Der hilflose Westen
Im Ukraine-Konflikt siegt Putins Taktik aus Gewalt und Diplomatie
Im Ukraine-Konflikt nähert sich der Westen – oder besser das, was von ihm übrig geblieben ist – einer neuen Nagel- und Glaubwürdigkeitsprobe. Wladimir Putins geschickte Taktik, mit einem zweiten Waffenstillstands-Abkommen seine bisherigen Gewinne – siehe Debalzewe – straffrei zu konsolidieren, der Ukraine weitere Konzessionen abzuhandeln und Sanktionen erst einmal aufzuschieben, ist voll aufgegangen. Die Separatisten nehmen offenbar Mariupol ins Visier, nachdem das neuerliche Abkommen von Minsk kaum das Papier wert ist, auf dem es formuliert worden war. Ein Gefangenenaustausch und der nun vereinbarte Abzug schwerer Waffen sollten darüber nicht hinwegtäuschen: Sie sind zumindest für den Kreml und seine Handlanger vor Ort keine realen Konzessionen, da sich Geschütze und Panzer schnell wieder ins Land bringen lassen.
Eine Überraschung ist diese Entwicklung nicht: Schließlich hatte ja Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor signalisiert, dass ihre „strategische Geduld“mit Moskau sogar Jahre anhalten könne. Für den unter Handlungsdruck stehenden, aber am Konflikt wenig interessierten US-Präsidenten Barack Obama war diese verhandlungstaktisch extrem unglückliche MerkelAussage das perfekte Alibi, den in den USA immer lauter werdenden Rufen nach der Lieferung von Defensivwaffen an das ukrainische Militär nicht nach-
GLOSSE zugeben. Nun, nach dem erneuten Bruch seiner Verpflichtungen soll also Putin – wie es US-Außenminister John Kerry ankündigte – „neue Konsequenzen“spüren. Doch wie werden die aussehen? Und wie will Washington seine Glaubwürdigkeit gegenüber Moskau bewahren?
Angesichts des erklärten Unwillens der Europäer – auch der überraschend passiven Briten – zu Waffenlieferungen spricht vieles dafür, dass Obama „no“sagen wird. Dies wäre angesichts der Eskalationsgefahr ohnehin ein weiser Schritt. Doch gleichzeitig müssen Washington, Paris, Berlin und Brüssel endlich einsehen, dass sie bislang von Putin hoffnungslos ausmanövriert wurden. Denn welchen Sinn machen Gespräche ohne wirkliche Druckmittel?
Nur scharfe Sanktionen von EU und USA, die über kaum schmerzende Reiseverbote und Sperrungen von längst geleerten Konten weit hinausgehen und massiv den russischen Finanzund Wirtschaftsbereich in Visier nehmen, dürften neue Landraub-Abenteuer Putins stoppen. Geschieht dies nicht, wird er sein bisher erfolgreiches Wechselspiel zwischen brutaler militärischer Gewalt und vorgetäuschter Diplomatie als temporäres Baldrian für einen hilflosen Westen fortsetzen. Auch die deutsche Wirtschaft und vor allem die SPD-Altväter, die sich unbeirrbar gegen weiteren Strafmaßnahmen aussprechen, sollten dies endlich einsehen.