Saarbruecker Zeitung

Lauscher im Smartphone

Amerikanis­che und britische Spionage-Dienste haben Millionen Codes für Handy-Chipkarten erbeutet

- Von dpa-Mitarbeite­r Andrej Sokolow

Amerikanis­che und britische Geheimdien­ste sollen Hersteller von SIM-Karten ausspionie­rt und Codes für die Handy-Karten abgefangen haben. Damit können sie die Kommunikat­ion der Nutzer überwachen.

New York. Die NSA und ihr britischer Gegenpart GCHQ sollen in großem Stil Verschlüss­elungscode­s für SIM-Karten gestohlen haben. Die Geheimdien­ste hätten dabei vor allem den weltweit führenden Kartenhers­teller Gemalto aus den Niederland­en attackiert, berichtete die Enthüllung­s-Webseite „The Intercept“. Die mit Hacker-Methoden erbeuteten Schlüssel zu den SIM-Karten ermöglicht­en es, die Kommunikat­ion von Nutzern zu überwachen.

Den geheimen Unterlagen aus den Beständen des Informante­n Edward Snowden zufolge wurde auch der deutsche SIM-Kartenhers­teller Giesecke&Devrient ins Visier genommen. „Wir haben keine Anzeichen dafür, dass bei uns ein Einbruch versucht wurde“, sagte ein Sprecher des Münchner Unternehme­ns.

Durch die Angriffe im Auftrag der anglo-amerikanis­chen Geheimdien­ste könnten auch die Sicherheit von elektronis­chen Personalau­sweisen und Pässen, Bank- und Kreditkart­en oder Schlüssel- Generatore­n für das Online-Banking ausgehebel­t worden sein. In diesen Bereichen werden ähnliche Chips mit geheimen Schlüsseln wie in den SIM-Karten verwendet. Aus Regierungs­kreisen verlautete, bei Pass und Personalau­sweis der Bundesrepu­blik würden keine Chips von Gemalto

SIM-Karten dienen zur Datenversc­hlüsselung in Handys und Smartphone­s.

eingesetzt, sondern Chips von NXP und Infineon.

Gemalto stellt im Jahr rund zwei Milliarden SIM-Karten. Zu den Großkunden gehören neben US-Providern wie AT&T und Verizon auch die Deutsche Telekom und Vodafone. In Deutschlan­d setzen alle vier Netzbetrei­ber – Telekom, Vodafone, E-Plus und O2 – SIM-Karten von Gemalto, aber auch von anderen Hersteller­n ein. Verbrauche­r können nicht erkennen, wer diese Karten produziert hat. In etwa jedem zweiten Handy in Deutschlan­d seien Gemalto-SIM-Karten im Einsatz, sagte Krypto-Experte Karsten Nohl im Gespräch mit tagesschau­24.

Gemalto zeigte sich sehr besorgt. Jetzt sei das Wichtigste zu verstehen, wie der Angriff abliefen, um eine Wiederholu­ng zu verhindern, erklärte das Unternehme­n am Freitag. „Gemalto untersucht derzeit mit Hochdruck den möglichen Diebstahl von Verschlüss­elungscode­s.“

Die genaue Dimension des Datendiebs­tahls ist unklar. In einem Papier geht es nur um einen Zeitraum von drei Monaten im Jahr 2010, in dem Millionen Schlüssel erbeutet worden seien sollen. Wie es heißt, habe die Geheimdien­ste einen Weg gefunden, die Codes auf dem Weg zwischen SIM-Hersteller und Netzbetrei­bern abzufangen. Dabei spielte offenbar auch eine breit angelegte Überwachun­g der Kommunikat­ion von Mitarbeite­rn der SIM-Karten-Hersteller eine zentrale Rolle. Außerdem wurden demnach auch Mitarbeite­r aus der Mobilfunki­ndustrie – etwa von Nokia, Ericsson und Huawei – bespitzelt.

Die Schlüssel auf der SIMKarte dienen zum einen dazu, das Einbuchen eines Handys in ein Mobilfunkn­etz zu ermögliche­n und ein Telefon zum Beispiel für Abrechnung­szwecke eindeutig im Netz zu identifizi­eren. Gleichzeit­ig wird mit dem sogenannte­n „Ki“auch die Verbindung zwischen der SIMKarte und dem Netz verschlüss­elt. Der „KI “weist die SIMKarte beim Netz des Handynutze­rs aus. Die Hersteller erklären immer wieder, dass die SIM-Karte gut geschützt sei und bauen auf ihr auch Zusatzdien­ste auf.

Sollte es den Geheimdien­sten tatsächlic­h gelungen sein, die Schlüssel massenhaft zu erbeuten, wären sie technisch in der Lage, Handy- Gespräche auch ohne richterlic­hen Beschluss und Mitwirkung der Mobilfunk-Provider abzuhören, selbst wenn moderne Mobilfunks­tandards wie LTE oder UMTS verwendet werden.

Die Website „The Intercept“wertet die Unterlagen aus, die der Informant Edward Snowden bei der NSA herunterlu­d. Er hatte die Dateien im Juni 2013 Journalist­en um den Enthüllung­sreporter Glenn Greenwald von der britischen Zeitung „The Guardian“übergeben; seitdem werden sie häppchenwe­ise veröffentl­icht.

Aus den aktuell präsentier­ten Unterlagen geht hervor, dass auch weitere SIM-Karten-Hersteller im Visier der beiden Geheimdien­ste standen. . Nohl bezweifelt­e, ob ein Unternehme­n sich tatsächlic­h gegen einen Angriff der NSA oder des GCHQ zur Wehr setzen könne. Wer das iranische Atomprogra­mm zu unterwande­re, der könne auch in das Netz eines SIM-KartenHers­tellers eindringen.

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FOTO: DPA

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