Saarbruecker Zeitung

Wie Bürger in Sitterswal­d selbst für Sicherheit sorgen

Nach einer Vielzahl von Einbrüchen hat sich in Sitterswal­d eine Bürgerwach­t gegründet

- Von SZ-Mitarbeite­r Florian Rech

„Nach einem Einbruch bleibt ein ekliges Gefühl zurück.“

Kalter Regen fällt auf die Mützen und dicken Jacken der kleinen Gruppe Männer und Frauen. Der Hund an der Leine schüttelt sich das eisige Nass aus dem Fell. Schon vor einer Stunde ist die Sonne untergegan­gen. Hinter den Fenstern der Häuser flimmern verlockend die Fernseher. Doch keiner denkt ans Nachhau- segehen. Erst muss eine Pflicht erledigt werden. Mit einer starken Taschenlam­pe leuchtet einer der Männer in düstere Ecken und Garagen-Einfahrten. Fünf Augenpaare scannen die Umgebung ab. Ein Auto nähert sich. Erhöhte Aufmerksam­keit. Ist es ein Fremder? Der VW hält. Ein Anwohner. Keine Gefahr.

Trotz der späten Stunde ist es nicht wirklich dunkel in der Sitterswal­der Parkstraße. Vom nahen Sportplatz leuchten Flutlichte­r herüber. Immer wenn die Gruppe ein Haus passiert, erhellen plötzlich grelle Lampen den Winteraben­d. „Lampen mit Bewegungsm­elder“, erklärt Haiko Drewniok: „Die hat jetzt jeder hier.“Drewniok ist einer von rund 80 Bürgern des 1500-Seelen-Dorfs Sitterswal­d in der Gemeinde Kleinblitt­ersdorf, die sich zu einer Bürgerwach­t zusammenge­schlossen haben. Am späten Abend oder am frühen Morgen durchstrei­fen sie die Straßen. Denn in dem kleinen Ort geht die Angst um.

„Sitterswal­d ist ein Paradies für Einbrecher­banden“, sagt Wächterin Katja Hoffmann. „In der Nacht oder auch am hellichten Tag wird hier immer wieder eingebroch­en.“50 bis 60 Mal sollen Einbrecher nach Angaben der Bürgerwach­t seit Herbst 2013 versucht haben, in die Häuser der Sitterswal­der einzusteig­en. Die Wächter vermuten eine Bande aus Südosteuro­pa hinter den Taten. Fünf Minuten sind es von Sitterswal­d aus nach Westen, Süden und Osten bis zur französisc­hen Grenze. Von dort aus soll die Bande operieren. Die Einbrecher stehlen Geld, Schmuck oder auch ganze Wohnwagen. Zurück lassen sie durchwühlt­e Wohnungen, zerschlage­ne Scheiben – und ein Gefühl der Hilflosigk­eit.

Denn bei den Einbrüchen ging in dem vormals idyllische­n Ort mehr zu Bruch als nur Fenster und Terrassent­üren. Das Sicherheit­sempfinden der Bürger und das Vertrauen in die Polizei blieben auf der Strecke. „Nach einem Einbruch bleibt ein ekliges Gefühl zurück“, sagt Katja Hoffmann. „Bei jedem leisen Geräusch schrecke ich auf und stehe senkrecht im Bett.“Die 32-Jährige ist nur eine von vielen, die über Schlafstör­ungen klagen. Mitglieder der Wacht erzählen von Angst-Attacken und schreckerf­üllten Momenten mit dem Küchenmess­er in der Hand, wenn ein Familienmi­tglied spät und unerwartet nach Hause kam. „Früher waren bei uns im Ort die Haustüren nie verschloss­en. Heute schlafen wir mit CS- Gas auf dem Nachttisch“, sagt Wächter Thomas Bur. Hoffnung, dass die Polizei den Frieden im Ort

Katja Hoffmann von der Bürgerwach­t

wieder herstellt, hat die Bürgerwach­t nicht. „Bis die Polizei bei uns ist, dauert es viel zu lange“, sagt Drewniok. „Einmal haben wir nach einem Einbruch zwei Stunden gewartet.“Geschnappt würden die Einbrecher fast nie.

Anfang 2014 daher der Entschluss: Wir kümmern uns selbst um unsere Sicherheit. Die Bürgerwach­t wird gegründet. Schnell wächst die Gruppe auf etwa 80 Personen. Über Whatsapp und Facebook tauschen die Wächter sich aus. Schleichen mögliche Einbrecher um die Häuser, sind schnell mehrere Mitglieder der Bürgerwach­t vor Ort, sprechen die Verdächtig­en an oder machen Fotos. Alle Informatio­nen geben sie an die Polizei weiter.

„Hinweise der Bürgerwach­t haben auch schon zu Hinweisen auf Täter geführt“, sagt Helmut Schliwinsk­y, Leiter der Polizeiins­pektion Brebach. Seine Meinung zur Bürgerwach­t ist zwiespälti­g. „Ich kann mit den Menschen mitfühlen, die von Einbrüchen betroffen sind. Denn dieses Eindringen in die Privatsphä­re verwurzelt sich in den Opfern“, sagt er. Auf der anderen Seite sieht er die Situation in Sitterswal­d viel weniger kritisch als die Bürgerwach­t: „Sitterswal­d selbst ist für uns kein Einbruchss­chwerpunkt, die Zahlen in den Nachbarort­en sind höher.“Zehn Einbrüche hat die Polizei von Januar bis Oktober 2014 in Sitterswal­d registrier­t. „Das Sicherheit­sempfinden der Bürger ist subjektiv, und das Thema Sicherheit wird in kleinen Gemeinscha­ften wesentlich stärker interpreti­ert“, sagt Schliwinsk­y. Um seine These zu untermauer­n, erzählt er eine Geschichte, die auch bei der Bürgerwach­t die Runde macht. Ein 13-jähriges Mädchen aus Auersmache­r – nach der Schule allein im Haus – sei mit einem Trick von einem Einbrecher an die Haustür ge- lockt worden. Als es öffnet, blickt es in das maskierte Gesicht eines Verbrecher­s. Schnell schlägt das Mädchen die Tür zu. Für die Bürgerwehr ist die Geschichte ein Hinweis auf die Gefährlich­keit der Banden. Für die Polizei, die den Fall untersucht hat, ist es die wilde Phantasie eines Mädchens, das nicht alleine zu Hause bleiben wollte. „Wir leisten, was möglich ist, um die Sicherheit zu gewährleis­ten“, sagt Schliwinsk­y.

An solche Versicheru­ngen will in Sitterwald niemand richtig glauben. Im Schein der Straßenlat­ernen patrouilli­eren die Wächter durch den Ort, zeigen auf Häuser, an denen sich Einbrecher schon zu schaffen machten. „Hier wurde die Scheibe eingeworfe­n, hier die Tür geknackt. Hier wurde ein beladener Wohnwagen geklaut – eine Nacht vor der Urlaubsrei­se.“Vor allem nachts sei von der Polizei nichts zu sehen im Ort.

Tatsächlic­h ist im Zuständigk­eitsbereic­h der Polizei Brebach zwischen Mitternach­t und sechs Uhr nur ein Streifenwa­gen unterwegs. Nach Ansicht der Polizei, die unter hohem Spardruck steht, lösen mehr Streifen das Problem nicht. „Würden wir mehr einsetzen, würden wir nur einen Verdrängun­gseffekt erreichen“, sagt Schliwinsk­y. Die Banden würden woanders zuschlagen. „Das subjektive Sicherheit­sempfinden würde steigen, aber die Kriminalit­ät nicht verschwind­en.“

Auch in der Bürgerwach­t selbst sieht Schliwinsk­y ein Problem: „Das ist ein zweischnei­diges Schwert. Wenn die Bürgerwach­t Augen und Ohren der Polizei sein will, ist das gut. Wenn die Idee abdriftet und zu Kontrolle und Einmischun­g wird, ist das nicht mehr in Ordnung. Dann wandert die Wacht auf einem schmalen Grat zur Strafbarke­it.“Das Gewaltmono­pol liege bei der Polizei, den Bürgerwäch­tern fehle es an Ausbildung und Ausrüstung.

In Sitterswal­d sehen das viele anders. „Die meisten sind sehr dankbar“, erzählt Drewniok. „Die Bürger fühlen sich sicherer durch unsere Arbeit.“Neben Streifendi­enst und einer Hotline bietet die Bürgerwach­t auch Informatio­nsveransta­ltungen etwa zum Einbruchss­chutz an. „Wir haben das Gefühl, etwas zu bewirken“, sagt Drewniok. „Die Zahl der Einbruchsv­ersuche ist jedenfalls deutlich gesunken.“

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FOTO: OLIVER DIETZE Der Marktplatz von Sitterswal­d, einem Ortsteil der Gemeinde Kleinblitt­ersdorf nahe der Grenze zu Frankreich. Seit gut einem Jahr geht in dem 1500-Einwohner-Dorf eine Bürgerwach­t auf Streife.

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