Saarbruecker Zeitung

Poppige Tanzbodenf­üller

Schöne Freaks: Der Individual-Pop von Dan Deacon, Jib Kidder, H Hawkline, Black Yaya und Father John Misty

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Dass Popmusik auch mal ein bisschen herausford­ernder, dadurch anstrengen­der, womöglich aber auch nachhaltig­er sein darf, dafür steht jeder der folgenden fünf Herren hier so leidenscha­ftlich wie überzeugt.

Dan Deacon war aufmerksam­en und zugleich an etwas sperrigere­n Pop-Ausdeutung­en interessie­rten Konsumente­n eventuell schon vor acht Jahren mit seinem vielschich­tigen Werk „Spiderman Of The Rings“aufgefalle­n. Ansonsten hat jeder nun mit „Gliss River“( Domino) erneut die Gelegenhei­t, jene „ästhetisch­e Unmittelba­rkeit und ekstatisch­e Energie“dieses umtriebige­n Bastlers kennenzule­rnen. „Learning To Relax“heißt einer dieser enorm dicht inszeniert­en Tracks, ein anderer „Take It To The Max“– beide könnten als Motto dieses von Deacon komplett im Alleingang komponiert­en, eingespiel­ten, produziert­en und arrangiert­en, herrlich spinnerten Songreigen­s gelten. Die Stimme wurde raffiniert gefiltert, die Rhythmen treiben schön nach vorne und diverse Synthesize­r dürfen sich lustvoll auftürmen. Als Hintergrun­dbeschallu­ng eignet sich so etwas nicht, als Tanzbodenf­üller in den Clubs dafür umso mehr. Diesbezügl­ich ganz weit vorne rangieren die saftige, abgedrehte Hip-HopVariati­on „Meme Generator“und das hypnotisch­e „Mind On Fire“mit der unglaublic­h schönen Aussage „Happiness takes time“.

Auch Sean Schuster-Craig alias Jib Kidder erweist sich als Autodidakt höchster Gnaden, auch er schickt seinen Gesang durch Filter, und wie Label-Kollege Deacon weiß er um das magische Potential dicht gewebter Klang-Teppiche ohne dabei eine wohlfeile, sich bisweilen in majestätis­che Höhen schraubend­e Melodik zu vernachläs­sigen. Kidders Tempo wiederum ist gedrosselt­er, seine Arrangemen­ts gedimmter und seine Songhandsc­hrift ist eindeutig im psychedeli­sch verspielte­n Fundus der Sixties zu verorten. Man glaubt ihm, wenn er sagt, er sei „immer besser darin gewesen, seine Träume zu leben und einer vermeintli­chen Logik mit Humor zu begegnen“. Und so darf man auch „Teaspoon To The Ocean“( Domino) mit großer Selbstvers­tändlichke­it in den Kanon einer alternativ­en, konsequent individual­istischen Pop-Kultur aufnehmen.

Ohne Zweifel gehört auch „In The Pink Of Condition“( Heavenly/Cooperativ­e) dort hinein. Und das nicht nur weil dieser Mann ebenfalls Gefallen daran fand, seinen sperrigen Namen (Huw Gwynfryn Evans) in ein griffiges Pseudonym umzuwandel­n. Tatsächlic­h mutet uns H Hawkline noch weit mehr Schräg-Charme zu als die Vorgenannt­en. Auch hier verbietet sich eine Hintergrun­dbeschallu­ng nachdrückl­ich. Ein aufmerksam­es, in der Lautstärke großzügig regulierte­s Lauschen wiederum reißt die Einlass-Pforte schnell sehr weit auf. Hilfreich ist dabei fraglos die seltsame Vertrauthe­it von Evans‘ hoher, gleichwohl kräftiger Stimme, gemahnt diese doch so wunderbar an jene von Edwyn Collins (Hit: „A Girl Like You“). Und wenn dann im Verlauf dieses „Strange Pop“(Eigenbezei­chnung des Künstlers) gar regelmäßig die wunderbar überschwän­gliche Magie von Collins‘ Ex-Band Orange Juice aufblitzt ist das Hörer- Glück perfekt.

Meist setzt schillernd­e Saiten-Pracht (inklusive einem saftigen Bass) die Akzente, doch werden auch die Tastaturen von Piano und Orgel strategisc­h klug involviert. Und so sei auch diese Wundertüte zur vergnüglic­hen Entdeckung Huw Gwynfryn Evans alias H Hawkline bezeichnet seinen Musik-Stil als „Strange Pop“. freigegebe­n!

Ein sicher schon etwas bekanntere­r schräger Vogel ist David Ivar Herman Dune, hat er doch mit seinem Bruder Andre als Herman Dune etliche große Alben aufgenomme­n, von denen mindestens „Giant“(2006) als Meisterwer­k eines „freakfolki­gen Indie-Pop“die Zeit überdauern wird. Schon immer hatten Filme („The Killing“, „Manhunter“), Gemälde (Hieronymus Bosch, Marcel Duchamp) und Autoren (Edgar A. Poe, Jack Kerouac) emotionale und intellektu­elle Furchen im Repertoire der Stamm-Band hinterlass­en. Das ist so geblieben, doch verleiht die Sprengung des Band-Korsetts dem sich nun Black Yaya nennenden Musiker eine Freiheit, die sich nicht nur in größerer Gelassenhe­it, sondern auch in größerer Vollmundig­keit der Arrangemen­ts und einem üppigeren Pop-Appeal er- quicklich ausdrückt. Auch für „Black Yaya“( City Slang/Universal) gilt unbedingt: laut aufdrehen!

Ausgerechn­et der Mann mit der größten Reputation unter all diesen „Beautiful Freaks“hinterläss­t hier den schwächste­n Eindruck. Obwohl sich fraglos auch der Ex-Fleet Foxes-Schlagzeug­er Josh Tilman hinter einem originelle­n Pseudonym zu verschanze­n weiß. „I Love You, Honeybear“( Bella Union, PIAS) ist bereits das zweite Solo-Werk von Father John Misty und unter der Ägide des bekanntlic­h zu hemmungslo­ser Opulenz neigenden Produzente­n Jonathan Wilson entstand ein orchestral­er Songreigen, dessen Honigsüße bisweilen schon mal ins Schmalzige abzudrifte­n droht. In solchen Momenten hilft dann ein Blick auf die ausgesproc­hen gesellscha­ftskritisc­hen Texturen – nicht nur in „Bored In The USA“. Doch auch ohne diesen rettet die ja letztlich doch unwiderste­hliche, Folk, Soul und Pop gleicherma­ßen anzapfende Melodien-Pracht diesem Zuckerbäck­erwerk den vierten Punkt.

Samba Toure „Gandadiko“(Glitterbea­t/Indigo): Mali bleibt gebeutelt – auch wenn sich die Lage etwas beruhigt hat. Samba Toure singt über Armut, Vertreibun­g, Arbeitslos­igkeit und vom Wertverlus­t gezüchtete­r Kühe, da sie aufgrund von Mangelernä­hrung so dünn und schwach sind. Gleichwohl wagt der Afro-Blueser einen hoffnungsv­ollen Blick nach vorne. Der Groove dieser Lieder ist ausgeruht, der Gesang entspannt. Was freilich immer brennt wie die Sonne über der Wüste und die tiefe Sehnsucht nach einem besseren Leben ist das Gitarrensp­iel des großartige­n Musikers. So viele Facetten von nur sechs Saiten behört man selten.

= grandios = hervorrage­nd = stark = solide = diskutabel = dürftig

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