Fall um totes Kleinkind startet erneut
Beim wiederholten Prozess im Fall um den 23 Monate alten Buben geht es um Rechtsfehler beim Motiv. Bald könnte die Rolle von RTL-Journalisten in den Fokus kommen.
Bopfingen/Ellwangen Wegen des schrecklichen Todes eines 23 Monate alten Jungen vor gut zwei Jahren in einem Bopfinger Ortsteil muss sich ein jetzt 35 Jahre alter Mann erneut vor dem Landgericht Ellwangen verantworten. Er ist zwar von einer anderen Kammer wegen Totschlags und Misshandlung Schutzbefohlener bereits zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) aber aufgrund einer Revision der Staatsanwaltschaft in Teilen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. In dieser muss nun geklärt werden, ob eine Verurteilung wegen Mordes in Frage kommt, wie es die Staatsanwaltschaft ursprünglich gefordert hatte. Vor seinem Tod hat der Bub ein Martyrium mit unvorstellbaren Qualen erleiden müssen.
Dies wurde am ersten Tag der erneuten Verhandlung wieder deutlich in den Ausführungen von Staatsanwalt Patrick Schmidt und bei der Verlesung der Feststellungen des Bundesgerichtshofs und des ersten Urteils des Landgerichts. Die darin enthaltenen „Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen“, wie es im BGH-Urteil heißt, bleiben demnach bestehen. Rechtsfehler sieht das oberste Gericht dagegen bei den Feststellungen zum Motiv des Täters. Dieser wurde zur erneuten Verhandlung an Händen und Füßen gefesselt in Begleitung einer seiner beiden Anwältinnen von drei Justizbeamten in den Saal geführt. Eine schwarze Mütze tief ins Gesicht
gezogen und Mund und Nase mit einer Maske bedeckt nahm er auf der Anklagebank Platz, legte den Kopf auf den Tisch und wartete regungslos auf den Beginn der Verhandlung. Seine Angaben vor Gericht beschränkten sich auf knappe persönliche Daten wie Geburtstag, Geburts- und Wohnort. Ansonsten hüllte er sich in Schweigen.
Ihm wird Folgendes zur Last gelegt: 2021 war er eine Beziehung mit einer fünffachen Mutter in Bopfingen eingegangen. Anfangs sah man sich nur am Wochenende, später zog der 35-Jährige bei der Frau ein. Sie vertraute ihm ihren kleinen Buben an, der den Angaben nach ein normal entwickeltes Kind war, um das sich zunächst die Mutter und seine älteren Geschwister gekümmert hatten. Dies sollte nun auch ihr neuer Lebensgefährte tun, der aber schon bald begann, den Jungen zu quälen und zu malträtieren. Der Grund: Er habe seinem leiblichen Vater ähnlich gesehen, weswegen der Angeklagte ihn gehasst habe. Das wehrlose Kind habe ihm dazu jedoch keinen Anlass geliefert, sagte der
Staatsanwalt. Er habe dem Kleinen schwere Verletzungen zugefügt. Die Misshandlungen seien beispielsweise zunehmend durch blaue Flecken, Hämatome und ein geschwollenes Auge offensichtlich geworden. Der Angeklagte versuchte dies damit zu erklären, dass das Kind heruntergefallen sei oder sich gestoßen habe. Sein ältester Bruder machte die Mutter auf die Qualen des Kleinen aufmerksam, und sie versprach, mit ihrem Lebensgefährten zu reden. An der Situation änderte dies aber nichts, obwohl dem Mann bewusst gewesen sei, so die Richter, dass ihm die Sorge für das Kind übertragen worden sei.
Ende Oktober 2021 trat der Angeklagte den auf dem Rücken liegenden Jungen so massiv auf den Bauch, dass er Tage später an Herz- und Kreislaufversagen starb. In seinem Urteil hatte das Landgericht allerdings keine Mordmerkmale gesehen und daher auf Totschlag und Misshandlung Schutzbefohlener erkannt. Die Tatsachenfeststellungen seien zwar richtig, befand der BGH, frühere Misshandlungen des Kindes seien aber nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Strafkammer hätte die Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit gegenüber dem Kind über einen langen Zeitraum in Bezug zum tödlichen Tritt setzen müssen.
An diesem Montag soll die Mutter des kleinen Buben gehört werden. Sie ist bereits rechtskräftig wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden, weil sie gewusst habe, dass ihr Lebensgefährte das Kleinkind über Tage und Wochen geschlagen und misshandelt habe, aber nichts dagegen unternommen habe. Beim ersten Prozess gegen ihren früheren Lebensgefährten hatte sie vor Gericht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, sich hinterher aber gegenüber dem Fernsehsender RTL geäußert. Daher regte die Anwältin des Angeklagten an, die vorzuladen, um die Aussagen der Mutter bewerten zu können. Ob sie selbst sich nun äußert, ist offen.