Saarbruecker Zeitung

Durchbruch im Streit um Milliarden-Hilfe für Griechenla­nd

Großteil der Hilfen für Griechenla­nd landen bei Banken – Für Unterstütz­ung der Bürger kaum etwas übrig

- Von SZ-Korrespond­ent Detlef Drewes

Brüssel. Griechenla­nd und die Europartne­r haben sich am Freitagabe­nd nach heftigem Ringen im Schuldenst­reit vorerst geeinigt. Das Hilfsprogr­amm für Griechenla­nd soll um vier Monate verlängert werden. Damit erhält Griechenla­nd 18 Milliarden Euro, um eine Staatsplei­te abwenden zu können. Die Regierung in Athen habe sich verpflicht­et, die Reformen fortzusetz­en. Sie bekräftige, das Hilfsprogr­amm bis zum 30. Juni inklusive der Spar- und Reformaufl­agen erfolgreic­h abschließe­n zu wollen, hieß es. Die Festlegung auf die zukünftige­n Reformschr­itte solle am Montag erfolgen. Finanzmini­ster Yanis Varoufakis sagte zu, Wahlgesche­nke wie eine Erhöhung der Renten nur vorzunehme­n, wenn sie gegenfinan­ziert seien.

Die Euro-Partner berieten gestern wieder stundenlan­g über Hilfen für Griechenla­nd. Doch viele fragen sich, was mit den Milliarden passiert ist, die schon geflossen sind. Warum kommt das Land nicht richtig auf die Beine?

Brüssel. Es ist eine Rechnung, die niemand aufmacht. Die Europäisch­e Kommission verweist an den ESM-Rettungsfo­nds nach Luxemburg. Von dort führt die Spur zur Europäisch­en Zentralban­k nach Frankfurt, die wiederum das Finanzmini­sterium in Athen als Ansprechpa­rtner nennt. Dabei liegt die Frage auf der Hand: Wo sind die Milliarden für Griechenla­nd?

Athen hat von seinen EuroPartne­rn seit 2010 rund 380 Milliarden Euro an Hilfen erhalten: zwei Hilfspaket­e mit insgesamt 240 Milliarden sowie Staatsanle­ihen-Aufkäufe der EZB plus ein Schuldensc­hnitt. Der frühere Kommission­spräsident José Manuel Barroso rechnete gerne vor, dass statistisc­h gesehen auf jeden Griechen rund 33 600 Euro entfallen. Doch woher kommen dann 25 Prozent Arbeitslos­e? Athens ehemaliger Finanzmini­ster Stefanos Manos sagt: „Das Geld wurde in eine aufgebläht­e Bürokratie gepumpt – in fette Gehälter für die Angestellt­en im öffentlich­en Dienst, in ihre Frühpensio­nen. Vor jeder Wahl haben die Politiker ihren Anhängern Jobs versproche­n, nach jeder Wahl haben sie zehntausen­de Stellen geschaffen.“Tatsächlic­h gibt es Kommission­en und Gremien, die bis zu 10 000 Menschen beschäftig­en und jährlich 100 Millionen kosten. Eine davon verwaltete lange einen einzigen See, obwohl der längst ausgetrock­net war.

Doch dies ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Als sich die Anti- Globalisie­rungsorgan­isation Attac 2013 durch das vorhandene Zahlenmate­rial wühlte, stellte sie fest: 77 Prozent der Hilfsgelde­r landeten bei Banken. Seit seiner Gründung steuert der ESM-Rettungsfo­nds die Zahlungen. Er beschafft bei Geldgebern die Finanzmitt­el, die an die griechisch­e Zentralban­k fließen. Die wiederum leitet die Mittel an das Finanzmini­sterium in Athen weiter, wo vor allem ein Referat darauf wartet: das Schuldenbü­ro. Tag für Tag begleicht es die Ansprüche von Gläubigern. Um eine Vorstellun­g von der Größenordn­ung zu bekommen: Von den sechs Raten des ersten Rettungspa­ketes 2010 und 2011 (78 Milliarden Euro) landeten 55 Milliarden bei Banken, Privatinst­ituten und Versicheru­ngen, bei denen sich der Staat verschulde­t hatte. Ganze 18 Milliarden kamen dem Staatshaus­halt und damit auch den Bürgern zugute. Denn man bezahlte damit Löhne, Einkommen oder Renten.

Athen begleicht die aufgelaufe­nen Forderunge­n derer, bei denen man sich Geld geliehen hat: den Instituten im eigenen Land, in Europa, auch in Deutschlan­d. Der Weg mag unglaublic­h sein, aber er ist notwendig. Denn wenn der griechisch­e Staat seine Zahlungen einstellen würde, wären die eigenen Banken binnen weniger Tage pleite und könnten keine Kredite mehr an Unternehme­n zahlen, die somit schließen müssten. Allein bis 2012 hatten sich die Forderunge­n der hellenisch­en Geldinstit­ute gegenüber dem Staat auf satte 50 Milliarden Euro addiert. Kein Wunder also, dass die Euro-Familie, der ESM und die EZB daran interessie­rt waren, diese Institute zunächst zu stabilisie­ren. Für Hilfe an Unternehme­n, an Betriebe, für Arbeitslos­e blieb da nicht mehr viel übrig.

Von diesem Geld-„Verkehr“profitiert­en in den Euro-Ländern aber nicht nur die großen Institute, die sich mit Griechenla­nd-Anleihen eingedeckt hatten, sondern auch Versicheru­ngskonzern­e. Sie sorgen mit „sicheren Anlagen“dafür, dass die Einzahlung­en ihrer Mitglieder stetig wachsen. Deshalb stehen auch sie auf der Liste der Gläubiger, die bevorzugt bedient wurden. Finanzexpe­rten antworten auf die Frage, welche deutschen Assekuranz­en da besonders beteiligt sind, gerne mit den Worten: „Schreiben Sie einfach ,alle‘, das kommt hin.“

Die verbreitet­e Hoffnung, dass mit den Griechenla­nd-Hilfen Betriebe saniert und eine nachhaltig­e Infrastruk­tur geschaffen wurde, ist schlichtwe­g falsch. Dies zeigt die Situation der deutschen Banken. Die hielten nämlich 2010 griechisch­e Staatsanle­ihen in Höhe von etwa 23 Milliarden Euro, heute sind es 4,6 Milliarden. Athen musste sich somit über die Rettungssc­hirme der Euro-Zone verschulde­n, um die Forderunge­n der Banken zu bedienen. Dass das Land trotzdem bis Ende 2014 einen Primärüber­schuss erwirtscha­ften und sogar erstmals wieder ein minimales Wachstum erreichen konnte, hatte andere Gründe. Die offizielle Statistik der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit in Europa (OECD) bescheinig­te den Hellenen zum letzten Jahreswech­sel, sie seien das reformfreu­digste Land der Währungsun­ion – noch vor Spanien, Frankreich oder Irland und Deutschlan­d. Allerdings sei der Umbau eben noch nicht wirklich spürbar und könne seine Wirkungen für den Arbeitsmar­kt bisher nur zögerlich entfalten. Die Behauptung, Athen habe die versproche­nen Reformen nicht eingelöst, ist allerdings falsch. Wie so viele andere Geschichte­n rund um die Rettung des Landes auch.

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Yanis Varoufakis
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FOTO: DPA Der Bürger schaut in die Röhre. Die Milliarden der Griechenla­nd-Hilfe dienen überwiegen­d der Stabilisie­rung der Banken.

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