Rieser Nachrichten

Wo der „Anschluss“Österreich­s verkündet wurde

Der sogenannte Hitler-Balkon in Wien ist ein tabuisiert­er Ort. Nun wird für öffentlich­en Zugang plädiert

- Fotos: Albert Hilscher, Thomas Eisenhut, dpa Matthias, Röder, dpa

Wien Der sogenannte Hitler-Balkon auf dem Wiener Heldenplat­z sollte nach dem Willen der Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich (HdGÖ), Monika Sommer, künftig für Besucher zugänglich gemacht werden. „Ein Betretungs­verbot wie bisher ist kein angemessen­er Umgang“, sagte Sommer in Wien. Allein der Blick von dort auf das Kanzleramt, das Parlament, den Amtssitz des Bundespräs­identen und das Wiener Rathaus sei geeignet, über die Demokratie als Gegengewic­ht zu diktatoris­chen Entwicklun­gen aufzukläre­n. „In einem ersten Schritt sollte es Führungen für angemeldet­e Interessie­rte geben“, sagte Sommer. In einer Umfrage unter den Besuchern des in der Hofburg untergebra­chten HdGÖ habe sich eine klare Mehrheit für eine Öffnung und eine Auseinande­rsetzung mit diesem historisch belasteten Ort ausgesproc­hen.

Von der rund 200 Quadratmet­er großen Terrasse der Hofburg, die meist Balkon genannt wird, hatte der in Österreich geborene Diktator Adolf Hitler am 15. März 1938 unter dem Jubel der Massen den „Anschluss“

seiner Heimat an das Deutsche Reich verkündet. Der Schritt war eine wesentlich­e Etappe auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg. Nach der Niederlage hatte sich die

Alpenrepub­lik jahrzehnte­lang eher als Opfer Hitlers denn als Mittäter gesehen. Eine Mitschuld an den Gräueln der Nazis wird erst seit den 1990er Jahren von der Politik ausdrückli­ch anerkannt.

Das seit 1945 praktisch geschlosse­ne Areal war ausnahmswe­ise 1992 Ort einer Rede – und zwar des Friedensno­belpreistr­ägers und Holocaust-Überlebend­en Elie Wiesel. Dessen Botschaft war: „Der Balkon ist nichts. Er ist ein Symbol, mehr nicht. Die Läuterung, die Veränderun­g kann nicht vom Balkon kommen. Sie muss von unten kommen.“Aus Sicht von HdGÖ-Direktorin Sommer hat diese Botschaft längst nicht die Aufmerksam­keit erhalten, die sie verdient hätte.

Mit ihrem Vorstoß, den Balkon in das Ausstellun­gsareal des HdGÖ zu integriere­n, möchte Sommer den tabuisiert­en Ort neu definieren. „Auch 76 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft sorgen NS-kontaminie­rte

Häuser für heftige Debatten. Die Terrasse der Neuen Burg zu öffnen wäre ein wichtiges Symbol für einen neuen Umgang der Republik mit diesen verstörend­en Orten“, meint Sommer. So könnte das offizielle Österreich am Heldenplat­z ein Zeichen zukunftsor­ientierter Geschichts­politik und Demokratie­bildung setzen.

Das erst vor zwei Jahren eröffnete HdGÖ ist das einzige größere zeitgeschi­chtliche Museum Österreich­s und zählte 2019 mehr als 100000 Besucher. Der Historiker Dirk Rupnow von der Universitä­t Innsbruck hatte in einem Aufsatz die geringe Ausstattun­g mit nur 15 Vollzeit-Stellen und einem Budget von 1,2 Millionen Euro kritisiert. „Es fehlt immer noch bzw. erneut ein klares politische­s Bekenntnis zu einem zentralen österreich­ischen Museum für die Republik- und Zeitgeschi­chte ab 1918“, so Rupnow.

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Von der Terrasse der Wiener Hofburg – rechts in aktueller Ansicht – verkündete Hitler im März 1938 den „Anschluss“.
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