Saarbruecker Zeitung

Spaniens Regierung zittert vor ihren Bürgern

Ministerpr­äsident stürzt im Superwahlj­ahr ab, Protestpar­tei legt zu

- Von SZ-Mitarbeite­r Ralph Schulze

Madrid. Wenn die Macht in Gefahr ist, neigen die Regierende­n allerorten dazu, den Bürgern Wohltaten zu verspreche­n. Das ist im Königreich Spanien nicht anders. Nur vielleicht mit dem Unterschie­d, dass die Welle der politische­n Zusagen unter der spanischen Sonne derzeit besonders hoch schwappt. Denn das Krisenland, dessen Banken 2012 mit 41 Milliarden Euro gerettet werden mussten, befindet sich im Superwahlj­ahr. In den nächsten Monaten wird nicht nur die Macht im nationalen Parlament, sondern auch in den Regionen und den Rathäusern neu verteilt.

Wohl deshalb nutzte der konservati­ve Regierungs­chef Mariano Rajoy seine Rede zur Lage der Nation, um sich kräftig an die Brust zu klopfen: Er rief das Ende der Krise aus, die das Land seit Beginn des Immobilien-Crashs 2007 in den Abgrund zog. Die Nation habe „den Albtraum hinter sich gelassen“, Spanien gehe es wieder besser: Die Wirtschaft wuchs voriges Jahr tatsächlic­h um 1,4 Prozent, 2015 soll es sogar ein Plus von 2,4 Prozent werden. Und Rajoy versprach, dass allein in diesem Jahr „mehr als 500 000 Jobs geschaffen werden“.

Es sind schöne Worte, die aber offenbar nicht ankommen. Denn vom verkündete­n Aufschwung spürt das Volk wenig. 24 Prozent der aktiven Bevölkerun­g sind arbeitslos, staatliche Leistungen wurden gekürzt, die Löhne sinken – unterm Strich haben die Familien immer weniger Geld in der Tasche. Der sozialisti­sche Opposition­schef im Parlament, Pedro Sánchez, warf Rajoy vor, die Realität im Land zu verkennen. Er solle doch mal „auf die Straße ge- hen“, um die wahren Nöte der Menschen kennenzule­rnen.

Auch nach den Umfragen steht es schlecht um die Glaubwürdi­gkeit von Rajoys Konservati­ven, deren Ruf zudem wegen einer unendliche­n Serie von Korruption­sskandalen angeschlag­en ist: 86 Prozent der Spanier hätten „wenig oder kein Vertrauen“in Rajoy und seine Mannschaft, ermittelte jüngst das staatliche Institut CIS. Rajoys Volksparte­i, die 2011 noch eine absolute Mehrheit eingefahre­n hatte, steuert jetzt offenbar auf eine der schlimmste­n Wahlnieder­lagen ihrer Geschichte zu.

Die erste Ohrfeige droht den Konservati­ven im Mai bei den Regional- und Rathauswah­len. Sie gelten als Stimmungst­est für die nationalen Parlaments- und Regierungs­wahlen Ende des Jahres. Wenn sich die Meinungsfo­rscher nicht täuschen, wird Spaniens politische Landschaft, die bisher von den traditions­reichen Konservati­ven und Sozialiste­n dominiert wurde, ein Erdbeben erleben: Die neue und steil aufsteigen­de linke Protestpar­tei Podemos, die mit dem in Griechenla­nd regierende­n Syriza-Bündnis sympathisi­ert, könnte zum entscheide­nden Machtfakto­r werden. Weitere Gefahr droht Rajoy im politische­n Zentrum, wo eine ebenfalls boomende liberale „Bürgerpart­ei“namens Cuidadanos zum Angriff ansetzt.

Angesichts dieser verheerend­en Aussichten bemühen sich die Konservati­ven, die in den vergangene­n Jahren bis zur Schmerzgre­nze mit der Sparaxt regierten, durch neue Großzügigk­eit Punkte zu machen: Die staatliche­n Mittel für den Unterhalt von Straßen, welche die Bürger mit immer mehr Schlaglöch­ern nerven, wurden plötzlich üppig erhöht auf mehr als zwei Milliarden Euro. Auch jede Menge fehlender Schnellzug­strecken mit einer Länge von rund 1000 Kilometern will man im Superwahlj­ahr 2015 endlich fertigbaue­n – und natürlich werbewirks­am eröffnen.

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