Saarbruecker Zeitung

Weselsky gegen den Rest der Republik

Bereits siebter Streik im Tarifkonfl­ikt – Kritik an Gewerkscha­ftschef wächst – Bahn will ein Drittel der Fernzüge auf die Gleise bringen

- Von Burkhard Fraune und Bernd Röder (dpa)

Der Lokführerg­ewerkschaf­t geht es in der Tarifrunde mit der Bahn nicht schnell genug. Deshalb streikt sie wieder. Das geht den Kunden mächtig auf die Nerven, und auch andere zweifeln am Sinn der Aktion.

Berlin. Wenn Claus Weselsky vom Bahn-Tarifpoker kommt, bebt es in dem Mann. Kaum zu übersehen, wie sehr der Gewerkscha­fter Empörung und Aufregung dann zügeln muss. Dieses Temperamen­t ist einer der Gründe für Weselskys siebten Streich: Schon wieder streiken die Lokführer, wieder hält tagelanges Bahn-Chaos die Republik in Atem. Doch Weselsky laufen die Zeit und seine Verbündete­n davon.

Da wäre der Dachverban­d der Lokführerg­ewerkschaf­t, der Deutsche Beamtenbun­d (DBB). Dessen Chef Klaus Dauderstäd­t gibt sich besorgt und erteilt Weselsky schon öffentlich Ratschläge: Erstmal Teilergebn­isse festmachen, wenn nicht alles auf einen Schlag zu lösen sei, empfiehlt Dauderstäd­t am Montag in der „Süddeutsch­en Zeitung“. Als Weselsky dann gestern Ernst macht mit dem siebten Streik, will der Beamtenbun­d lieber gar nichts mehr sagen. Nur soviel: „Wir haben ein Interesse daran, dass es bald zu einer Einigung kommt.“

Weselsky will sie erzwingen. SBahnen, Regionalzü­ge, Fernzüge – sie sollen zwei Tage lang stillstehe­n, Güterzüge noch etwas länger. Millionen Reisende werden auf die Lokführer schimpfen. Und auf deren kleine, aber mächtige Gewerkscha­ft mit dem 56-Jährigen an ihrer Spitze. Fast vier von fünf Bahn-Lokführern sind in der GDL organisier­t, das macht sie schlagkräf­tig.

Viele sind nicht mehr gut zu sprechen auf Weselsky. Der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) kritisiert­e den Streik der „Neuen Osnabrücke­r Zeitung“zufolge als „Gift für den Standort Deutschlan­d“. „Verständni­slos und bestürzt“, überschrie­b der Bundesverb­and Groß- und Außenhande­l seine Stellungna­hme. „Eine kleine Gruppe versucht wieder einmal auf dem Rücken von Wirtschaft und Bevölkerun­g ihre Partikular­interessen durchzuset­zen.“

Selbst der sonst so besonnene Personalch­ef Ulrich Weber hält die Zeit für gekommen, ungerechtf­ertigte Anschuldig­ungen zurückzuwe­isen, eine Korrektur der Tonlage und mehr Sachlichke­it zu fordern. Sonst hatte er stets versichert, er habe kein Problem mit Weselsky, seinem Gegenüber in mittlerwei­le 16 Verhandlun­gsrunden. Da hatte der Gewerkscha­ftschef Weber aber noch nicht der Lüge bezichtigt.

Ob die GDL den Streik in dieser Phase braucht, um in den Verhandlun­gen weiterzuko­mmen, kommt auf die Perspektiv­e an. Die Bahn beteuerte noch kurz vor dem Streik, bei der Frage der künftigen Tarifstruk­tur sei man doch einen Meter vor der Ziellinie gewesen. In der nächsten Woche hätten beiden Seiten über mehr Geld und Arbeitszei­ten sprechen können. Weber: „Die GDL setzt ihre eigenen Erfolge aufs Spiel.“

Diese Erfolge sieht aber die GDL nach 16 Verhandlun­gsrunden gar nicht. Im Gegenteil, ihr geht es in den Gesprächen zu langsam voran, verbindlic­h sei noch nicht einmal der bisher ausgehande­lte Zwischenst­and vom März. Da- mals verständig­ten sich die beiden Tarifparte­ien, Zugbegleit­er und Bordgastro­nomen in einen Flächentar­ifvertrag aufzunehme­n, der bisher nur für die Loko- motivführe­r gilt. Jetzt hat sich Weselsky auf die Berufsgrup­pe der Lokrangier­führer kapriziert. Die dürften – im Vergleich zu den besser bezahlten Lokführern – nicht zum „billigen Jakob im Tarifvertr­ag“werden, sagt er. Der Einsatz für diese Lokrangier­führer erscheint der konkurrier­enden Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) unglaubwür­dig. Bisher habe sich die GDL nicht um sie gekümmert. Zudem seien drei Viertel von ihnen bei der EVG organisier­t. Bei der Taktik verfolgt die GDL nicht mehr das Ziel, dass jeder Streik länger als der vorherige ist. Vor kurzem hatte Weselsky noch gedroht: „Der nächste Streik wird um die hundert Stunden lang sein.“Jetzt sind es „nur“66 im Güterverke­hr und 43 im Personenve­rkehr. Die Bahn will sich in diesen Tagen ins Zeug legen. Trotz Streiks soll ein Drittel der Fernzüge fahren, gesteuert von beamteten Lokführern, Mitglieder­n der EVG oder Unorganisi­erten. Beim jüngsten GDL-Ausstand im November waren viele ICE halbleer als Folge einer sich selbstzers­törenden Prophezeiu­ng: Weil alle annahmen, dass kaum noch ein Zug fährt, stieg auch niemand in die Züge ein, die doch unterwegs waren.

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FOTO: DPA Mit seiner harten Linie beim Tarifpoker steht GDL-Chef Weselsky in der Kritik.

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