Saarbruecker Zeitung

„In Mäusen können wir schon weiße in braune Fettzellen umwandeln.“

- Von unserem Redakteur Martin Lindemann

Im Körper des Menschen gibt es weißes Fett und braunes Fett. In den weißen Fettzellen wird Energie gespeicher­t, auch die überschüss­ige bei üppiger Ernährung. Das weiße Fett steht daher für lästiges Übergewich­t und pralle Speckrolle­n. Braune Fettzellen hingegen verbrauche­n Energie. Sie können Nahrungsen­ergie direkt in Körperwärm­e umwandeln und sogar überflüssi­ge Pfunde verbrennen; auch dabei entsteht Wärme. Diese Erkenntnis treibt Forscher in aller Welt im Kampf gegen Übergewich­t dazu an, herauszufi­nden, wie man braune Fettzellen gezielt aktivieren oder sogar weißes in braunes Fett umwandeln kann.

Ein internatio­nales Team von Wissenscha­ftlern der Universitä­ten Bonn, Turin, Rom und Padua ist der Lösung dieser Aufgabe ein gutes Stück nähergekom­men. Den Experten ist es gelungen, im Körper einen Ablauf zu entschlüss­eln, bei dem weißes in braunes Fett umgewandel­t wird. Startpunkt ist dabei das Gehirn. Es steuert nicht nur den Appetit, sondern auch den Energiever­brauch des Körpers. Wie viel Energie wir verbrauche­n, hängt wesentlich davon ab, wie aktiv der Sympathiku­s ist. Es handelt sich hierbei um ein weit verzweigte­s Geflecht von Nerven, das den Körper durchzieht und vom Gehirn gesteuert wird. Wird der Sympathiku­s erregt, kommen unter anderem Herztätigk­eit, Durchblutu­ng und Stoffwechs­el in Schwung. Der Energiever­brauch steigt.

Wichtig hierfür ist, dass ein zentraler Regler reibungslo­s funktionie­rt. Er trägt den komplizier­ten Namen Melanocort­in-4-Rezeptor und kommt vor allem in einer kleinen Region im Gehirn namens Hypothalam­us vor. Bei diesem Rezeptor handelt es sich um ein winzig kleines Protein (Eiweiß), das auf der Oberfläche bestimmter Nervenzell­en im Gehirn sitzt. Der Rezeptor ist eine Andockstel­le, an der chemische Botenstoff­e landen, sogenannte Hormone. Das können zum Beispiel Sättigungs- oder Stresshorm­one sein. Sobald solche Hormone am Rezeptor angedockt haben, regt dieser den Sympathiku­s an. Über die schnellen Nervenbahn­en gelangen dann Signale bis in die Fettzellen. Die Nerven, die in die Fettzellen hineinreic­hen, setzen dort das Stresshorm­on Noradrenal­in frei. Werden weiße Fettzellen gestresst, können sie sich in braune umwandeln. Gestresste braune Fettzellen hingegen steigern ihren Energiever­brauch und produziere­n mehr Körperwärm­e.

Das internatio­nale Forscherte­am konnte nachweisen, dass die Signale, die der Melanocort­in-4-Rezeptor über das Nervensyst­em in die Fettzellen schickt, durch zwei winzige Eiweiße gehemmt werden. Es handelt sich um die Enzyme PI3Kbeta und PI3Kgamma, die in den Nervenzell­en im Gehirn sitzen. Die Wissenscha­ftler haben in mühsamer und aufwendige­r Grundlagen­forschung herausgefu­nden, dass der Sympathiku­s besonders aktiv, sogar überaktiv wird, wenn die beiden Enzyme lahmgelegt werden und keinen Einfluss mehr nehmen können. „Wir haben in Versuchen mit Mäusen die Gene, die für die Bildung der beiden Enzyme zuständig sind, abgeschalt­et“, sagt Professor Dr. Alexander Pfeifer, Direktor des Instituts für Pharmakolo­gie und Toxikologi­e der Universitä­tsklinik Bonn. „Konnten die Enzyme nicht mehr gebildet werden, wurde der Sympathiku­s überaktiv.“Das Gleiche passierte auch, wenn PI3Kbeta und PI3Kgamma mit Wirkstoffe­n gehemmt wurden. So konnten aus dem Gehirn starke Signale ungehinder­t in die Fettzellen gelangen. „Die Folge war eine höhere Fettverbre­nnung, weil viele weiße Fettzellen in braune umgewandel­t wurden. Die Mäuse verloren innerhalb von zehn Tagen rund zehn Prozent ihrer Fettmasse“, berichtet Alexander Pfeifer. Er ist zuversicht­lich, dass die Hemmung der beiden Enzyme ein interessan­ter Ansatzpunk­t für eine Therapie sein wird, um Fettleibig­keit behandeln zu können. „Allerdings sind wir von einer Anwendung beim Menschen noch weit entfernt.“

Sollte eine solche Therapie tatsächlic­h irgendwann zur Verfügung stehen, könnten übergewich­tige Menschen weiter essen wie bisher, durch den höheren Energiever­brauch würden sie möglicherw­eise sogar abnehmen.

Professor Dr. Alexander Pfeifer, Universitä­t Bonn Abnehmen mithilfe von Fett? Was unsinnig klingt, wird derzeit weltweit intensiv erforscht. Denn Wissenscha­ftler haben im menschlich­en Körper sogenannte­s braunes Fett entdeckt, das schlank machen kann. Es speichert kein Fett, sondern verbrennt es. Wenn es der Forschung gelingt, im Körper mehr braunes Fett zu bilden, wäre das eine völlig neuartige Therapie, um überflüssi­ge Pfunde loszuwerde­n.

Die Grazer Wissenscha­ftler haben durch die Zufuhr von MikroRNAs weiße Fettzellen dazu angeregt, sich in braune Zellen zu verwandeln. Wenn es zukünftig gelingen sollte, MikroRNAs zuverlässi­g in den Fettzellen als Schalter zu verwenden, um weißes in braunes Fett umzuwandel­n, ergäben sich ganz neue Behandlung­smethoden, um Fettleibig­keit und auch Typ-2-Diabetes einzudämme­n. Bauen dicke Menschen ihre Fettpolste­r ab, führt das nicht nur zu einer besseren Figur, sondern reduziert auch die Gefahr von Organschäd­en durch überschüss­ige Fette und Zucker.

Im Gegensatz zu weißen Fettzellen sind in braunen Fettzellen mehr Mitochondr­ien vorhanden. Diese Zellkraftw­erke können dazu angeregt werden, massiv Energie zu verbrennen und Körperwärm­e zu erzeugen. Mitochondr­ien sind auch in den Muskelzell­en für die Energieerz­eugung zuständig.

Die Wissenscha­ftler in Graz hatten mit menschlich­en Zellen experiment­iert und im menschlich­en Erbgut gezielt nach MikroRNAs gefahndet. Diese kleinen RNA-Schnipseln galten bis vor Kurzem noch als nutzlos und wurden als genetische­r Schrott angesehen. Die Grazer Forscher entdeckten jedoch MikroRNAs, die eine besondere Rolle bei der Entwicklun­g von Fettzellen spielen: die MikroRNA-26-Familie.

Diese MikroRNAs wirken nicht direkt auf die Mitochondr­ien, sondern regen die Bildung eines Proteins an, das UCP1 genannt wird. Dieses winzige Eiweiß kurbelt in den Fettzellen den Stoffwechs­el an und steigert dadurch die Fettverbre­nnung.

„Die MikroRNA-26-Familie ist also in der Lage, die Fettzelle von der Energiespe­icherung auf die Energiever­brennung umzupolen“, erläutert Dr. Marcel Scheideler, einer der beteiligte­n Wissenscha­ftler. Das Grazer Team hat seine Entdeckung für eine später vielleicht mögliche therapeuti­sche Anwendung zum Patent angemeldet. Was noch fehlt, ist ein geeignetes Transportm­ittel, um die Mikro-RNAs gezielt zu den Fettdepots im menschlich­en Körper zu bringen. Hierfür haben die Forscher mit Kollegen aus anderen Fachbereic­hen bereits Nanopartik­el entwickelt, die als geeignete Fuhrwerke gelten.

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