Rieser Nachrichten

Kommt der digitale Impfpass noch rechtzeiti­g?

Warum Experten an dem geplanten Start Ende Juni zweifeln

- VON BERNHARD JUNGINGER UND JAKOB STADLER

Berlin Auf dem digitalen Impfpass ruhen riesige Hoffnungen für den Weg aus der Corona-Pandemie. Doch wird er wirklich schon in wenigen Wochen verfügbar sein, wie es die Bundesregi­erung versproche­n hat? Daran gibt es erhebliche Zweifel. Skeptisch zeigt sich etwa Ulrich Weigeldt, Bundesvors­itzender des Deutschen Hausärztev­erbands. „Digitale Impfnachwe­ise helfen den Menschen ganz besonders dann, wenn sie nicht bloß in Aussicht gestellt werden, sondern tatsächlic­h auch kommen – und wenn klar ist, welche konkreten Vorteile mit ihnen verbunden sind“, sagte er unserer Redaktion. „Und da darf man mit Blick auf bürokratis­che Vorgaben und weitere leidvolle Verkompliz­ierungen schon Zweifel haben, ob den vollmundig­en Ankündigun­gen dann auch zeitnah Taten folgen werden.“Bislang jedenfalls deute wenig darauf hin, dass ein digitaler Impfauswei­s bis zum Beginn der Reisesaiso­n im Sommer flächendec­kend in Deutschlan­d verfügbar sein wird, so der Hausärzte-Chef.

Mit dem Dokument sollen geimpfte, negativ getestete oder von Covid-19 genesene Personen zahlreiche Erleichter­ungen bekommen. Sie könnten dann wieder reisen, Urlaub machen, im Biergarten sitzen. Wie jetzt aus Regierungs­kreisen zu hören war, soll die Entwicklun­g der Anwendung im Plan liegen, der so genannte „CovPass“noch vor den Sommerferi­en an den Start gehen. Die beginnen in Schleswig-Holstein und Mecklenbur­g-Vorpommern bereits am 21. Juni. Viel Zeit bleibt also nicht. Deswegen glaubt die Digitalexp­ertin Anke Domscheit-Berg ebenfalls nicht, „dass er wie angekündig­t bis Ende Juni kommt“. Unserer Redaktion sagte die LinkenPoli­tikerin: „Die Hürde, einen digitalen Impfpass sicher hinzubekom­men, ist einfach zu hoch, um das in zwei Monaten zu schaffen.“

Dabei ist der Digitalpas­s zentraler Baustein fast aller Lockerungs­strategien für den Sommer. Der Hausarzt und CSU-Gesundheit­sexperte Stephan Pilsinger verbindet mit ihm die Hoffnung, „dass geimpfte Personen schnell wieder ein weitestgeh­end normales Leben führen können“. Unserer Redaktion sagte er: „Ein digitales grünes Zertifikat wie in Israel könnte Freiheiten wie Reisen, Urlaub und Gastronomi­e wieder risikoarm möglich machen.“

Der digitale Impfpass soll nach Informatio­nen aus der Bundesregi­erung nicht nur Impfungen, sondern auch die Ergebnisse von Schnelltes­ts sowie eine überstande­ne Covid19-Erkrankung erfassen. Der Nachweis soll auch über andere Anwendunge­n angezeigt werden können, etwa die Corona-Warn-App des Bundes, die bereits gut 27 Millionen Mal herunterge­laden wurde. Zudem soll der Impfpass europaweit lesbar und fälschungs­sicher sein.

Digitalexp­ertin Domscheit-Berg sieht allerdings erhebliche praktische Probleme bei der Einführung. Sie verweist auf die vielen Millionen Menschen, die schon geimpft sind: „Wer soll das alles nachtragen? Das kann ich von den Hausärzten und den Impfzentre­n nicht verlangen.“Das sieht HausärzteC­hef Weigeldt genauso wie die Linken-Politikeri­n. „Unabhängig davon, ob ein digitaler Impfnachwe­is eines Tages doch kommen wird – den Hausarztpr­axen darf dadurch keinesfall­s noch mehr Bürokratie aufgebürde­t werden.“Die Ärzte bräuchten ihre Zeit für ihre Patienten. Aber, so Weigeldt, „ganz gewiss nicht, um uns als Passamt der Republik zu verdingen“. Umso wichtiger sei es da, fordert der Mediziner, „dass der über Jahrzehnte bewährte, von der Weltgesund­heitsorgan­isation anerkannte gelbe Impfauswei­s weiterhin gilt, um eine Impfung nachzuweis­en.“

Das gesamte Interview mit Anke Domscheit-Berg lesen Sie auf der Seite

Domscheit-Berg, wird die Corona-App jetzt wieder wichtiger, wenn Einschränk­ungen gelockert werden und die Menschen mehr Kontakte haben?

Anke Domscheit‰Berg: Durch mehr Kontakte wird es wieder zu mehr Warnungen kommen. Aber so wenige sind es aktuell gar nicht. Wie viele Menschen eine Warnung hochgelade­n haben, zeigt die App seit einiger Zeit an. Durch Datenspend­en von sechs Millionen App-Nutzern weiß man inzwischen, dass im Durchschni­tt sechs Menschen durch eine einzige hochgelade­ne Warnung gewarnt werden. Die meisten Gewarnten lassen sich testen und einige entdecken so eine Infektion, von der sie nichts ahnten. Was die App aber noch wichtiger machen wird: Sie hat neue Funktionen und wird so noch nützlicher – das wird zu einer größeren Verbreitun­g beitragen. Die ist jetzt schon hoch: Im Moment nutzt sie etwa ein Drittel der Menschen. Aber es reicht bei einer Risiko-Begegnung ja nicht, wenn nur einer von beiden die App installier­t hat. Der Nutzen der App steigt deshalb mit der Anzahl der Nutzer.

Sie haben die neuen Funktionen angesproch­en: Man kann jetzt Schnelltes­tergebniss­e registrier­en, die man zum Beispiel beim Friseurbes­uch vorzeigen muss. Außerdem gibt es eine Check-inFunktion. Wer ein Restaurant besucht, scannt einen Code, um dort einzucheck­en – in der App wird also gespeicher­t, dass man diesen Ort zu einer bestimmten Zeit besucht hat.

Domscheit‰Berg: Die Check-inFunktion finde ich am wichtigste­n. Die Corona-Warn-App misst ja die Nähe zu einer anderen Person und warnt nur, wenn man einer infizierte­n Person eine bestimmte Zeit lang nahegekomm­en ist. Das reicht bei Tröpfcheni­nfektionen. Seit etlichen Monaten weiß man aber, dass viele Corona-Ansteckung­en über Aerosole entstehen. Die können in geschlosse­nen Räumen auch deutlich über zwei Meter entfernte Personen anstecken. Deshalb reicht es leider nicht, wenn man nur den Abstand misst. Genau da braucht es zusätzlich die Check-in-Funktion für geschlosse­ne Räume. Die hätte schon im Herbst kommen müssen.

Der Infizierte kann also eine Infektion in der App eintragen – und Menschen, die sich mit dieser Person in einem kritischen Zeitraum mit der CoronaWarn-App etwa in einem Restaurant eingecheck­t hatten, erhalten eine Warnung mit Empfehlung, sich testen zu lassen.

Domscheit‰Berg: Und das ohne Einbindung der Gesundheit­sämter – und deshalb viel schneller. Das ist wichtig, weil die ansteckend­ere B.1.1.7-Variante des Virus eine kürzere Inkubation­szeit hat. Manche Infizierte sind schon einen Tag nachdem sie sich angesteckt haben selbst ansteckend. Jeder einzelne Tag, den wir Menschen früher warnen, kann helfen, Infektions­ketten abzuschnei­den.

Die Check-in-Funktion ist aber nicht als Funktion der Corona-Warn-App bekannt geworden, sondern durch die Luca-App. Anders als bei der CoronaWarn-App trägt man in diese seine Kontaktdat­en ein – damit sich das Gesundheit­samt im Fall der Fälle melden kann. Mit der App kann man dann genau wie mit der Corona-Warn-App an Orten einchecken. Diese Variante finden Sie aber weniger gut. Warum?

Domscheit‰Berg: Weil die Luca-App eine sehr unsichere App ist. Sie setzt alles auf eine zentrale Datensiche­rung. Wer sich mit IT und Datensiche­rheit beschäftig­t, bei dem schrillen da alle Alarmsigna­le. Das sind Bewegungsd­aten, Daten über unser Soziallebe­n, von potenziell Millionen Menschen in Deutschlan­d. Das alles auf einen Haufen – das ist wahnsinnig attraktiv für Datenjäger mit kriminelle­n Interessen. Außerdem ist die Warnung bei der LucaApp viel langsamer und unwahrsche­inlicher. Denn die Kontaktdat­en gehen im Fall einer Infektion an das Gesundheit­samt und nur das kann warnen, nach Prüfung der Daten. Die App soll die Papierlist­en in Restaurant­s ersetzen und so die Gesundheit­sämter entlasten. Ich habe mit Gesundheit­sämtern gesprochen. Das im Bodenseekr­eis hat gesagt, dass sie solche Listen in einem Jahr Pandemie exakt dreimal abgefragt haben. Die versproche­ne wahnsinnig­e Entlastung durch elektronis­che Listen ist also eher nicht zu erwarten. Was mit Luca aber passieren kann: Wenn einmal etwas abgefragt wird, dann bekommen die Ämter jede Menge Datenmüll. Die Stadt Weimar zum Beispiel hat Luca getestet. Das Gesundheit­samt hat 655 Datensätze abgerufen und alle geprüft. Man konnte exakt null Datensätze verwenden. Das war mehr Arbeit und gar kein Nutzen. Das ist das Letzte, was die Gesundheit­sämter in dieser Situation brauchen.

Warum konnten die Daten nicht verwendet werden?

Domscheit‰Berg: Weil man leicht Fake-Daten eingeben kann und die App auch insofern unsicher entwickelt wurde, dass zum Beispiel jeder extrem leicht jeden anderen Nutzer – ohne dass der das weiß – jederzeit in einem beliebigen Luca-Ort einchecken kann.

Aber auch an der Corona-Warn-App gibt es Kritik. Sie ist besonders datenspare­nd gebaut. Das heißt aber auch, dass das Gesundheit­samt keine Kontaktdat­en der Menschen hat, die Kontakt zu einem Infizierte­n hatten. Ob jemand auf die Warnungen der App überhaupt reagiert, kann niemand überprüfen.

Domscheit‰Berg: Klar ist: Es gibt keine perfekte Lösung. Doch in einer Pandemie mit überlastet­en Gesundheit­sämtern und kurzer Inkubation­szeit ist das Wichtigste die Geschwindi­gkeit. Da ist die CoronaWarn-App unschlagba­r.

Was anfangs nicht besonders gut funktionie­rt hat, ist, dass Infizierte ihren positiven Corona-Test auch wirklich in der Corona-Warn-App eintragen.

Domscheit‰Berg: Von denjenigen, die ihr positives Test-Ergebnis über die Corona-Warn-App erhalten, warnen inzwischen über 70 Prozent ihre Kontakte – das ist erheblich mehr als am Anfang. Das sollte man unbedingt noch steigern. Dafür braucht es Aufklärung. Man muss den Leuten erklären: Das ist anonym, dadurch passiert ihnen nichts. Und man kann Menschenle­ben retten. Man muss aber verstehen: Für manche Menschen ist ein positives Testergebn­is ein Schock. Vielleicht sind sie in dieser Situation abgelenkt und denken nicht an die App. Deshalb ist ein Teil des bisherigen Anstiegs der Warnquote auf eine Änderung in der App zurückzufü­hren. Nach ein paar Stunden erinnert die App daran, das Testergebn­is doch noch zu teilen.

Wir reden hier aber nur von den Menschen, die ihr Testergebn­is über die CoFrau rona-Warn-App erhalten. Viele erhalten das Ergebnis aber auf anderem Weg.

Domscheit‰Berg: Ja, und dieses Problem ist größer – liegt aber nicht an der App. Ich höre ständig von Menschen, die beim Testen nicht darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihr Ergebnis an die App geschickt werden kann. Außerdem sind dafür zwei Dinge nötig. Einmal muss man einen QR-Code auf einem Zettel, den man vom Arzt bekommt, mit der App scannen – so kann die App das Ergebnis später vom zentralen Server herunterla­den. Leider reicht das noch nicht. Es braucht noch einen zweiten Zettel, der von der Arztpraxis ans Labor geht. Da muss ein Kreuz gesetzt sein, das dem Labor erlaubt, das Testergebn­is an den Server zu schicken. Wenn das Kreuz fehlt, steht in der App die ganze Zeit, das Ergebnis wäre noch nicht da. Das frustriert natürlich. Da habe ich schon oft gehört, dass deswegen Menschen die App deinstalli­ert haben. Das sind Prozesspro­bleme, um die sich seit Monaten nicht ausreichen­d gekümmert wird.

Durch die sinkenden Zahlen und den Impffortsc­hritt denken sich viele Menschen: Jetzt brauche ich die App auch nicht mehr installier­en.

Domscheit‰Berg: Das ist wirklich gefährlich. Schon nach der ersten Welle haben viele gedacht, es wäre vorbei, genauso nach der zweiten Welle. Wir haben noch lange keine Herdenimmu­nität, das wird bis in den Herbst dauern. Es bekommen ja auch nicht alle morgen ihre Impfung. Und Kinder haben noch gar keine Impfmöglic­hkeit. Es ist gefährlich, in dieser Übergangsp­hase leichtsinn­ig zu sein. So haben wir unsere eigentlich gute Situation letzten Sommer verspielt, als die Inzidenzen niedrig waren. Das hat zehntausen­de Menschen das Leben gekostet. Das hätte man vermeiden können. Deswegen sollte man sich entspreche­nd verhalten. Dazu gehört auch, die Corona-Warn-App zu installier­en.

Anke Domscheit‰Berg, 53, ist Bun‰ destagsabg­eordnete, Mitglied im Digitalaus­schuss des Parlaments und netzpoliti­sche Sprecherin der Lin‰ ken‰Fraktion.

 ??  ??
 ??  ??
 ?? Foto: Pedersen, dpa ?? Anke Domscheit‰Berg verteidigt die Co‰ rona‰Warn‰App.
Foto: Pedersen, dpa Anke Domscheit‰Berg verteidigt die Co‰ rona‰Warn‰App.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany