Der 71er „Strich 8“: Doppelter Verbrauch bei halber Leistung
„Warum ich Oldtimer fahre? Weil mir die Freude am Fahren abhanden gekommen war.“So weist Wolfgang Willems aus Saarbrücken darauf hin, dass sein einziges, bislang als Neuwagen gekauftes Auto „passend zum Ablauf der ZweijahresGarantie“einen Getriebeschaden hatte. Als dann innerhalb kürzester Zeit zwei Ventilschäden sein damals gefahrenes Cabrio erneut aus dem Verkehr zogen, „stellte sich mir die Frage, ob ich nicht mit einem alten, eingefahren Auto besser bedient bin, als mit einem Neuwagen mit allem SchnickSchnack.“ Seit drei Jahren fährt Willems einen Mercedes 230. „Dabei hielt ich mich nie für einen Mercedes-Typen mit dem etwas behäbigen, spießigen Image eines Mit-Hut-Fahrers.“Unter der beiläufig gesichteten Rubrik „Oldtimer“fand Willems seinen Mercedes aus dem Jahr 1971, „taxi-farben“und in „gutem Zustand“in der
Oldtimer erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: Sie bieten zwar nicht den Komfort heutiger Autos, aber dafür haben sie Stil. Zu den beliebtesten Oldtimern gehört in Deutschland nach dem VW Käfer das Mercedes SL-Cabrio. Aber schon auf den dritten Platz steht der Mercedes 230 / 8 mit fast 7.000 Zulassungen. Zwei Millionen Fahrzeuge baute Mercedes zwischen 1967 und 1976.
Die zeitlose Karosserieform mit einer klaren Linienführung macht den Sechs-Zylinder des 1971 gebauten Mercedes der Baureihe W 114 zu einem Klassiker, auch wenn der Innenraum eher schlichte Eleganz verkörpert. So wurde seinerzeit als „Extra“unter anderem der Teppichboden auf der Hutablage angepriesen. Bei diesem „fahrenden Wohnzimmer“blieb allerdings der Beschleunigungsfaktor auf der Strecke. Der Motor des 120 PS-Wagens gilt als sehr zuverlässig. In dem dahingleitenden Wagen strahlt der Fahrer Seriosität aus.
Zu lang fürs Parkhaus
Oldtimer haben keine der heute üblichen Sicherheitsausstattungen. Außerdem fehlen Zentralverriegelung, elektrische Fensterheber und Sitzheizung. Abgesehen von Airbags - es gibt gerade einmal Sicherheitsgurte - fehlen die Nackenstützen und ein Außenspiegel rechts. Der linke Außenspiegel ist mehr als klein. „Ich fahre langsam, nur rechte Spur, eben wie ein Opa mit Hut’ im Mercedes“, stellt der 62-Jährige fest. „Dafür gibt einem das Bakelit-Lenkrad mit Blick auf den Mercedes-Stern das Gefühl, etwas Besonderes zu fahren.“Gewöhnungsbedürftig war auch die Fahrzeuglänge von fast 4,70 Meter. „Ein Ärgernis ist, dass ich mit 1,80 Meter Breite nicht mehr ohne Rangieren um die Kurven im Parkhaus der Sparkasse Saarbrücken komme, wo ich früher immer gern ein Auto abgestellt habe.“
Der Mercedes 230 gehörte als seinerzeit der Oberklasse zugehöriger Wagen zunächst einem Zahnarzt, der ihn wahrscheinlich nur zwischen Wohnung und Praxis gefahren hat. Nach dessen Tod übernahm seine 69-jährige Frau das Auto für eine weitere 14-jährige Nutzung. Ein Italiener besaß den unter Kennern einfach nur als „Strich 8“bezeichneten, weil erstmals 1968 gebauten Wagen gerade vier Wochen, bevor er ihn weitergab. Acht Jahre fuhr das heute 44 Jahre alte Fahrzeug durch den Bliesgau. 2001 erreichte der Mercedes nach 30 Jahren den OldieStatus, worauf er - längere Zeit aufgebockt - zerlegt und neu verschweißt sowie pergamentbeige in der früheren Taxi-Farbe lackiert wurde. Mit einem TÜV-Gutachten wurde zur Registrierung für ein H-Kennzeichen 2003 bestätigt, dass der Wagen mit dem Original identisch ist. Damit war der alte Mercedes ein kraftfahrttechnisches Kulturgut.
Mit der TÜV-Feststellung „guter Erhaltungs- und Pflegezustand“sollte dem Auto die Alltagstauglichkeit nicht fehlen. Ein Kontrollbesuch in einer Mercedes-Werkstatt bestätigte Willems, dass der 71er „Strich 8“in gutem Zustand ist. Dennoch ist der alte Wagen „Luxus“: bei einem doppelt so hohen Benzinverbrauch wie bei einem Neuwagen fährt er mit einer Tankfüllung nur halb so weit wie ein Neuwagen. Dazu braucht der alte Mercedes Superbenzin (98 Oktan) und für jeweils 25 Liter Sprit einen Bleizusatz, damit der Motor des beim Kauf 3.032 Kilometer auswei- senden Autos noch lange durchhält. Bei einer lediglich fünfstelligen Anzeige könnte das sowohl 103.000 wie 203.000 Kilometer bisherige Fahrleistung bedeuten.
„Was ich in dem alten Auto vermisse?“Darauf antwortet Willems: „Den Piepston, wenn man beim Aussteigen vergisst, das Licht auszuschalten. Schon einige Male mussten mir Bekannte Starthilfe geben, weil die Batterie leer war.“Und auch die rote, an eine Couch erinnernde viel zu weiche Polsterung war gewöhnungsbedürftig. Inzwischen zum Oldie-Fan mutiert weiß Willems jetzt auch, wieso neue Autos eine Intervallschaltung beim Scheibenwischer haben: „Irgendeinen Ingenieur muss es genervt haben, bei leichtem Nieselregen Scheibenwischer an, Scheibenwischer aus’ zu betätigen.
Dennoch ist Wolfgang Willems mit seinem Glanzstück zufrieden: „Hinterm Stern fährt man gern“, sagt der nie ohne Hut unterwegs befindliche Senior. „Wahrscheinlich ist es eine Alterserscheinung, dass ich jetzt Mercedes fahre. Mit zunehmendem Alter wird man ruhiger und außerdem ist man mit einem Oldie sorgfältiger unterwegs als mit einem sportlichen Cabrio oder alten Gebrauchtwagen.“Und auch das konnte Willems feststellen: „Andere Autofahrer sind bei etwaigen Fahrfehlern freundlich: Eben ein Mercedes-Opa mit Hut ...“WolfgangWillems
Saarbrücken