Historisches Zeugnis: Die ersten Filmaufnahmen aus Nördlingen
Stadtarchivar Dr. Johannes Moosdiele-Hitzler referiert über VAN und Knabenkapelle. Beide Institutionen werden heuer 100 Jahre alt.
Von „Sommerhalle“konnte keine Rede sein beim Vortrag von Dr. Johannes MoosdieleHitzler zum 100. Doppelgeburtstag von Knabenkapelle und VAN im Rahmen der Rieser Kulturtage. Trotz angekündigter „Heizung“war es im gut gefüllten Ochsenzwinger kalt, trotz des Wetters hatten sich aber viele Interessierte eingefunden. Und sie bekamen einen im besten Sinne „wohltemperierten“Vortrag des Stadtarchivars geboten, der, wie Oberbürgermeister David Wittner in seiner Begrüßung betonte, auch gerne zweimal erlebbar sei.
Denn beim Neujahrsempfang der Stadt hatte der Archivar über das gleiche Thema referiert. „Die Knabenkapelle und der Verein AltNördlingen sind aus dem städtischen Kulturleben nicht mehr wegzudenken“, begann Moosdiele-Hitzler, „Vor 100 Jahren wurden beide gegründet, um die Stadtgeschichte anschaulich und erlebbar zu machen. Heute, vier Generationen später, sind sie selbst zu einem Teil der Stadtgeschichte geworden.“Doch warum wurden beide Institutionen beinahe gleichzeitig ins Leben gerufen? Was war denn vor 100 Jahren? Diesen Fragen gab der Stadtarchivar beredte und auch visuell sehr anschauliche Antworten. Er konnte sogar bewegte Bilder zum Thema beisteuern: Er hatte nämlich aus den Tiefen des Nördlinger Stadtarchivs einen Schatz gehoben, der die ersten (Stumm-)Filmaufnahmen aus Nördlingen zeigt. Ausgerechnet auf diesen Streifen sind Knabenkapelle und der VAN in den allerersten Anfängen zu sehen. Als die Bilder plus die beiden Nördlinger Institutionen
laufen lernten, wenn man so will. Die Persönlichkeit, die Nördlingen in den Jahren 1917 bis 1926 entscheidend und nachhaltig geprägt hat, muss man wohl als Glücksfall bezeichnen: den rechtskundigen ersten Bürgermeister Dr. Otto Mainer.
Er hatte sich und Nördlingen zwei Hauptziele gesteckt: die Welt in das damals noch wenig bekannte und im Grunde auch recht selbstgenügsame Städtchen zu holen und Nördlingen zum Vorbild für die kulturelle Erneuerung Deutschlands zu machen. Mit welchen Visionen, Plänen, welchen Maßnahmen und auch Winkelzügen, aber auch gegen welche Widerstände der umtriebige Machtmensch seine Vorhaben durch setzte, erklärte Moosdiele-Hitzler anschaulich, mit vielen visuellen Beispielen und erstaunlichen Preziosen
wie Konzerten, Vorträgen, Liederabenden, Lesungen und auch prominenten Besuchern. Nördlingen in dieser kurzen Zeit als Tor zur Welt etablieren, mit riesigem Festspielhaus und eigenem großem Festspiel, das konnte damals wahrscheinlich nicht wirklich gut gehen. Moosdiele-Hitzler erklärt auch das Scheitern trotz großem Publikumserfolgs und deutschlandweiter Anerkennung und Bewunderung. Geblieben sind die beiden Jubilare, die das Vermächtnis Mainers – wenn auch in ein wenig anderem Sinne als von ihm geplant – bis heute leben. Und zwar auch im Ochsenzwinger an diesem Abend: als musikalische Umrahmung (Quartett der Knabenkapelle) und mit dem Prolog aus dem damaligen Festspiel, im „Ornat“vorgetragen von Alexander Güntert (VAN).