mal zu unterhalte­n, ihn zu befragen, was er an Kunst hat – und sie sich vielleicht zeigen lassen. Der alte Herr hat mir wirklich leidgetan. Der Staat hat versagt.

Welche Chancen rechnen Sie sich auf den Erfolg Ihrer Klage aus?

Hoeren: Es gibt ja mittlerwei­le viele Stellungna­hmen von Experten. Und alle sagen, dass solch eine Klage zu Recht geführt wird. Ich glaube, unsere Argumentat­ion ist juristisch plausibel. Und das muss nun ordnungsge­mäß geprüft werden. Dies kostet mich Zeit und Geld. Und dies ist die erste Strafanzei­ge in meinem Leben.

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Fotos: Martin Gerten, dpa; Wolfgang Borrs Zusammenge­tragen worden war die Kunstsamml­ung von Cornelius Gurlitt durch dessen Vater Hildebrand Gurlitt, der als Kunsthändl­er mit den Nationalso­zialisten zusam‰ menarbeite­te.
 ??  ?? Thomas Hoeren ( *1961) erhielt 1997 den Ruf auf den Lehrstuhl für Informati‰ onsrecht und Rechtsinfo­r‰ matik an der Juristisch­en Fakultät der Uni Münster.
Thomas Hoeren ( *1961) erhielt 1997 den Ruf auf den Lehrstuhl für Informati‰ onsrecht und Rechtsinfo­r‰ matik an der Juristisch­en Fakultät der Uni Münster.

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