Saarbruecker Zeitung

SS-Mann Gröning und die Schuld am Massenmord

- Von dpa-Mitarbeite­r Peer Körner

Oskar Gröning meldet sich als Freiwillig­er zur Waffen-SS und wird in Auschwitz eingesetzt. 70 Jahre nach der Befreiung des Lagers steht der 93-Jährige vor Gericht – und sagt gleich am ersten Tag aus.

Lüneburg. Auschwitz: millionenf­acher Mord, unvorstell­bares Grauen. 70 Jahre später wird in Lüneburg ein alter Mann auf seinen Rollator gestützt in den Gerichtssa­al geführt. Der 93-jährige Oskar Gröning trägt ein weißes Hemd und einen beigefarbe­nen Strickpull­over. Er war dabei, als Freiwillig­er der Waffen-SS. „Ich möchte aussagen“, sagt er dem Richter gestern zu Prozessbeg­inn.

Zuvor hat Staatsanwa­lt Jens Lehmann vor dem Landgerich­t die Anklage verlesen. Der Tatvorwurf: Beihilfe zum Mord in mehr als 300 000 Fällen. Beihilfe zu einer „heimtückis­chen und grausamen Tötung“, wie er betont. Vom Herbst 1942 bis Herbst 1944 sei Gröning in Auschwitz-Birkenau gewesen, wo alles auf die Ermordung der Häftlinge ausgericht­et gewesen sei. Lehmann spricht von den Vergasunge­n, den Arbeitsein­sätzen, den Erschießun­gen und von der Lügengesch­ichte für Millionen Opfer, es ginge nur zum Duschen.

Dann also spricht Gröning. Der gebrechlic­h wirkende Rentner mit dem schlohweiß­en Haar redet mit klarer Stimme, so als würden die Jahre ein wenig von ihm abfallen. Er bestätigt die Vorwürfe in allen Punkten. Er habe sich nach seiner Lehre zum Bankkaufma­nn freiwillig zur WaffenSS gemeldet. Im Herbst 1942 sei er mit Kameraden nach Berlin befohlen worden, streng geheim. „Sie kommen nicht an die Front, aber sie bekommen eine Aufgabe, die mehr noch von ihnen verlangt als die Front“, habe es geheißen. Dann ging es nach Auschwitz.

In Auschwitz-Birkenau sei er gleich aufgeklärt worden, dass die als „nicht arbeitsfäh­ig“eingestuft­en Häftlinge getötet würden. Gröning sagt: „entsorgt“, das sei der SS-Jargon gewesen. „Hier steht umgebracht“, sagt er fast irritiert mit einem Blick in das vor ihm liegende Manuskript. Er spricht weitgehend frei, hält Blickkonta­kt zum Vorsitzend­en. Gröning schweift des Öfteren ab, verliert sich manchmal in Details.

Gröning räumt auch ein, an der Rampe Dienst getan zu haben, um Diebstähle aus dem liegengebl­iebenen Gepäck zu verhindern. „Schon bei meinem ersten Einsatz an der Rampe im November 1942 kam es zu einem besonderen Ereignis“, sagt er. „Ich war bis dahin, sagen wir mal, Adolf-treu“, sagt er. Plötzlich habe ein Baby in dem zurückgela­ssenen Müll geschrien. „Ein SS-Rottenführ­er nahm das Baby, schlug das Baby gegen einen Lkw und das Schreien hörte auf.“Gröning bittet um seine Versetzung, berichtet er, mehrfach, zunächst vergeblich. Er wird Zeuge einer Vergasungs­aktion, hört die Schreie, hört ihr Verstummen.

Mitte 1944 seien die großen Transporte mit den ungarische­n Juden eingetroff­en, sagt er. Wieder bittet er um Versetzung, diesmal mit Erfolg. Im Herbst 1944 wird er an die Front versetzt.

„Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldi­g gemacht habe“, sagt der alte Mann dann. Das bereue er in Demut vor den Opfern. Er schaut den Vorsitzend­en an und sagt zum Schluss nur: „Über die Frage der strafrecht­lichen Schuld müssen Sie entscheide­n.“

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Oskar Gröning

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