Überleben in New York
Eine Flüchtlingsgeschichte anno 1921: James Grays herausragender Film „The Immigrant“
Großes Kino, das bei uns direkt auf DVD erscheint – der Film „The Immigrant“hätte die Kinoleinwand verdient. Er erzählt vom Leidensweg einer jungen Polin, die im New York des Jahres 1921 zu überleben versucht.
Saarbrücken. Ein trügerisches Bild des Willkommens: Die Freiheitsstatue ragt in den Himmel, aber sie wirkt im Nebel nur schemenhaft – und ist auch noch von hinten zu sehen. Der amerikanische Traum scheint in Sichtweite und dennoch weit entfernt im ersten Moment des Films „The Immigrant“. Die junge Polin Ewa (Marion Cotillard) kommt 1921 in New York an, auf der Suche nach einem besseren Leben. Doch ihre mitreisende Schwester wird wegen Verdachts auf Lungenentzündung gleich in Quarantäne behalten, man droht ihr, sie zurückzuschicken – auch Ewa, denn der Einwanderungsbehörde kommen Gerüchte zu Ohren, sie habe sich auf der Überfahrt von Europa als Frau „von niederer Moral“erwiesen. Vor der Abschiebung bewahrt sie nur der mysteriöse Bruno Weiss (Joaquin Phoenix), der seine Kontakte spielen lässt, Bestechungsgeld zahlt und Ewa von der Hafeninsel Ellis Island mit in die Stadt nimmt. Der scheinbare Menschenfreund hat ganz andere Motive – dass er für ein Theater attraktive Tänzerinnen anwirbt, ist nur die halbe Wahrheit.
Der amerikanische Regisseur und Autor James Gray (46) ist so etwas wie ein Heimatfilmer: Seine Werke „Little Odessa“(1994), „The Yards – Im Hinterhof der Macht“(2000) und „Helden der Nacht“(2007) erzählen von Familienstrukturen, von Polizei und Gewerkschaften, aber immer auch von Grays Geburtsstadt New York, vom Leben dort und der (meist düsteren) Atmosphäre. Gray, dessen Großeltern aus der Ukraine stammen, erzählt nun die Geschichte einer schwierigen Heimatsuche und konzentriert sich dabei ganz auf die Hauptfigur. Man erlebt New York durch Ewas Augen: als Labyrinth schäbiger Hinterhöfe, beengter Wohnungen und karger Behördenzimmer. Kameramann Darius Khondji („Sieben“, „Amour“) findet atmosphärische Bilder, zart getönt in Sepiabraun, aber ohne nostalgische Färbung – das 1921 des Film ist auch bildlich im Hier und Jetzt verankert.
Das New York des Films ist eine Welt der strengen Teilung zwischen Haben und Nichthaben – und es ist eine Männerwelt, in der Ewa nur ihren Körper als Währung einsetzen kann. Bruno macht sie zur Prostituierten, und Ewa wehrt sich nicht, weil sie für sich und vor allem ihre Schwester zu allem bereit ist. Gray macht daraus kein Rührstück – er zeigt einfach, wie sich eine Person einer katastrophalen Situation stellt und dabei enorme Stärke beweist. Die Figuren sind vielschichtig: Marion Cotillard ist überragend als Ewa, sie spielt anrührend, zelebriert aber keine Leistungsschau des Leidens. Joaquin Phoenix spielt einen Zuhälter, der sich langsam in Ewa verliebt, vor allem wohl in ihre Integrität, die ihm so fern ist – am Ende scheint Bruno in Selbsthass zu köcheln. Jeremy Renner als Varieté-Magier scheint eine Ausflucht aus Ewas Misere zu sein, aber der Film macht es sich nicht so simpel, einfach einen besseren Mann als Rettung anzubieten. Am Ende braucht Ewa niemanden, was der Film in einem grandiosen Schlussbild zeigt. tok
Erschienen auf DVD und Bluray bei Universum.