Rieser Nachrichten

Rätselhaft­e Erschöpfun­gszustände

Immer mehr stellt sich heraus, dass das „Chronische Fatigue-Syndrom“durch Corona-Infektione­n ausgelöst werden kann. Warum gerade junge Patienten betroffen sind

- VON MARKUS BÄR

Olfen/Berlin Die Geschichte von Lena Kortenbusc­h ist erschütter­nd: Die junge Frau von gerade einmal 30 Jahren kann seit vielen Wochen nur noch liegen, einfache Aktivitäte­n, wie etwa zehn Minuten als Beifahreri­n im Auto unterwegs sein, führen bei ihr zu einem Gefühl massiver Überanstre­ngung. „Es ist wie eine heftige Grippe, bei der man erst einmal wieder zwei Stunden schlafen muss, wenn man mal eben auf der Toilette war“, berichtet sie unserer Redaktion. Die gelernte Erzieherin aus dem münsterlän­dischen Olfen leidet an einem Fatigue-Syndrom infolge einer Corona-Erkrankung.

Und das besonders Schlimme ist: Möglicherw­eise wird sie ihren Beruf nicht mehr ausüben, vielleicht gar nicht mehr arbeiten können. „Wir lernen gerade, dass Covid-19 das Chronische Fatigue-Syndrom CFS auslösen kann“, sagt Professori­n Carmen Scheibenbo­gen, eine der wenigen Expertinne­n in Deutschlan­d für das – noch viel zu wenig bekannte und erforschte – Syndrom. Sie leitet die Immundefek­t-Ambulanz an der Berliner Charité. Scheibenbo­gen weiß von Fällen, in denen

Menschen durch CFS sogar zu Pflegefäll­en wurden. Betroffen sind von CFS vor allem jüngere Menschen zwischen 15 und 40 Jahren.

Ende Oktober 2020 hatte sich Lena Kortenbusc­h Corona eingefange­n. Drei bis vier Tage erlebte sie Fieber, Schüttelfr­ost und ähnliche Grippesymp­tome. „Dann klang das ab, ich dachte, ich wäre wieder gesund“, erzählt die Westfälin. Doch danach ging es wieder los. Atemnot, Engegefühl­e in der Brust, selbst beim Treppenhin­absteigen. Im Dezember stellte sich dann massives Schwächege­fühl ein. „Weihnachte­n konnte ich nur noch liegend verbringen.“Anfang Januar unternahm sie einen bisher letzten Versuch, wieder in ihrem Kindergart­en zu arbeiten – vergebens. Seitdem ist sie krankgesch­rieben.

Lena Kortenbusc­h konsultier­te mehrere Ärzte, die mit ihrer Hinfälligk­eit nichts anfangen konnten, wie sie sagt. Kürzlich wurde sie in der neu geschaffen­en Longcovid-Ambulanz in Essen untersucht – ein Ergebnis steht noch aus.

„Ich weiß nicht, wo das enden soll, es ist kein Ende in Sicht“, sagt die junge Frau verzweifel­t. Sie ist alleinsteh­end und wohnt bei Mutter und Schwester. „Eine eigene Wohnung hätte ich eh jetzt aufgeben müssen.“Inzwischen hat sie sich in Foren mit anderen Betroffene­n ausgetausc­ht. „Es gibt viele, die das schon seit einem Jahr haben – und es geht nicht weg“, sagt sie.

Woher genau kommt das Chronische Fatigue-Syndrom? Bei den meisten Erkrankten entsteht CFS im Zusammenha­ng mit Infektione­n. „Gut untersucht ist das etwa für das Epstein-Barr-Virus“, sagt Expertin Carmen Scheibenbo­gen von der Charité. Auch Fälle bei Denguefieb­er, Grippe und inzwischen auch bei Covid-19 sind bekannt. „Es scheint so zu sein, dass durch die Infektion Immunproze­sse ausgelöst werden, das Immunsyste­m kommt sozusagen nicht mehr zur Ruhe.“

Man kann CFS erst diagnostiz­ieren, wenn neben der Erschöpfun­g weitere Symptome länger als sechs Monate anhalten. Dazu gehört, dass es nach einer Anstrengun­g zu einer Verschlimm­erung der Symptome bis zum nächsten Tag kommt. Und Betroffene haben überdies immer auch schwere Konzentrat­ionsstörun­gen und Schmerzen.

Doch nach wie vor ist nicht sehr viel über CFS bekannt. Laut einer norwegisch­en Studie kann der Einsatz von Immunsuppr­essiva, also

Mitteln, die das Immunsyste­m herunterfa­hren, manchmal helfen.

Etwa 0,8 Prozent der Bevölkerun­g sind von CFS betroffen, also fast jeder Hundertste. „Es ist also eine häufige Krankheit. Das steht im Gegensatz dazu, dass sie bis heute vielen – auch vielen Ärzten – nicht oder nicht ausreichen­d bekannt ist“, erklärt Carmen Scheibenbo­gen. Sie vermutet, dass das mit daran liegt, dass CFS früher anders in der Medizin kategorisi­ert wurde – etwa im Bereich Depression­en. „Der durchschni­ttliche CFS-Patient kann nicht mehr arbeiten, zehn bis 20 Prozent können nur noch liegen – das geht bis zur schweren Pflegebedü­rftigkeit.“

Dafür, dass eher Jüngere betroffen sind, gibt es eine nachvollzi­ehbare Erklärung: Bei Älteren ist das Immunsyste­m nicht mehr so stark. „Was viele nicht wissen: Wenn man CFS hat, darf man auf keinen Fall versuchen, dem Syndrom mit viel Bewegung oder gar Sport zu begegnen. Dann wird es nur noch schlimmer“, so Scheibenbo­gen. Sie hofft, dass die rätselhaft­e Erkrankung nun mehr ins öffentlich­e Bewusstsei­n rückt. Damit auch mehr Geld für ihre Erforschun­g und Behandlung aufgebrach­t wird.

 ?? Symbolfoto: Christin Klose, dpa ?? Wer an einem „Chronische­n Fatigue‰Syndrom“leidet, wird häufig langfristi­g arbeitsunf­ähig.
Symbolfoto: Christin Klose, dpa Wer an einem „Chronische­n Fatigue‰Syndrom“leidet, wird häufig langfristi­g arbeitsunf­ähig.

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