Poppige Tanzbodenfüller
Schöne Freaks: Der Individual-Pop von Dan Deacon, Jib Kidder, H Hawkline, Black Yaya und Father John Misty
Dass Popmusik auch mal ein bisschen herausfordernder, dadurch anstrengender, womöglich aber auch nachhaltiger sein darf, dafür steht jeder der folgenden fünf Herren hier so leidenschaftlich wie überzeugt.
Dan Deacon war aufmerksamen und zugleich an etwas sperrigeren Pop-Ausdeutungen interessierten Konsumenten eventuell schon vor acht Jahren mit seinem vielschichtigen Werk „Spiderman Of The Rings“aufgefallen. Ansonsten hat jeder nun mit „Gliss River“( Domino) erneut die Gelegenheit, jene „ästhetische Unmittelbarkeit und ekstatische Energie“dieses umtriebigen Bastlers kennenzulernen. „Learning To Relax“heißt einer dieser enorm dicht inszenierten Tracks, ein anderer „Take It To The Max“– beide könnten als Motto dieses von Deacon komplett im Alleingang komponierten, eingespielten, produzierten und arrangierten, herrlich spinnerten Songreigens gelten. Die Stimme wurde raffiniert gefiltert, die Rhythmen treiben schön nach vorne und diverse Synthesizer dürfen sich lustvoll auftürmen. Als Hintergrundbeschallung eignet sich so etwas nicht, als Tanzbodenfüller in den Clubs dafür umso mehr. Diesbezüglich ganz weit vorne rangieren die saftige, abgedrehte Hip-HopVariation „Meme Generator“und das hypnotische „Mind On Fire“mit der unglaublich schönen Aussage „Happiness takes time“.
Auch Sean Schuster-Craig alias Jib Kidder erweist sich als Autodidakt höchster Gnaden, auch er schickt seinen Gesang durch Filter, und wie Label-Kollege Deacon weiß er um das magische Potential dicht gewebter Klang-Teppiche ohne dabei eine wohlfeile, sich bisweilen in majestätische Höhen schraubende Melodik zu vernachlässigen. Kidders Tempo wiederum ist gedrosselter, seine Arrangements gedimmter und seine Songhandschrift ist eindeutig im psychedelisch verspielten Fundus der Sixties zu verorten. Man glaubt ihm, wenn er sagt, er sei „immer besser darin gewesen, seine Träume zu leben und einer vermeintlichen Logik mit Humor zu begegnen“. Und so darf man auch „Teaspoon To The Ocean“( Domino) mit großer Selbstverständlichkeit in den Kanon einer alternativen, konsequent individualistischen Pop-Kultur aufnehmen.
Ohne Zweifel gehört auch „In The Pink Of Condition“( Heavenly/Cooperative) dort hinein. Und das nicht nur weil dieser Mann ebenfalls Gefallen daran fand, seinen sperrigen Namen (Huw Gwynfryn Evans) in ein griffiges Pseudonym umzuwandeln. Tatsächlich mutet uns H Hawkline noch weit mehr Schräg-Charme zu als die Vorgenannten. Auch hier verbietet sich eine Hintergrundbeschallung nachdrücklich. Ein aufmerksames, in der Lautstärke großzügig reguliertes Lauschen wiederum reißt die Einlass-Pforte schnell sehr weit auf. Hilfreich ist dabei fraglos die seltsame Vertrautheit von Evans‘ hoher, gleichwohl kräftiger Stimme, gemahnt diese doch so wunderbar an jene von Edwyn Collins (Hit: „A Girl Like You“). Und wenn dann im Verlauf dieses „Strange Pop“(Eigenbezeichnung des Künstlers) gar regelmäßig die wunderbar überschwängliche Magie von Collins‘ Ex-Band Orange Juice aufblitzt ist das Hörer- Glück perfekt.
Meist setzt schillernde Saiten-Pracht (inklusive einem saftigen Bass) die Akzente, doch werden auch die Tastaturen von Piano und Orgel strategisch klug involviert. Und so sei auch diese Wundertüte zur vergnüglichen Entdeckung Huw Gwynfryn Evans alias H Hawkline bezeichnet seinen Musik-Stil als „Strange Pop“. freigegeben!
Ein sicher schon etwas bekannterer schräger Vogel ist David Ivar Herman Dune, hat er doch mit seinem Bruder Andre als Herman Dune etliche große Alben aufgenommen, von denen mindestens „Giant“(2006) als Meisterwerk eines „freakfolkigen Indie-Pop“die Zeit überdauern wird. Schon immer hatten Filme („The Killing“, „Manhunter“), Gemälde (Hieronymus Bosch, Marcel Duchamp) und Autoren (Edgar A. Poe, Jack Kerouac) emotionale und intellektuelle Furchen im Repertoire der Stamm-Band hinterlassen. Das ist so geblieben, doch verleiht die Sprengung des Band-Korsetts dem sich nun Black Yaya nennenden Musiker eine Freiheit, die sich nicht nur in größerer Gelassenheit, sondern auch in größerer Vollmundigkeit der Arrangements und einem üppigeren Pop-Appeal er- quicklich ausdrückt. Auch für „Black Yaya“( City Slang/Universal) gilt unbedingt: laut aufdrehen!
Ausgerechnet der Mann mit der größten Reputation unter all diesen „Beautiful Freaks“hinterlässt hier den schwächsten Eindruck. Obwohl sich fraglos auch der Ex-Fleet Foxes-Schlagzeuger Josh Tilman hinter einem originellen Pseudonym zu verschanzen weiß. „I Love You, Honeybear“( Bella Union, PIAS) ist bereits das zweite Solo-Werk von Father John Misty und unter der Ägide des bekanntlich zu hemmungsloser Opulenz neigenden Produzenten Jonathan Wilson entstand ein orchestraler Songreigen, dessen Honigsüße bisweilen schon mal ins Schmalzige abzudriften droht. In solchen Momenten hilft dann ein Blick auf die ausgesprochen gesellschaftskritischen Texturen – nicht nur in „Bored In The USA“. Doch auch ohne diesen rettet die ja letztlich doch unwiderstehliche, Folk, Soul und Pop gleichermaßen anzapfende Melodien-Pracht diesem Zuckerbäckerwerk den vierten Punkt.
Samba Toure „Gandadiko“(Glitterbeat/Indigo): Mali bleibt gebeutelt – auch wenn sich die Lage etwas beruhigt hat. Samba Toure singt über Armut, Vertreibung, Arbeitslosigkeit und vom Wertverlust gezüchteter Kühe, da sie aufgrund von Mangelernährung so dünn und schwach sind. Gleichwohl wagt der Afro-Blueser einen hoffnungsvollen Blick nach vorne. Der Groove dieser Lieder ist ausgeruht, der Gesang entspannt. Was freilich immer brennt wie die Sonne über der Wüste und die tiefe Sehnsucht nach einem besseren Leben ist das Gitarrenspiel des großartigen Musikers. So viele Facetten von nur sechs Saiten behört man selten.
= grandios = hervorragend = stark = solide = diskutabel = dürftig