Athen geht deutlich auf die EU zu
Schäuble will Zugeständnis der Hellenen nicht akzeptieren – Kritik von Gabriel
Griechenlands Finanzminister Varoufakis rudert zurück: In einem Brief an die Eurogruppe gibt er die Blockadehaltung auf und bittet um weitere Finanzhilfen. Seinem deutschen Kollegen reicht das noch nicht aus.
Brüssel. Der Chef der Eurogruppe hatte sich zunächst noch nüchtern und sachlich zurückgehalten. „Griechischen Antrag für sechsmonatige Verlängerung erhalten“, schrieb Jeroen Dijsselbloem unmittelbar nach dem Eingang des Schreibens aus Athen über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Nur wenig später zeigte der Inhalt: Der Brief des griechischen Finanzministers an die Kollegen des Euro-Raums enthielt weitaus mehr als nur die Bitte um Geld. Griechenland unterwirft sich erkennbar den Vorschriften des Euro-Rettungsprogramms – inklusive einer Überwachung der Reformschritte durch die europäischen und internationalen Geldgeber. Neue Maßnahmen der Regierung müssten voll durchfinanziert sein, ehe sie durchs Parlament gebracht würden. Außerdem sollten keine Schritte unternommen werden, die die wirtschaftliche Erholung oder die finanzielle Stabilität des Landes gefährden.
„Neue Töne“, konstatierte denn auch ein Diplomat aus dem Währungskommissariat der EU, noch bevor Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker selbst von einem „positiven Zeichen“sprach, das den Weg für einen „vernünftigen Kompromiss im Interesse der finanziellen Stabilität in der Euro- Zone als Ganzes“ebnen könne. Darauf kommt es an, wenn heute alle 19 Euro-Finanzminister über die Bitte Athens abstimmen, das Hilfsprogramm um sechs weitere Monate zu verlängern und in dieser Zeit neue Bedingungen auszuhandeln.
Ob es dafür auf der Grundlage dieses Briefes eine Mehrheit gibt, war gestern allerdings noch unklar. Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble reagierte jedenfalls mit den Worten: „Der Brief aus Athen ist kein substanzieller Lösungsvorschlag“. Griechenland wolle sich lediglich die anvisierte Überbrückungsfinanzierung in Höhe von 18 Milliarden Euro sichern, aber nicht die Anforderungen des Hilfsprogramms erfüllen. Ursache des Unmuts könnte sein, dass Finanzminister Gianis Varoufakis den eigentlich schon abgelehnten Schuldenschnitt noch einmal auf den Tisch legt. In der schwarz-roten Koalition sorgt Schäubles Kurs für Verstimmung. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) riet dazu, „dass wir diese neue Haltung der griechischen Regierung als Ausgangspunkt für Verhandlungen nutzen und nicht vorher bereits öffentlich ablehnen“. Und Grünen-Chefin Simone Peter schrieb auf Twitter, Schäuble dürfe die ausgestreckte Hand der Griechen nicht einfach ausschlagen. Nur wenn sich die Minister heute einigen und auch die nationalen Abgeordnetenkammern sowie das Europäischen Parlament zustimmen, kann das Hilfsprogramm über den 28. Februar hinaus fortgesetzt werden.
Die Lage ist tatsächlich dramatisch. Erst am Mittwochabend hatte Finanzminister Va-
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis: Annäherung möglich.
roufakis einräumen müssen, dass die Steuereinnahmen im Januar (geplant waren 3,5 Milliarden Euro) um rund zwei Milliarden eingebrochen seien. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschloss am gleichen Tag, den Spielraum für die Athener Notenbank für einige Tage auf 68,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Mit diesem Geld soll die griechische Zentralbank die Liquidität der Geldinstitute des Landes sicherstellen. Die leiden nämlich unter der massiven Kapitalflucht. In der EZB rieten Insider der griechischen Regierung bereits dazu, Kapitalver-
Normalerweise ist es so, dass der Gläubiger die Zahlungsbedingungen diktiert und der Schuldner darauf ein- oder eben Pleite geht. Im Falle Griechenlands ist jedoch längst nichts mehr normal. Vielleicht hat Wolfgang Schäuble ja gerade deshalb die Faxen dicke und sagt kategorisch „Nein“zum Antrag Athens für eine Verlängerung der dringend benötigten Kreditspritzen. Ob das allerdings so klug ist, darf bezweifelt werden. Denn was ist die Alternative? Nach einer griechischen Staatspleite wären die mehr als 50 Milliarden Euro an Krediten, für die Berlin bürgt, erst recht futsch. Obendrein könnte es in Griechenland zu politischen Verwerfungen kommen, in deren Vergleich die TsiprasRegierung noch eine geordnete Veranstaltung ist. Alle Beteiligten müssen sich also bewegen. Tsipras braucht etwas mehr finanziellen Handlungsspielraum, um sein Gesicht in der Heimat zu wahren. Im Gegenzug muss er wirkungsvolle Maßnahmen anpacken, um sein Land voranzubringen. Ärger und Frust, so nachvollziehbar sie auf deutsche Seite auch sein mögen, sind dabei kein guter Ratgeber. kehrskontrollen einzuführen. Vor diesem Hintergrund ist heute für Griechenland tatsächlich ein Schicksalstag. „Athen sollte alles tun, um die Eurogruppe zu überzeugen“, sagte gestern ein deutscher EU-Diplomat. „Sonst ist dem Land nicht mehr zu helfen.“