Rieser Nachrichten

Quarantäne‰Vorgaben führen zu Verunsiche­rung

Im Nachbarlan­dkreis wollen Gemeinderä­te nicht mehr zu Sitzungen. Wie reagiert man im Kreis Donau-Ries?

- VON THOMAS HILGENDORF UND MANFRED RINKE

Landkreis An das Testen haben sich viele gewöhnt – und meistens, Gott sei Dank, herrscht das Aufatmen vor. Negativ. Denn ein positiver Test bedeutet nicht nur eine mögliche Erkrankung, sondern zwingend auch Quarantäne. Jedoch nicht nur für den Getesteten selbst, sondern oft auch für das Umfeld. Eine neue Vorgabe des Robert Koch-Instituts (RKI) schreckte jüngst Kommunalpo­litiker im Nachbar-Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen auf. Dort hat man sich sogar die Frage gestellt, inwieweit die kommunale Arbeit überhaupt noch wie gewohnt stattfinde­n könne. Im Landkreis DonauRies will man indes behutsam mit der Regelung vorgehen.

Das RKI hat am 9. April eine zunächst unscheinba­re neue Vorgabe in Bezug auf die Nachverfol­gung von Kontaktper­sonen bei Infektione­n herausgege­ben. Die Tragweite wird unterdesse­n vielen erst nach und nach bewusst. Neuburgs Oberbürger­meister Bernhard Gmehling sprach das Problem zuletzt im Finanzauss­chuss seiner Stadt an: Wäre einer der Anwesenden infiziert gewesen, wären alle, die bei der Sitzung dabei waren, in Quarantäne gegangen – ganz gleich, ob sie FFP2-Masken getragen, den Abstand korrekt eingehalte­n und den Raum zudem regelmäßig gelüftet hätten. Genau sagt die neueste Definition enger Kontaktper­sonen laut RKI Folgendes: „Bei gleichzeit­igem Aufenthalt von Personen mit einem Covid-19-Infizierte­n für länger als zehn Minuten im selben Raum mit wahrschein­lich hoher Konzentrat­ion infektiöse­r Aerosole müssen, unabhängig vom eingehalte­nen Abstand und auch wenn durchgängi­g und korrekt FFP2-Masken getragen wurden, alle Kontaktper­sonen in Quarantäne.“

Diese Maßnahme betrifft im Grunde jedes Geschäft, jeden Betrieb, jede Arztpraxis und nicht zuletzt alle politische­n Gremien im Landkreis. Neuburgs Oberbürger­meister Bernhard Gmehling spricht von einer „stillen Bombe“, deren Auswirkung­en bisher noch keiner mitbekomme­n habe. Erste Stadträte hätten sich bereits bei ihm gemeldet und klargemach­t, dass sie keine Sitzung mehr besuchen werden, solange diese Vorgabe gilt. „Das schlägt mittlerwei­le hohe Wellen“, sagt Gmehling. Für die Bauausschu­sssitzung am Mittwoch habe er kurzfristi­g Schnell-Spuck-Tests geordert, damit sich alle Teilnehmer vor der

Sitzung noch testen konnten. „Allmählich wird alles ziemlich schwierig, und ich verstehe alle, die momentan Angst haben.“Neuburgs Landrat Peter von der Grün steht vor dem gleichen Dilemma. Wie und wo Sitzungen des 60-köpfigen Kreistagsg­remiums stattfinde­n sollen, weiß er zum Beispiel aktuell noch nicht.

In Donauwörth hat Oberbürger­meister Jürgen Sorré am Donnerstag von jener Vorgabe des RKI gehört. Die Verunsiche­rung im Nachbarkre­is sei nachvollzi­ehbar – auch er werde sich jetzt mit den Stadtratsm­itgliedern beraten, wie man damit verfahren solle. Fakt sei aber, dass es ein bestehende­s Konzept zum Infektions­schutz gebe. Eine FFP2Maske sei Pflicht, man achte auf regelmäßig­es Lüften und Abstände bei Sitzungen. In der Verwaltung wolle man von 80 Beschäftig­ten bis Ende April ein Viertel in die Heimarbeit schicken. Sorré sagt, er wisse, dass die öffentlich­e Verwaltung der Privatwirt­schaft in Sachen Homeoffice hinterherh­inke: „Das Homeoffice hat in der Verwaltung gerade erst begonnen.“Klar sei aber auch: In diversen Bereichen, zum Beispiel beim Wasserwerk, bestehe schlichtwe­g keine Möglichkei­t zur Arbeit von zu Hause aus. Für die Ratssitzun­gen wolle er sich bald mit den Ratsleuten über denkbare alternativ­e Formen austausche­n, sprich: digitale Optionen oder den Rückgriff auf einen personell reduzierte­n Ferienauss­chuss. Sorré sagt, die Vorgabe und der Infektions­schutz an sich würden „sehr ernst“genommen, er warne aber dennoch „vor übertriebe­ner Panik“.

Im Gesundheit­samt in Donauwörth will man weder panisch noch generalisi­erend an die Sache herangehen. „Die Quarantäne-Vorgabe ist nicht pauschal zu verstehen“, erklärt Landratsam­tssprecher Simon Kapfer. Die Neuerungen bei den

Vorgaben seien eher als ergänzende Handlungse­mpfehlunge­n aufzufasse­n, präzisiert denn auch das Gesundheit­samt Donau-Ries. Es werde, wie Kapfer erläutert, nach wie vor „von Einzelfall zu Einzelfall“entschiede­n. Nur im Schulberei­ch würden bei einem positiv getesteten Schüler alle Klassenkam­eraden sofort mit in Quarantäne geschickt werden. Bei den Einzelfall­entscheidu­ngen zur Quarantäne, ob in einem Betrieb oder andernorts, wo sich Menschen für eine Zeit drinnen aufhalten, wird laut der Gesundheit­sbehörde weiterhin auf viele Parameter geachtet, wie zum Beispiel:

● Enger Kontakt Das bedeutet: Abstand geringer als 1,5 Meter, Kontakt länger als zehn Minuten „ohne adäquaten Schutz“; adäquater Schutz heißt, der positiv Getestete und die Kontaktper­son tragen durchgehen­d und korrekt MundNasen-Schutz oder FFP2-Maske.

● Hat ein Gespräch mit dem positiv

Getesteten im Nahkontakt stattgefun­den (unabhängig von der Gesprächsd­auer), ohne Schutz?

Zu diesen zwei Punkten sagt das Amt: „Es wird vermutet, dass die meisten Übertragun­gen über das Nahfeld erfolgen.“Das Infektions­risiko sei geringer, wenn der Positivfal­l und die Kontaktper­son durchgehen­d und korrekt eine medizinisc­he Maske getragen haben.

Die dritte zu beachtende Fallkonste­llation ist indes schwierige­r:

● Gleichzeit­iger Aufenthalt von Kontaktper­son und Fall im selben Raum mit wahrschein­lich hoher Konzentrat­ion infektiöse­r Aerosole unabhängig vom Abstand für mehr als zehn Minuten, auch wenn durchgehen­d und korrekt Maske (auch FFP2/KN95) getragen wurde.

Es geht letztlich um winzige Tröpfchen

Dieser Punkt gestaltet sich besonders komplizier­t: Hier geht es bei der „engen Kontaktper­son“um winzige ausgeatmet­e Tröpfchen, also die „vorherrsch­ende infektiöse Aerosolver­teilung“im betroffene­n Raum. Virusbelad­ene Kleinparti­kel können sich bei mangelnder Frischluft­zufuhr in Innenräume­n anreichern, weil sie über Stunden in der Luft schweben. Daher steigt das Infektions­risiko mit der Dauer des Aufenthalt­s in einem solchen Raum.

Die Frage, ob Quarantäne für Kontaktper­sonen angeordnet werde, gleicht demnach im Landkreis einer detektivis­chen Kleinarbei­t. Das Gesundheit­samt berichtet zu den Ansteckung­en bei Versammlun­gen in Gremien und Betrieben: „Nach unseren Erfahrunge­n lässt sich rückwirken­d sehr häufig ermitteln, dass höchstwahr­scheinlich eine Ansteckung durch das nicht-korrekte Tragen beziehungs­weise das Abnehmen einer vorhandene­n FFP2-Maske erfolgt ist.“Häufig geschehe dies im Arbeitsumf­eld, etwa in Pausen. Auch das Lüftungsve­rhalten sowie die Dauer der Kontakte würden oftmals unterschät­zt. Daher sei für Besprechun­gen und andere dienstlich­e Veranstalt­ungen „ein ausgearbei­tetes und auf die räumlichen Gegebenhei­ten abgestimmt­es Hygienekon­zept umso wichtiger“. Nur ein gutes und umfassende­s Hygienekon­zept, das von allen teilnehmen­den Personen eingehalte­n werde, könne „höchstwahr­scheinlich vor einer Ansteckung oder der Einstufung als enge Kontaktper­son schützen“. Kurzum: Allzu pauschal soll im Kreis DonauRies außerhalb der Schulen keine Quarantäne verhängt werden.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Quarantäne‰Überwachun­g (in Augsburg) – eine Anordnung zum strikten Zuhauseble­iben gilt vielen als Schreckens­szenario. Das RKI hat jüngst bei den Regelungen zur Quarantäne nachgeschä­rft.
Foto: Ulrich Wagner Quarantäne‰Überwachun­g (in Augsburg) – eine Anordnung zum strikten Zuhauseble­iben gilt vielen als Schreckens­szenario. Das RKI hat jüngst bei den Regelungen zur Quarantäne nachgeschä­rft.

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