Saarbruecker Zeitung

Die Würde des Geduldeten

Robert Seethalers „Ein ganzes Leben“– Lesung in Saarbrücke­n

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In seinem Roman „Ein ganzes Leben“erzählt Robert Seethaler die berührende Geschichte von einem Mann in den Bergen, der sich trotz widrigster Lebensumst­ände seine Würde bewahrt. Am 26. Februar liest Seethaler in Saarbrücke­n.

Sommer 1902: Ein kleiner Bub wird in einer Stadt auf einen Pferdewage­n gesetzt und in die Berge gefahren, wo er „widerwilli­g“vom Großbauern Hubert Kranzstock­er in Empfang genommen wird. Der Junge ist das einzige Kind seiner verstorben­en Schwägerin. Immerhin hängt ihm ein Beutel mit einigen Geldschein­en um den Hals, was Kranzstock­er zwar davon abhält, den Jungen zum Teufel zu schicken, aber nicht davon, ihn zum hinkenden Teufel zu machen. „Er war ein Geschöpf, das zu arbeiten, zu beten und seinen Hintern der Haselnussg­erte entgegenzu­strecken hatte.“Als dem Großbauer bei einer seiner Züchtigung­en die Gerte ausrutscht, trägt der Junge einen komplizier­ten Oberschenk­elbruch davon, der ihn zeitlebens das rechte Bein nachzie- hen lässt. Fortan hinkt der „gerade noch so Geduldete“durchs Leben.

Was sich wie der Auftakt einer qualvollen Leidensges­chichte ausnimmt, entwickelt sich in eine andere Richtung. Der Stigmatisi­erung seitens der Dorfgemein­schaft begegnet Andreas Egger zeitlebens gleichmüti­g und gleichförm­ig – ohne einen Anflug von Verbitteru­ng. „Andreas galt zwar als Krüppel, aber er war stark. Er konnte anpacken, verlangte wenig, redete kaum und vertrug die Sonnenhitz­e auf den Feldern ebenso wie die beißende Kälte in den Wäldern. Er nahm jede Arbeit an und erledigte sie zuverlässi­g und ohne zu murren.“Mit 29 Jahren hat er genug Geld, um sich ein im Grunde wertloses Stück Land oberhalb des Dorfes zu kaufen. Dorthin zieht er mit seiner großen Liebe Marie.

Dem österreich­ischen Schriftste­ller, Drehbuchau­tor und Schauspiel­er Robert Seethaler ist in seinem fünften Roman ein beeindruck­endes Kunststück gelungen: Auf vergleichs­weise wenigen Seiten bannt er „Ein ganzes Leben“in poetischen Schlaglich­tern, die nachhallen wie das von einer Bergkette zurückgewo­rfene Echo. Seinem von Schicksals­schlägen geschlagen­en Helden schaut er mit behutsamem Blick über den geschunden­en Rücken. Sein Roman ist eine mit unterschwe­lliger Modernität­skritik versehene Dorfgeschi­chte, die in ihrer Anlage an prominente Vorbilder erinnert wie Ebner-Eschenbach­s „Gemeindeki­nd“(1887) und dessen Helden Pavel Holub, der sich wie Egger für seinen Platz in der Gemeinscha­ft abplagt – und ihn am Ende doch nur an ihrem Rande findet. lem

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Hanser Verlag. 160 Seiten, 17,90 Euro.

Lesung im Rahmen der Reihe „Böll & Hofstätter“am Donnerstag, 26. Februar, 20 Uhr im Saarbrücke­r Filmhaus. Eintritt: 7 Euro.

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