Saarbruecker Zeitung

Talkshow-Streit statt Beweisaufn­ahme?

Prozess-Auftakt schon nach anderthalb Stunden beendet

- Von dpa-Mitarbeite­r Marco Hadem

Sebastian Edathy ist genervt. Einmal mehr muss er sich in der Öffentlich­keit wegen seiner sexuellen Neigung rechtferti­gen. Hier, im nicht ganz voll besetzten Schwurgeri­chtssaal des Landgerich­ts Verden soll bis Ende April die Frage öffentlich verhandelt werden, die er vor Weihnachte­n bei seiner Pressekonf­erenz noch locker abgewehrt hat. „Ob ich pädophil bin oder nicht – es geht Sie nichts an“, raunzte er damals einen Journalist­en an. Jetzt zum Prozessauf­takt geht das nicht. Deshalb schweigt Edathy einfach. Kein einziger Satz ist heute von dem sonst so redegewand­ten früheren SPD-Bundestags­abgeordnet­en zu hören.

Stattdesse­n hat sich der 45Jährige jemanden mitgebrach­t, der für ihn Wort und Partei ergreift: Christian Noll. Seit Beginn der schmutzige­n Affäre vor etwas mehr als einem Jahr ist der Berliner Anwalt sein Sprachrohr. Und Noll hat viel zu sagen: Das gesamte Verfahren müsse eingestell­t werden, da ein fairer Prozess gegen Edathy gar nicht mehr möglich sei. „Da ist etwas aus dem Lot geraten“, betont er. Edathy sei öffentlich gebrandmar­kt, habe am Pranger stehend längst Freunde und Ruf verloren.

Er spielt damit auf die stetigen Durchstech­ereien von Interna an – immer wieder tauchen in den Medien Dinge auf, die eigentlich nur die Verfahrens­beteiligte­n wissen dürften: So ist im Internet zu lesen, dass Edathy seine Fotos und Videos auf russischen Pornoseite­n herunterge­laden haben soll. In Zeitungen wird aus dem Abschlussb­ericht der Ermittler zitiert. Selbst von der Hausdurchs­uchung im Februar 2014 weiß ein Fotograf – und ist dabei.

Für Noll – der mit einem Freispruch Edathys Ruf zumindest punktuell wiederhers­tellen soll – sind die Fälle von Geheimnisv­errat und die deshalb laufenden Ermittlung­en gegen den Celler Generalsta­atsanwalt Frank Lüttig ein Steilpass. „Der Fall Lüttig ist doch nur ein Bruchteil des Problems“, betont Noll und erinnert damit an die Indiskreti­onen im Prozess gegen Ex-Bundespräs­ident Christian Wulff. Alleine in Niedersach­sen sollen mindestens 60 Personen über die Edathy-Ermittlung­en informiert gewesen sein.

Für die niedersäch­sische Justiz würde es einem Desaster gleichkomm­en, wenn Edathy wegen undichter Stellen in den eigenen Reihen um ein ansonsten fälliges Urteil herumkäme. Oberstaats­anwalt Thomas Klinge will deshalb von einer Einstellun­g oder auch nur von einer Unterbrech­ung nichts wissen.

Und so kann Noll nicht verhindern, dass die Anklagesch­rift verlesen wird. Anders als bei anderen Verfahren sind es aber kaum Neuigkeite­n, die darin stehen. 2013 soll Edathy mit seinem danach als gestohlen gemeldeten Laptop Pornos mit nackten Jungen unter 14 Jahren herunterge­laden haben und einen Bildband sowie eine CD besessen haben, deren Inhalt jugendporn­ografisch sein soll. Beweisen sollen das unter anderem Sicherungs­kopien des Bundestags­servers.

Wer aber glaubte, der Prozess könne mit der Befragung des ersten Zeugen losgehen, irrt. Denn Nolls Taktik sieht eine weitere Bremse vor: Er will sich auch bei der bereits gescheiter­ten Prozess-Einstellun­g gegen Geldauflag­e noch nicht geschlagen geben. „Man kann eine Lösung nur finden, wenn man sich unterhält“, sagt er und kritisiert Klinges fehlende Bereitscha­ft. Nur so könne man „herausfind­en, wie weit man voneinande­r entfernt ist.“Minutenlan­g diskutiere­n beide hin und her. Klinge sagt: „Es hängt an Ihrem Mandanten.“Dieser „mauere“. Um sich eine Einstellun­g des Verfahrens gegen eine Geldauflag­e „im mittleren vierstelli­gen Bereich“vorstellen zu können, müsse dieser sich „geständig zeigen“. Nur damit sei das öffentlich­e Interesse an Aufklärung zu beseitigen.

Am Ende ist es Richter Jürgen Seifert leid. „Ich möchte das Ganze nicht zu einer Talkshow verkommen lassen“, betont er und beendet nach nur eineinhalb Stunden die Sitzung. Bis zum 2. März sollten beide Seiten schauen, ob sie sich doch auf eine Einstellun­g einigen.

Edathy reagiert kaum sichtbar. Nur sein Stirnrunze­ln und seine rastlosen Hände verraten Anspannung. Und nur ein einziges Mal – als Klinge ihm fehlende Geständigk­eit vorwirft – huscht jenes Lächeln übers Gesicht, welches ihm den Ruf der Arroganz eingebrock­t hat. Dabei würde er – wie das über Gebühr ausgelaste­te Gericht – die Einstellun­g mit Kusshand annehmen, wie er mehrfach gesagt hat.

Job,

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FOTO: JASPERSEN/DPA Sebastian Edathy verlässt das Gericht. Der Oberstaats­anwalt wirft ihm fehlende Geständigk­eit vor.

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