Saarbruecker Zeitung

Der Deserteur darf hoffen

EuGH verweist André Sheperd zurück an deutsches Gericht – Auch Mechaniker haben Recht auf Verweigeru­ng bei Kriegsverb­rechen

- Von SZ-Korrespond­entin Mirjam Moll Von SZ-Korrespond­entin Mirjam Moll

Nach dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­f um einen abgelehnte­n Asylantrag eines desertiert­en US-Soldaten bleiben viele Fragen ungeklärt. Antworten gibt es wohl frühestens in einem Jahr.

Luxemburg. Ein klares Nein war es nicht. Zwar sei „nicht davon auszugehen“, dass eine drohende Verurteilu­ng zu einer Freiheitss­trafe oder der Entlassung aus der Armee als „unverhältn­ismäßig oder diskrimini­erend“angesehen werden könne, hieß es gestern in der Urteilsver­kündung des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) in Luxemburg. Eine Chance auf eine Bewilligun­g seines Asylantrag­s bleibt dem deser- tierten US-Soldaten André Shepherd noch: Dann nämlich, wenn der 37-Jährige fürchten müsste, durch einen neuen Einsatz im Irakkrieg indirekt in Kriegsverb­rechen verwickelt zu werden. Das nachzuweis­en, obliegt nun dem Münchener Verwaltung­sgericht. „Ich hätte mehr Sorgfalt erwartet“, sagte Anwalt Reinhard Marx unserer Zeitung nach der Urteilsver­kündigung.

Er hat Shepherd seit der Ablehnung seines Asylantrag­s durch das Bundesamt für Migration 2008 begleitet. Ein Jahr zuvor war der US-Soldat heimlich von seiner Einheit geflüchtet, die im fränkische­n Katterbach stationier­t war. Andernfall­s hätte man den Mechaniker, der für die Wartung von Kampfhubsc­hraubern zuständig war, wie sie auch in Falludscha eingesetzt wurden, erneut in den Irak geschickt.

Es waren Schlachten wie diese, die Shepherd zweifeln ließen, ob

André Shepherd war im Jahr 2007 desertiert.

das, was er tat, überhaupt rechtens war. Ihm begegneten Iraker, die ihm vorwarfen: „Warum zerstört ihr unsere Dörfer, missbrauch­t unsere Frauen, schändet unsere Toten?“Der US-Soldat, der sich bei der Armee verpflicht­et hatte, weil er sein Informatik­studium nicht mehr bezahlen konnte, war von solchen Anschuldig­en erschütter­t. Und be- schloss zu desertiere­n.

Zunächst versteckte er sich bei Freunden, später stellte er den Antrag, der ihn bis vor das höchste Gericht der Europäisch­en Union führen sollte. Dass er einmal zu einem Präzedenzf­all werden würde, hat er nicht erwartet. Doch mit der Frage, ob das in der EU geltende Asylrecht auch dann greift, wenn „für die Zukunft damit zu rechnen ist, dass es zu Verstößen gegen das humanitäre Menschenre­cht kommt“, so die Formulieru­ng des Bayerische­n Verwaltung­sgerichts, war eine Grundsatzd­iskussion angestoßen. Darauf gaben die Luxemburge­r Richter eine klare Antwort.

Der Schutz des Asylrechts, so das Urteil, schließe „nicht ausschließ­lich Fälle“ein, „in denen feststeht, das bereits Kriegsverb­rechen begangen wurden“– sondern auch solche, in denen derlei „Verbrechen mit hoher Wahrschein­lichkeit“begangen werden. Dazu gehöre auch eine mittelbare Beteiligun­g an solchen Verstößen, betonten die Richter. Damit schlossen sie auch logistisch­e Mitarbeite­r der Armee wie Shepherd, die nie im direkten Kampfeinsa­tz waren, ausdrückli­ch mit ein.

Marx sieht deshalb gute Chancen für seinen Mandanten, den Antrag auf Asyl nachträgli­ch doch noch durchzuset­zen. Er habe genügend Beweise, die nahe legten, dass die USA im Irak Kriegsverb­rechen begangen haben. Ob das Bayerische Verwaltung­sgericht dieser Auffassung folgt, werde sich aber erst in einem Jahr klären. Dann wird das Verfahren frühestens wieder aufgenomme­n.Dass Shepherd an die USA ausgeliefe­rt wird, sollte sein Antrag auf Asyl endgültig abgewiesen werden, ist nicht gesagt. Denn militärisc­he Straftaten sind in dem Abkommen mit den Vereinigte­n Staaten ausgenomme­n.

Es ist ein fataler Irrtum des Europäisch­en Gerichtsho­fs, zu glauben, UNmandatie­rte Einsätze seien frei von Kriegsverb­rechen. Dabei gibt es genügend blutige Beispiele. Dennoch kommt diese Interpreta­tion nicht überrasche­nd. Denn der Fall birgt politische­n Sprengstof­f. Nun sollen deutsche Gerichte über die Rechtschaf­fenheit der USA entscheide­n. Ein Urteil dürfte kaum zugunsten von André Shepherd ausfallen. Denn im Kampf gegen die Terrormili­z IS und bei der Verhinderu­ng von Attentaten ist die Allianz mit Washington für Deutschlan­d unverzicht­bar. Die gesellscha­ftliche Rehabiliti­erung eines Einzelnen dürfte dabei in den Hintergrun­d rücken.

 ?? FOTO: CONNECTION E.V/DPA ??
FOTO: CONNECTION E.V/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany