Wie Bürger in Sitterswald selbst für Sicherheit sorgen
Nach einer Vielzahl von Einbrüchen hat sich in Sitterswald eine Bürgerwacht gegründet
„Nach einem Einbruch bleibt ein ekliges Gefühl zurück.“
Kalter Regen fällt auf die Mützen und dicken Jacken der kleinen Gruppe Männer und Frauen. Der Hund an der Leine schüttelt sich das eisige Nass aus dem Fell. Schon vor einer Stunde ist die Sonne untergegangen. Hinter den Fenstern der Häuser flimmern verlockend die Fernseher. Doch keiner denkt ans Nachhau- segehen. Erst muss eine Pflicht erledigt werden. Mit einer starken Taschenlampe leuchtet einer der Männer in düstere Ecken und Garagen-Einfahrten. Fünf Augenpaare scannen die Umgebung ab. Ein Auto nähert sich. Erhöhte Aufmerksamkeit. Ist es ein Fremder? Der VW hält. Ein Anwohner. Keine Gefahr.
Trotz der späten Stunde ist es nicht wirklich dunkel in der Sitterswalder Parkstraße. Vom nahen Sportplatz leuchten Flutlichter herüber. Immer wenn die Gruppe ein Haus passiert, erhellen plötzlich grelle Lampen den Winterabend. „Lampen mit Bewegungsmelder“, erklärt Haiko Drewniok: „Die hat jetzt jeder hier.“Drewniok ist einer von rund 80 Bürgern des 1500-Seelen-Dorfs Sitterswald in der Gemeinde Kleinblittersdorf, die sich zu einer Bürgerwacht zusammengeschlossen haben. Am späten Abend oder am frühen Morgen durchstreifen sie die Straßen. Denn in dem kleinen Ort geht die Angst um.
„Sitterswald ist ein Paradies für Einbrecherbanden“, sagt Wächterin Katja Hoffmann. „In der Nacht oder auch am hellichten Tag wird hier immer wieder eingebrochen.“50 bis 60 Mal sollen Einbrecher nach Angaben der Bürgerwacht seit Herbst 2013 versucht haben, in die Häuser der Sitterswalder einzusteigen. Die Wächter vermuten eine Bande aus Südosteuropa hinter den Taten. Fünf Minuten sind es von Sitterswald aus nach Westen, Süden und Osten bis zur französischen Grenze. Von dort aus soll die Bande operieren. Die Einbrecher stehlen Geld, Schmuck oder auch ganze Wohnwagen. Zurück lassen sie durchwühlte Wohnungen, zerschlagene Scheiben – und ein Gefühl der Hilflosigkeit.
Denn bei den Einbrüchen ging in dem vormals idyllischen Ort mehr zu Bruch als nur Fenster und Terrassentüren. Das Sicherheitsempfinden der Bürger und das Vertrauen in die Polizei blieben auf der Strecke. „Nach einem Einbruch bleibt ein ekliges Gefühl zurück“, sagt Katja Hoffmann. „Bei jedem leisen Geräusch schrecke ich auf und stehe senkrecht im Bett.“Die 32-Jährige ist nur eine von vielen, die über Schlafstörungen klagen. Mitglieder der Wacht erzählen von Angst-Attacken und schreckerfüllten Momenten mit dem Küchenmesser in der Hand, wenn ein Familienmitglied spät und unerwartet nach Hause kam. „Früher waren bei uns im Ort die Haustüren nie verschlossen. Heute schlafen wir mit CS- Gas auf dem Nachttisch“, sagt Wächter Thomas Bur. Hoffnung, dass die Polizei den Frieden im Ort
Katja Hoffmann von der Bürgerwacht
wieder herstellt, hat die Bürgerwacht nicht. „Bis die Polizei bei uns ist, dauert es viel zu lange“, sagt Drewniok. „Einmal haben wir nach einem Einbruch zwei Stunden gewartet.“Geschnappt würden die Einbrecher fast nie.
Anfang 2014 daher der Entschluss: Wir kümmern uns selbst um unsere Sicherheit. Die Bürgerwacht wird gegründet. Schnell wächst die Gruppe auf etwa 80 Personen. Über Whatsapp und Facebook tauschen die Wächter sich aus. Schleichen mögliche Einbrecher um die Häuser, sind schnell mehrere Mitglieder der Bürgerwacht vor Ort, sprechen die Verdächtigen an oder machen Fotos. Alle Informationen geben sie an die Polizei weiter.
„Hinweise der Bürgerwacht haben auch schon zu Hinweisen auf Täter geführt“, sagt Helmut Schliwinsky, Leiter der Polizeiinspektion Brebach. Seine Meinung zur Bürgerwacht ist zwiespältig. „Ich kann mit den Menschen mitfühlen, die von Einbrüchen betroffen sind. Denn dieses Eindringen in die Privatsphäre verwurzelt sich in den Opfern“, sagt er. Auf der anderen Seite sieht er die Situation in Sitterswald viel weniger kritisch als die Bürgerwacht: „Sitterswald selbst ist für uns kein Einbruchsschwerpunkt, die Zahlen in den Nachbarorten sind höher.“Zehn Einbrüche hat die Polizei von Januar bis Oktober 2014 in Sitterswald registriert. „Das Sicherheitsempfinden der Bürger ist subjektiv, und das Thema Sicherheit wird in kleinen Gemeinschaften wesentlich stärker interpretiert“, sagt Schliwinsky. Um seine These zu untermauern, erzählt er eine Geschichte, die auch bei der Bürgerwacht die Runde macht. Ein 13-jähriges Mädchen aus Auersmacher – nach der Schule allein im Haus – sei mit einem Trick von einem Einbrecher an die Haustür ge- lockt worden. Als es öffnet, blickt es in das maskierte Gesicht eines Verbrechers. Schnell schlägt das Mädchen die Tür zu. Für die Bürgerwehr ist die Geschichte ein Hinweis auf die Gefährlichkeit der Banden. Für die Polizei, die den Fall untersucht hat, ist es die wilde Phantasie eines Mädchens, das nicht alleine zu Hause bleiben wollte. „Wir leisten, was möglich ist, um die Sicherheit zu gewährleisten“, sagt Schliwinsky.
An solche Versicherungen will in Sitterwald niemand richtig glauben. Im Schein der Straßenlaternen patrouillieren die Wächter durch den Ort, zeigen auf Häuser, an denen sich Einbrecher schon zu schaffen machten. „Hier wurde die Scheibe eingeworfen, hier die Tür geknackt. Hier wurde ein beladener Wohnwagen geklaut – eine Nacht vor der Urlaubsreise.“Vor allem nachts sei von der Polizei nichts zu sehen im Ort.
Tatsächlich ist im Zuständigkeitsbereich der Polizei Brebach zwischen Mitternacht und sechs Uhr nur ein Streifenwagen unterwegs. Nach Ansicht der Polizei, die unter hohem Spardruck steht, lösen mehr Streifen das Problem nicht. „Würden wir mehr einsetzen, würden wir nur einen Verdrängungseffekt erreichen“, sagt Schliwinsky. Die Banden würden woanders zuschlagen. „Das subjektive Sicherheitsempfinden würde steigen, aber die Kriminalität nicht verschwinden.“
Auch in der Bürgerwacht selbst sieht Schliwinsky ein Problem: „Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn die Bürgerwacht Augen und Ohren der Polizei sein will, ist das gut. Wenn die Idee abdriftet und zu Kontrolle und Einmischung wird, ist das nicht mehr in Ordnung. Dann wandert die Wacht auf einem schmalen Grat zur Strafbarkeit.“Das Gewaltmonopol liege bei der Polizei, den Bürgerwächtern fehle es an Ausbildung und Ausrüstung.
In Sitterswald sehen das viele anders. „Die meisten sind sehr dankbar“, erzählt Drewniok. „Die Bürger fühlen sich sicherer durch unsere Arbeit.“Neben Streifendienst und einer Hotline bietet die Bürgerwacht auch Informationsveranstaltungen etwa zum Einbruchsschutz an. „Wir haben das Gefühl, etwas zu bewirken“, sagt Drewniok. „Die Zahl der Einbruchsversuche ist jedenfalls deutlich gesunken.“