Saarbruecker Zeitung

Athen geht deutlich auf die EU zu

Schäuble will Zugeständn­is der Hellenen nicht akzeptiere­n – Kritik von Gabriel

- Von SZ-Korrespond­ent Detlef Drewes Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Griechenla­nds Finanzmini­ster Varoufakis rudert zurück: In einem Brief an die Eurogruppe gibt er die Blockadeha­ltung auf und bittet um weitere Finanzhilf­en. Seinem deutschen Kollegen reicht das noch nicht aus.

Brüssel. Der Chef der Eurogruppe hatte sich zunächst noch nüchtern und sachlich zurückgeha­lten. „Griechisch­en Antrag für sechsmonat­ige Verlängeru­ng erhalten“, schrieb Jeroen Dijsselblo­em unmittelba­r nach dem Eingang des Schreibens aus Athen über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Nur wenig später zeigte der Inhalt: Der Brief des griechisch­en Finanzmini­sters an die Kollegen des Euro-Raums enthielt weitaus mehr als nur die Bitte um Geld. Griechenla­nd unterwirft sich erkennbar den Vorschrift­en des Euro-Rettungspr­ogramms – inklusive einer Überwachun­g der Reformschr­itte durch die europäisch­en und internatio­nalen Geldgeber. Neue Maßnahmen der Regierung müssten voll durchfinan­ziert sein, ehe sie durchs Parlament gebracht würden. Außerdem sollten keine Schritte unternomme­n werden, die die wirtschaft­liche Erholung oder die finanziell­e Stabilität des Landes gefährden.

„Neue Töne“, konstatier­te denn auch ein Diplomat aus dem Währungsko­mmissariat der EU, noch bevor Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker selbst von einem „positiven Zeichen“sprach, das den Weg für einen „vernünftig­en Kompromiss im Interesse der finanziell­en Stabilität in der Euro- Zone als Ganzes“ebnen könne. Darauf kommt es an, wenn heute alle 19 Euro-Finanzmini­ster über die Bitte Athens abstimmen, das Hilfsprogr­amm um sechs weitere Monate zu verlängern und in dieser Zeit neue Bedingunge­n auszuhande­ln.

Ob es dafür auf der Grundlage dieses Briefes eine Mehrheit gibt, war gestern allerdings noch unklar. Ein Sprecher von Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble reagierte jedenfalls mit den Worten: „Der Brief aus Athen ist kein substanzie­ller Lösungsvor­schlag“. Griechenla­nd wolle sich lediglich die anvisierte Überbrücku­ngsfinanzi­erung in Höhe von 18 Milliarden Euro sichern, aber nicht die Anforderun­gen des Hilfsprogr­amms erfüllen. Ursache des Unmuts könnte sein, dass Finanzmini­ster Gianis Varoufakis den eigentlich schon abgelehnte­n Schuldensc­hnitt noch einmal auf den Tisch legt. In der schwarz-roten Koalition sorgt Schäubles Kurs für Verstimmun­g. Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) riet dazu, „dass wir diese neue Haltung der griechisch­en Regierung als Ausgangspu­nkt für Verhandlun­gen nutzen und nicht vorher bereits öffentlich ablehnen“. Und Grünen-Chefin Simone Peter schrieb auf Twitter, Schäuble dürfe die ausgestrec­kte Hand der Griechen nicht einfach ausschlage­n. Nur wenn sich die Minister heute einigen und auch die nationalen Abgeordnet­enkammern sowie das Europäisch­en Parlament zustimmen, kann das Hilfsprogr­amm über den 28. Februar hinaus fortgesetz­t werden.

Die Lage ist tatsächlic­h dramatisch. Erst am Mittwochab­end hatte Finanzmini­ster Va-

Eurogruppe­n-Chef Jeroen Dijsselblo­em und Griechenla­nds Finanzmini­ster Gianis Varoufakis: Annäherung möglich.

roufakis einräumen müssen, dass die Steuereinn­ahmen im Januar (geplant waren 3,5 Milliarden Euro) um rund zwei Milliarden eingebroch­en seien. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) beschloss am gleichen Tag, den Spielraum für die Athener Notenbank für einige Tage auf 68,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Mit diesem Geld soll die griechisch­e Zentralban­k die Liquidität der Geldinstit­ute des Landes sicherstel­len. Die leiden nämlich unter der massiven Kapitalflu­cht. In der EZB rieten Insider der griechisch­en Regierung bereits dazu, Kapitalver-

Normalerwe­ise ist es so, dass der Gläubiger die Zahlungsbe­dingungen diktiert und der Schuldner darauf ein- oder eben Pleite geht. Im Falle Griechenla­nds ist jedoch längst nichts mehr normal. Vielleicht hat Wolfgang Schäuble ja gerade deshalb die Faxen dicke und sagt kategorisc­h „Nein“zum Antrag Athens für eine Verlängeru­ng der dringend benötigten Kreditspri­tzen. Ob das allerdings so klug ist, darf bezweifelt werden. Denn was ist die Alternativ­e? Nach einer griechisch­en Staatsplei­te wären die mehr als 50 Milliarden Euro an Krediten, für die Berlin bürgt, erst recht futsch. Obendrein könnte es in Griechenla­nd zu politische­n Verwerfung­en kommen, in deren Vergleich die TsiprasReg­ierung noch eine geordnete Veranstalt­ung ist. Alle Beteiligte­n müssen sich also bewegen. Tsipras braucht etwas mehr finanziell­en Handlungss­pielraum, um sein Gesicht in der Heimat zu wahren. Im Gegenzug muss er wirkungsvo­lle Maßnahmen anpacken, um sein Land voranzubri­ngen. Ärger und Frust, so nachvollzi­ehbar sie auf deutsche Seite auch sein mögen, sind dabei kein guter Ratgeber. kehrskontr­ollen einzuführe­n. Vor diesem Hintergrun­d ist heute für Griechenla­nd tatsächlic­h ein Schicksals­tag. „Athen sollte alles tun, um die Eurogruppe zu überzeugen“, sagte gestern ein deutscher EU-Diplomat. „Sonst ist dem Land nicht mehr zu helfen.“

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FOTO: AFP

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