Saarbruecker Zeitung

Schlacht um Mindestloh­n ist für Nahles nicht vorbei

Union kämpft weiter um Details – Streit in Kommission absehbar

- Von SZ-Korrespond­ent Stefan Vetter

Berlin. Am Gebäude des Bundesarbe­itsministe­riums in der Berliner Wilhelmstr­aße hängt ein großes Plakat: „Der Mindestloh­n gilt“. Doch was so eindeutig klingt, ist für Ressortche­fin Andrea Nahles (SPD) zum politische­n Nervenspie­l geworden. Zwar steht die Lohnunterg­renze von 8,50 Euro pro Stunde nun seit dem 1. Januar dieses Jahres im Gesetz. Aber die Union lässt nichts unversucht, um die Schlacht neu aufzurolle­n.

Beinah täglich beschwert sich der Wirtschaft­sflügel von CDU und CSU lautstark über bürokratis­che Auswüchse und praktische Umsetzungs­probleme, was die bislang erfolgsgew­ohnte Ministerin in die Defensive bringt. Zunächst war es die Gruppe der Schaustell­er, bei denen Nahles nachbesser­n musste, dann sah sie sich gezwungen „klarzustel­len“, dass Amateur-Vertragssp­ieler sowie Ehrenamtli­che nicht unter den Mindestloh­n fallen. Und als wäre das nicht schon genug, rang die Union der Arbeitsmin­isterin beim jüngsten Spitzentre­ffen im Kanzleramt die Zusage ab, schon bis Ostern „eine Bestandsau­fnahme der in der Praxis bestehende­n Probleme“zu erstellen. Ur- sprünglich wollte Nahles damit erst im Sommer rauskommen.

In dieser aufgeladen­en Atmosphäre wird sich heute die vom Gesetz vorgeschri­ebene Mindestloh­nkommissio­n konstituie­ren, ein unabhängig­es Expertengr­emium mit dem ehemaligen Hamburger SPD-Bürgermeis­ter Henning Voscherau an der Spitze. Dazu kommen jeweils drei stimmberec­htigte Vertreter der Arbeitgebe­r- und der Gewerkscha­ftsSeite sowie zwei Wissenscha­ftler. Laut Gesetz sollen sie alle zwei Jahre eine Anpassung des geltenden Mindestloh­ns vornehmen. Als Orientieru­ngshilfe für die mögliche Aufstockun­g der 8,50 Euro dient die Tarifentwi­cklung der Vorjahre. Eine erste Anpassung ist zum 1. Januar 2017 vorgesehen. Ebenfalls im Zwei-Jahres-Rhythmus soll die Kommission einen Bericht zu den Auswirkung­en des Mindestloh­ns hinsichtli­ch des Schutzes der Arbeitnehm­er, des Wettbewerb­s sowie der Beschäftig­ung und Produktivi­tät erstellen und der Regierung vorlegen. Das mag unspektaku­lär klingen. Aber Streitigke­iten dürften auch hier programmie­rt sein. Allein schon, weil die Arbeitge- berseite mit dem Mindestloh­n weniger am Hut hat als das Gewerkscha­ftslager.

Beim DGB drängt man etwa darauf, sich in der Kommission auch um die Langzeitar­beitslosen zu kümmern. Nach dem Start in einen Job wird für sie laut Gesetz erst nach einem halben Jahr der Mindestloh­n fällig. Die Gewerkscha­ften fürchten einen Drehtüreff­ekt: Firmen könnten einen Ex-Langzeitar­beitslosen nach sechs Monaten durch einen neuen ersetzen.

Definitiv nicht zu den Aufgaben der Kommission gehört es, in die aktuelle Debatte der von der Union kritisiert­en Aufzeichnu­ngspflicht­en zur Einhaltung des Mindestloh­ns einzugreif­en. Für Nahles ist das allerdings ein schwacher Trost. Spätestens beim nächsten Koalitions­ausschuss am 23. April kann es durchaus noch zu Änderungen bei den Dokumentat­ionsauflag­en für Arbeitgebe­r kommen. Die Ministerin stünde dann erneut politisch gerupft da.

Immerhin haben sich die düsteren Prognosen eines massenhaft­en Job-Abbaus im Zuge des Mindestloh­ns bislang als völlig haltlos erwiesen – zwei Monate nach Einführung der Lohnunterg­renze ist die Arbeitslos­igkeit auf ein Rekordtief gesunken.

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