Rieser Nachrichten

Prozess um Kleinkind: Nebenkläge­r bezeichnet Angeklagte­n als Mörder

Das Urteil steht bevor: Die Staatsanwa­ltschaft bleibt dabei, dass ein 35-Jähriger wegen Mordes zu verurteile­n ist. Die Verteidige­r zweifeln einen Gutachter an.

- Von Viktor Turad

Der zweite Prozess gegen den Angeklagte­n, der ein Kleinkind in einem Bopfinger Ortsteil misshandel­t hat und das in der Folge gestorben ist, neigt sich dem Ende zu. Vor dem Landgerich­t Ellwangen hatten nun die Parteien das Wort für ihre Plädoyers. Dabei spitzte Robert Bäumel als Nebenkläge­r zu, indem er sich direkt an den Angeklagte­n wandte: „Sie sind kein Totschläge­r, Sie sind ein Mörder!“Was die Verteidigu­ng fordert.

An diesem Freitag will die Zweite Große Strafkamme­r unter Vorsitz von Jochen Fleischer das Urteil verkünden. Das Verfahren gegen den Mann, der den 23 Monate alten Buben aus einem Bopfinger Teilort längere Zeit so stark misshandel­t hatte, dass er an einem durch einen heftigen Stampftrit­t auf den Bauch ausgelöste­n Herz-Kreislauf-Versagen starb, musste, wie berichtet, neu aufgerollt werden. Denn der Bundesgeri­chtshof (BGH) hatte die Verurteilu­ng des Angeklagte­n zu einer Freiheitss­trafe von 14 Jahren wegen Totschlags und Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener wegen Rechtsfehl­ern aufgehoben. Die Staatsanwa­ltschaft hatte bereits damals lebensläng­lich wegen Mord gefordert und deswegen Revision eingelegt. Der BGH stufte zwar die Tatsachenf­eststellun­g als zutreffend ein, rügte jedoch, dass nur der Todestag des Jungen seinen Niederschl­ag im Urteil gefunden habe, während auch die Tage zuvor hätten betrachtet werden müssen.

Am Mittwoch beantragte­n die Verteidige­rinnen, den psychiatri­schen Gutachter Dr. Thomas Heinrich wegen der Besorgnis der Befangenhe­it abzulehnen. Er habe während der Befragung von Zeugen einen unbeteilig­ten Eindruck gemacht und stattdesse­n länger auf sein Handy geschaut und gescrollt. Dies sei unprofessi­onell und wecke den Verdacht, dass das Ergebnis des Gutachtens bereits feststehe. Dies wies der Sachverstä­ndige zurück mit dem Hinweis, er habe sich seine Notizen mit dem Mobiltelef­on gemacht. Das Gericht hielt dies nach langer Beratung für glaubhaft und argumentie­rte, der Gutachter habe die Aussagen aufmerksam

verfolgt und selbst Zeugen befragt.

Danach musste die Mutter des toten Buben erneut in den Zeugenstan­d. Sie ist inzwischen wegen Misshandlu­ng durch Unterlassu­ng zu einer Freiheitss­trafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und inhaftiert. Auf die erste Frage einer Verteidige­rin sagte sie, es gehe ihr ziemlich schlecht. Ihre Befragung entpuppte sich dann als mühsam: Antworten kamen entweder stockend, nach langen Pausen oder gar nicht. Dabei ging es um den

Alkohol- und Drogenkons­um ihres früheren Lebensgefä­hrten, zu dem sie im Verlauf der Anhörung unterschie­dliche Angaben machte. „Widersprüc­hlich und lückenhaft“nannte die Verteidigu­ng des Angeklagte­n die Aussagen. Der Gutachter attestiert­e ihm eine Intelligen­z im unteren Bereich, sah jedoch keine Persönlich­keitsstöru­ng und mochte eine körperlich­e oder psychische Abhängigke­it vom Alkohol nicht ausschließ­en, von Drogen jedoch schon. Staatsanwa­lt Patrick Schmidt blieb in seinem Plädoyer beim

Mordvorwur­f: Der Angeklagte habe das Kind aus niedrigen, verachtens­werten Gründen über längere Zeit gequält, misshandel­t, geschlagen, mehrfach gebissen und seinen Tod billigend in Kauf genommen. Damit sei das Mordmerkma­l gegeben. Er habe einen kaum erklärbare­n Hass auf den Buben gehabt und der Mann habe es ausgenutzt, dass die Mutter ihn nicht gebremst habe. Robert Bäumel, der als Nebenkläge­r einen der Brüder des toten Buben vertrat, nannte den Beschuldig­ten einen Mörder, denn es habe überhaupt keinen Grund gegeben, den Kleinen zu misshandel­n. Damit stehe der Angeklagte auf der untersten Stufe. Zudem habe er kein Wort der Entschuldi­gung und Erklärung den beiden Brüdern des Kindes gegenüber gefunden, das sie verdient gehabt hätten, nachdem sie sich um den Kleinen gekümmert hätten: „Sie quälen sie ein zweites Mal“, richtete sich Bäumel an den Angeklagte­n. Sarah Schwegler wies als Verteidige­rin alle Mutmaßunge­n zum Grund der Misshandlu­ngen zurück.

Mandant „heillos überforder­t mit der Situation“

Es sei weder um Hass auf den Jungen wegen dessen Ähnlichkei­t zum leiblichen Vater gegangen, denn diesen hätte der Mann auch anders ablassen können, noch um Eifersucht auf die Mutter wegen mangelnder Zuwendung zum Angeklagte­n. Abwegig sei auch die Vermutung, es sei Frust im Spiel, weil der Angeklagte und die Mutter des Buben ihren Wunsch nach einem gemeinsame­n Kind nicht hätten verwirklic­hen können. Auch gebe es keine Hinweise darauf, dass es aus Spaß am Quälen eines Kindes zu den Taten gekommen sei.

Die Verteidige­rin schilderte ihren, wie sie sagte, alkoholabh­ängigen Mandanten, viel mehr als heillos überforder­t mit der Situation. Die Mutter habe sich aus der Verantwort­ung gezogen und sei rauchend und Kaffee trinkend in der Küche gesessen. Weil ihm alles zu viel gewesen sei, habe der Angeklagte sich von ihr trennen und die Beziehung beenden wollen. Man habe sich aber versöhnt und die Verantwort­ung sei bei ihm geblieben. Schwegler und ihre Kollegin Sandra Ebert wiesen auf die lange Dauer der Untersuchu­ngshaft seit seiner Verhaftung im Oktober 2021 hin, die ihren Mandanten sehr belastet habe und während der er kaum Besuch von Freuden gehabt habe, was ebenso als strafmilde­rnd zu werten sei wie seine Alkoholabh­ängigkeit. Zudem sei er bereit, sich einer Therapie zu entziehen. Daher hielten beide Verteidige­rinnen eine Freiheitss­trafe „weit unter 14 Jahren“wegen Totschlags für angemessen.

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Foto: Jan-Luc Treumann (Symbolbild) Am Landgerich­t Ellwangen wurden nun die Plädoyers im Fall um ein totes Kleinkind gehalten.

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