Saarbruecker Zeitung

Rollstuhlf­ahrer beschwert sich über Saarbrücke­r Busse

52-Jähriger fühlt sich von unnötigem Saarbrücke­r „Bus-Roulette“diskrimini­ert

- Von SZ-Redakteur Peter Wagner

Viele Leute geben ihr Bestes, um Behinderte­n die Teilhabe am Busverkehr zu ermögliche­n. Wenn aber nur einer kurz nicht mitdenkt, hat es am Ende des Tages wieder einmal nicht gereicht. Für Andreas Diehl kann es sogar bedrohlich werden.

Saarbrücke­n. Wenn der Bus nicht kommt, ist es für die Wartenden ein Ärgernis. Für Andreas Diehl wird es zur Gefahr für Leib und Leben. Der 52-jährige Saarbrücke­r leidet an einer Muskelerkr­ankung, die ihn erst im hohen Erwachsene­nalter traf. Sein Körper kühlt im Freien trotz dicker Kleidung aus. Wenn er winters lange draußen ist, versagen die Muskeln und damit die Lebensgeis­ter zusehends. Diehl ist seit zwei Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Eigentlich, so sagt er, könnte er sofort in Rente gehen, jeder Arzt würde das befürworte­n. Andreas „Andy“Diehl ist aber ein Sportler, ein Kämpfer, ein aktiver Mensch, der so lange arbeitet, wie es nur geht. Früher war er Leistungss­chwimmer.

Seit über dreißig Jahren ist er bei der Stadt Saarbrücke­n beschäftig­t; die 20 Minuten vom Wohnhaus auf der Rußhütte zum Ordnungsam­t in der PaulMarien-Straße legt er bevorzugt mit der Buslinie 128 zurück. Wenn der Bus um 6.58 Uhr am Haltepunkt Heinrichsh­ausweg ankommt, ist er zum Glück noch kaum gefüllt, so dass der Einstieg leicht gelingt. Die Haltestell­e ist zwar nicht barrierefr­ei, selbst Busse mit Niederflur-Neigetechn­ik können das Gefälle zum Gehsteig nicht ausgleiche­n. Für diesen (nicht seltenen) Fall verfügen die Saarbrücke­r Stadtbusse über ausklappba­re Rampen. Manchmal bückt sich ein Fahrgast, um sie am Busboden zu entriegeln und nach außen zu klappen, meist macht das der Fahrer. Es gehört zu seinen Aufgaben. „99 Prozent der Fahrer sind klasse“, freut sich Andreas Diehl. Man kennt ihn und seine Ziele schon.

Ein paarmal im Jahr kommt allerdings ein Bus ohne Rampe. Man weiß vorher nie genau, warum nicht. Diehl nennt es „BusRoulett­e“, ein unnötiges, denn man könne derlei Aussetzer wenn schon nicht im Einzelfall vermeiden, so doch ankündigen, zum Beispiel mit einer App für Gehbehinde­rte. Warum tut man dies nicht? Karlsruhe könne es, weiß Diehl.

Sei es drum, wenn der Bus ohne Rampe kommt, dann muss Andreas Diehl stehen bleiben. Keine Chance. Selbst vier starke Männer würden ihn und seinen Elektrorol­lstuhl nicht in den Bus hieven können. Also 30 Minuten auf den nächsten Bus warten? Was ist, wenn ein Gelenkbus kommt, der nie eine Rampe hat? Wieder zurück ins Haus?

Andreas Diehl empfindet die Lage als „diskrimini­erend“, sein Gefühl beschreibt er als „mies“. Man sollte zum besseren Verständni­s wissen, dass er sage und schreibe zweieinhal­b Stunden gebraucht hatte, um es überhaupt vom Bett übers Badezimmer, den Frühstücks­tisch, die Hausschwel­le, den Kiesweg zur Hauptstraß­e zu schaffen. Als er an der Bushaltest­elle wartet, hat er also ein halbes Tagwerk an Kampf hinter sich, um sich danach am Arbeitspla­tz zu beweisen – und wird dann, im wahren zynischen Wortsinn: kalt gestellt, weil irgendeine­r nicht daran gedacht hat, den richtigen Bus zu schicken. Andreas Diehl kann noch zig andere Widrigkeit­en schildern, denen Menschen mit Behinderun­gen im öffentlich­en Nahverkehr ausgesetzt sind, von falsch gebauten Haltestell­en, Gehwegen voller Glassplitt­er, die die Reifen am Rolli aufschlitz­en (für die Reparatur braucht er ein Rezept vom Arzt!), von Saarbahnen, deren Rollstuhlf­lächen im Berufsverk­ehr von Unberechti­gten zugestellt sind. Wohl gemerkt, die Lage für Behinderte wird nach Überzeugun­g von Andreas Diehl immer besser, Saarbrücke­n gebe sich Mühe, ihre Mobilität zu erhöhen. Aber es könnte alles noch viel leichter gehen, mit ein wenig mehr Aufmerksam­keit und Mitdenken.

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FOTOS: RICH SERRA Wenn Andreas Diehl Glück hat, kann er über eine Rampe in den Bus einsteigen. Wenn er Pech hat, muss er eine halbe Stunde auf den nächsten Bus warten.
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Mit der Linie 128 fährt er von der Rußhütte zu seiner Arbeitsste­lle in der Innenstadt. Um besser zu planen, wüsste er gerne, welcher Bus mit Niederflur­technik ausgestatt­et ist und welcher nicht.
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Der Elektrorol­lstuhl ist zu schwer. Sogar vier starke Männer können ihn nicht tragen.

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