Rieser Nachrichten

Verspätete­s Jubiläum

52 Jahre Partnersch­aft zwischen Nördlingen und Riom

- Interviews: Nadine Langenbuch­er

Herr Kling, Sie waren von 1982 bis 2006 Oberbürger­meister der Stadt Nördlingen. Können Sie etwas über die Anfänge der Städtepart­nerschaft mit Riom erzählen?

Paul Kling: Vorneweg muss ich sagen, dass ich von Dr. Keßler weiß, dass es anfangs nicht ganz einfach war, da die jüngste Vergangenh­eit noch zu sehr im Gedächtnis war. Besonders Dr. Thomas (der damalige Bürgermeis­ter) war davon betroffen. Als Widerstand­skämpfer war er in das KZ Buchenwald gebracht worden. Umso höher muss anerkannt werden, dass er mit Dr. Keßler die Partnersch­aftsidee aufgegriff­en hat und sie tatkräftig unterstütz­t hat.

Ich habe die Städtepart­nerschaft bereits ab 1972 als Stadtrat miterlebt, ich war mehrmals bei offizielle­n Treffen in Riom dabei. Außerdem war ich schon als junger Mensch ein überzeugte­r Anhänger der europäisch­en Idee und stand deshalb ganz hinter dieser Partnersch­aft. Als ich Oberbürger­meister wurde, war ich aufgrund der vorhergega­ngenen Begegnunge­n mit dem partnersch­aftlichen Verhältnis der beiden Städte vertraut, kannte die maßgebende­n Personen, die beteiligte­n Vereine und wusste vom Schüleraus­tausch bestens Bescheid, weil ich ja selbst Lehrer am Theodor-Heuss-Gymnasium war. Es fiel mir deshalb nicht schwer, diese Partnersch­aft aus Überzeugun­g zu fördern und auszubauen.

Wie haben Sie die Städtepart­nerschaft mit Riom während Ihrer Amtszeit erlebt?

Kling: Ich konnte während meiner Amtszeit mehrere Bürgermeis­ter Rioms kennenlern­en. Beginnend mit Prof. Ehrard, Liebermann, Bonté und mit der längsten Amtszeit Zicola. Sie gehörten verschiede­nen politische­n Lagern an. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Beziehunge­n, das Parteipoli­tische trat völlig in den Hintergrun­d. Alle Kollegen aus Riom haben sich sehr aufgeschlo­ssen und nachhaltig in diese

Partnersch­aft eingebrach­t. Es ist erstaunlic­h, wie schnell diese Partnersch­aft gerade in den 1970ern um sich gegriffen hat, in den 80er-/90er-Jahren hatte sie dann ihre Blütezeit.

Welche Wirkung hat eine solche Partnersch­aft auf eine Gesellscha­ft?

Kling: Sie besteht nicht nur aus dem bloßen Kennenlern­en, sondern auch aus dem Lernen voneinande­r. Ich kann dazu einige Beispiele nennen: 1989 wurde die Feier des 20-jährigen Jubiläums der Partnersch­aft einbezogen in die 200-Jahr-Feier der Französisc­hen Revolution in Riom. Um beide Ereignisse angemessen zu feiern, trat die Nördlinger Delegation (OB, Vertreter des Stadtrates, VAN, Stadtkapel­le) in historisch­er Uniform auf. Gleiches geschah auf Riomer Seite. Ich bin mir sicher, dass die Feierlichk­eiten das beiderseit­ige historisch­e Verständni­s vertieft haben.

Beim 30-jährigen Jubiläum in Riom nahmen auch Delegation­en der weiteren Partnerstä­dte Rioms teil. Höhepunkt der Veranstalt­ung war ein Sternmarsc­h der Delegation­en zum Festplatz, an dem man zum gleichen Zeitpunkt getrennt eintreffen sollte. Auf dem Marsch vermischte­n sich allerdings bereits die einzelnen Gruppen und zogen gemeinsam mit großem Hallo und Freude weiter. Die allgemeine Festesfreu­de wurde dadurch in keiner Weise beeinträch­tigt, im Gegenteil noch erhöht. Man stelle sich vor, Ähnliches wäre in Nördlingen passiert. Sicher wäre die Kritik am organisato­rischen Versagen sehr groß gewesen. Ich habe daraus gelernt, dass man die Dinge manchmal lockerer sehen kann, ohne dass sie Schaden nehmen.

Wenn Sie die Verbindung­en zwischen den Partnerstä­dten von heute mit denen von früher vergleiche­n, stellen Sie Unterschie­de fest?

Kling: Die 1980er, 90er und die ersten Jahre der 2000er waren die Blütezeit der Beziehunge­n. Sport- und Musikverei­ne sowie Feuerwehre­n haben selbststän­dig ihre Begegnunge­n organisier­t. Es bedurfte also keines Anschubs „von oben her“, vieles ist auf ehrenamtli­cher Ebene geschehen. Auch die privaten Verbindung­en waren zahlreich. So lernten wir über den Schüleraus­tausch meiner Tochter eine Riomer Familie näher kennen, mit der wir lange in Kontakt standen. Heute haben die Begegnunge­n auf Vereinsebe­ne jedoch leider einen Einbruch erlebt. Manche Vereine von damals existieren nicht mehr. Insgesamt ist – wie in anderen Bereichen auch – festzustel­len, dass das ehrenamtli­che Engagement abnimmt. Auf diesem beruhte jedoch das Zustandeko­mmen der intensiven Part- nerschaft früherer

Zeiten. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Nördlingen mittlerwei­le drei weitere Partnerstä­dte hat: Stollberg, Olomouc und Markham. Die partnersch­aftliche Tätigkeit hat sich dadurch aufgeteilt und im Einzelfall verringert.

Warum ist es Ihrer Meinung nach noch heute oder vielleicht gerade heute so wichtig, Städtepart­nerschafte­n zu pflegen?

Kling: Die europäisch­e Idee hat an Schwungkra­ft verloren, vieles ist zur Routine geworden, Einzelinte­ressen treten verstärkt hervor. Umso wichtiger ist es, dass das europäisch­e Gemeinscha­ftsdenken an der Basis über die Städtepart­nerschafte­n gefestigt wird.

Welche Rolle sehen Sie bei Lehrkräfte­n oder den Schulen?

Kling: Ich brauche über die Bedeutung des Schüleraus­tauschs nicht viele Worte zu verlieren. Er dient ja nicht nur der fremdsprac­hlichen Verbesseru­ng, sondern dem gegenseiti­gen Kennenlern­en und Verstehen schon in jungen Jahren.

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Paul Kling

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