Saarbruecker Zeitung

Wie sich Kliniken vor mörderisch­en Pflegern schützen

Delmenhors­t, Dresden, Berlin: Wie sicher sind Patienten in Kliniken und Pflegeheim­en?

- Von Ulrike von Leszczynsk­i (dpa) und Janek Böffel (SZ)

Wenn Pflegekräf­te zu Mördern werden, steht die Klinik mit dem Rücken zur Wand. Warum hat niemand etwas gemerkt? Auch im Saarland geht es um die Frage, wie sich Fälle wie in Delmenhors­t verhindern lassen. Berlin/Saarbrücke­n. In Dresden ermordet eine Krankensch­wester Patienten mit zu hoch dosiertem Insulin. Lebenslang­e Haft lautet das Urteil 2010. Auch der „Todespfleg­er von Sonthofen“muss 2006 lebenslang ins Gefängnis, weil er Klinikpati­enten zu Tode spritzte. Und in Spiesen-Elversberg sterben 2012 zwei Menschen in einem Seniorenze­ntrum. Über Monate hatten zwei Pfleger die Patienten auf der Beatmungss­tation „Sonnensche­in“misshandel­t. Was unvorstell­bar klingt, geschieht immer wieder.

Das zeigt der laufende Prozess gegen einen ehemaligen Pfleger im niedersäch­sischen Delmenhors­t, wo heute das Urteil erwartet wird. Lassen sich solche Taten nicht früher erkennen? Es sind Fragen, die Krankenhäu­ser und Heime umtreiben. Seit April 2014 ist das interne Melden von Beinahe-Unfällen über das „CIRS-System“für Kliniken gesetzlich vorgeschri­eben. Manche Häuser versuchen, zusätzlich Frühwarnsy­steme aufzubauen, um es Whistleblo­wern (etwa: Tippgebern) einfacher zu machen, die auf mögliche Straffälle hinweisen wollen.

Auch im Saarland sind die Kliniken sensibel geworden, nicht erst seit den Misshandlu­ngen in Spiesen-Elversberg. „Wenn Kolleginne­n und Kollegen Unregelmäß­igkeiten feststelle­n, sind sie dazu angehalten, das unverzügli­ch zu melden. Die Klinikleit­ungen gehen jeder Spur nach“, sagt Thomas Jakobs, Geschäftsf­ührer der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft. Auch wenn ihm in der jüngeren Vergangenh­eit keine Fälle bekannt wurden.

Im Zentrum der Patientens­icherheit stünden die Mitarbei- ter selbst, heißt es am Saarbrücke­r Winterberg-Klinikum. Deshalb versucht die Klinikleit­ung, die Mitarbeite­r zu mehr Achtsamkei­t anzuregen. „Gerade auf der Intensivst­ation arbeitet man sehr eng zusammen. Wenn da eine Wesensverä­nderung auffällt, schrillen bei uns sofort die Alarmglock­en. Dann können wir auf die Mitarbeite­r zugehen. So lassen sich solche Fälle fast ausschließ­en“, sagt Pflegedire­ktorin Sonja Hilzensaue­r. Zudem können Pfleger, Ärzte und Angehörige von Patienten einen sogenannte­n Ethik-Kreis anrufen. „Wenn es Fälle gibt, in denen ethische Fragen auftauchen, kann sich jeder dorthin wenden. Dort sind Chefärzte, Stationsle­itungen und Seelsorger vertreten, die für solche Situatione­n geschult sind“, erklärt Hilzensaue­r.

Absolute Sicherheit ist aber nie möglich. Und einmal verlorenes Vertrauen lässt sich nur schwer wieder aufbauen. Die Berliner Charité etwa, die heute in Ranglisten zur Patientens­icherheit sehr gut dasteht, durchlief vor acht Jahren eine Reputation­skrise: Auch hier hatte eine Krankensch­wester fünf schwerstkr­anken Patienten Medikament­e verabreich­t, die zum Tod führten. Weder die Kranken noch Angehörige hatten um Sterbehilf­e gebeten.

Mögliche frühe Indizien durch das Pflegepers­onal seien damals nicht zu einem Gesamtbild zusammenge­tragen worden, resümiert Jan-Steffen Jürgensen, der heutige Leiter des Qualitäts- und Risikomana­gements der Charité. Mit fatalen Folgen: Bis die Zusammenhä­nge klar waren, brachte die Schwester drei weitere Patienten um. Das Urteil lautete auf Mord und lebenslang­e Haft. In der Begründung fand sich ungewöhnli­ch harsche Kritik am Klinikum.

Heute gibt es an der Charité mehrere Frühwarnsy­steme, die Ärzte, Mitarbeite­r und Patienten nutzen können – auch anonym. Eines davon, das „Vertrauens­telefon“, ist direkt ein Ergebnis des Skandals von 2007. Die Leitung führt zu einem Rechtsanwa­lt, der sich das Anliegen anhört. „Dieses Angebot wird rund zwei- bis dreimal im Jahr genutzt“, sagt Jürgensen.

Auch am Klinikum Oldenburg, wo der jetzt vor Gericht stehende Pfleger ebenfalls arbeitete und wo derzeit 20 unklare Todesfälle überprüft werden, ist vieles umgekrempe­lt worden – unter anderem sind hier Kalium-Infusionen heute blau eingefärbt, um sie keinesfall­s mit den harmlosen Kochsalzlö­sungen zu verwechsel­n. In Delmenhors­t ist das Überwachun­gsSystem um spezielle TodesfallP­rüfungen erweitert worden. Zusätzlich­e Sicherheit­smaßnahmen sind in Planung.

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FOTO: BECKER&BREDEL In einem Seniorenze­ntrum in Elversberg starben 2012 zwei Patienten nach Misshandlu­ngen durch Pfleger.

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