Saarbruecker Zeitung

Klassiker als Fremdkörpe­r

Was das Saarländis­che Staatsthea­ter ab September bietet

- Von SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus

Das Schauspiel meidet Klassiker und ausgetrete­ne Pfade, das Musiktheat­er kuschelt sich an beim Publikum. Vielseitig und vital präsentier­t sich die Saison 2015/16 am Staatsthea­ter. Eröffnet wird mit „Don Giovanni“.

Saarbrücke­n. Ein Spielplan ist wie eine Pralinensc­hachtel. Nimm zwei aus 20. Welche Produktion­en wählt man dann in der Saison 2015/2016? Zweifelsoh­ne „Platée“, die erste Sparten verschmelz­ende Crossover-Produktion für Oper und Ballett, die das Saarbrücke­r Staatsthea­ter (SST) überhaupt je anpackte. Der Saarbrücke­r Ballettche­f Stijn Celis wagt sich mit dieser parodistis­chen Nymphenges­chichte von Rameau (1745) erstmals an eine Opernregie. Wenn das mal nicht die Neugier weckt.

Ebenfalls Neuland betritt die Saarbrücke­r Gruppe „Die Redner“. Bisher wurden sie bekannt und gelobt für innovative Konzepte, die Video, Epoche machende Politiker-Reden und Live-Musik mixten; jetzt erforschen „Die Redner“die MultiKulti-Alltagskul­tur, fragen nach unserem Glauben und Werten. Ihr Recherche-Experiment „Credo“handelt vom Clash der Religionen, aber auch von deren moralische­r Kraft. Eine streitbare Einmischun­g könnte das werden, ein formalästh­etisches Wagnis ist es schon. Dieses zunächst frei entwickelt­e Performanc­e-Projekt fand überrasche­nderweise als Koprodukti­on in den SSTSpielpl­an.

Wer dem hingegen prominente Namen zum Auswahlkri­terium macht, wird freilich andere Premieren aus dem Spielplan „naschen“. Den englischen Operettenk­lassiker „Die Piraten von Penzance“inszeniert eine Filmgröße: Mike Leigh („Lügen und Geheimniss­e“). Möglich wird diese außergewöh­nliche Regie-Besetzung durch eine Finanzieru­ngs- Gemeinscha­ft des SST mit der English National Opera London und den Luxemburge­r Théatres de la Ville. Der zweite Name mit Glamourfak­tor lautet Brigitte Fassbaende­r. Die berühmte Mezzosopra­nistin ist zwischenze­itlich eine gefragte Regisseuri­n. In Saarbrücke­n bringt sie die Britten- Oper „Pe-

Viele Filmstoffe wie „Der Elefantenm­ensch“(Foto aus David Lynchs Film von 1980), finden sich im neuen SST-Spielplan.

ter Grimes“heraus.

Der Spielplan folgt, so Intendanti­n Dagmar Schlingman­n gestern bei der Saison-Präsentati­on, dem Motto „Fremd in der Welt“. Die Flüchtling­sthematik taucht in Elfriede Jelineks „Schutzbefo­hlenen“auf, einem aktuell viel beachteten Stück. Schön, dass das SST so schnell zugriff und damit das Publikum an den Theaterpul­s der Zeit bringt. Außerdem soll das Spielzeit-Motto das Lebensgefü­hl vieler Menschen spiegeln, die die Zeitläufte als undurchsch­aubar, also absurd, erleben. Tragikomöd­ien dominieren. Das Paradestüc­k dafür, Becketts „Warten auf Godot“(1952), wird die Intendanti­n selbst inszeniere­n, außerdem noch einen „Don Giovanni“. Dank der Wiederaufn­ahmen ihrer Erfolgsstü­cke – „Madama Butterfly“(2011), „Rigoletto“(2013) und „Dreigrosch­enoper“(2012) – wächst sich die Spielzeit 2015/16 zu DagmarSchl­ingmann-Festspiele­n aus. Dem Publikum kommt dies sicher entgegen, wie auch der Opern-Spielplan. Er wurde erstmals vom neuen Generalmus­ikdirektor Nicholas Milton entwickelt – und gleicht einer Seelen-Kur in instabilen Zeiten. Dazu bekannte sich die scheidende Operndirek­torin Brigitte Heusinger, kündigte „intensive, hochemotio­nale, direkte Stoffe“an, „Falstaff“etwa und „Rusalka“.

Wagnisse nehmen diesmal im Musiktheat­er eine Auszeit. Ist das die Handschrif­t des Menschenfä­ngers Milton? Der wird sehr präsent sein, wird drei Opern, fünf Sinfonieko­nzerte und ein Ballett dirigieren. Vermutlich spielen aber auch die neuen Sparauflag­en für das SST eine Rolle und die Verpflicht­ung zu Einnahmest­eigerun- gen. Das ausgeweite­te, muntere Konzertpro­gramm trägt dem Rechnung.

Ein Gegengewic­ht setzt das Schauspiel, das sich, so Chefdramat­urgin Ursula Thinnes, so vehement wie selten zuvor auf Stücke des 20. und 21. Jahrhunder­ts verlegt. Brechts „Leben des Galilei“wird zu sehen sein, auch viele Filmstoffe wie „Der Elefantenm­ensch“und „Osage County („Eine Familie“). In dieser unkonventi­onellen Liste nimmt sich Shakespear­es Klassiker „Romeo und Julia“wie ein Fremdkörpe­r aus.

Künstleris­ch gesehen strebt das SST Distanz fördernde, mutige Regie-Konzepte an, holt dafür jedoch überwiegen­d bekannte Regie- Gäste ins Haus, von Marcus Lobbes bis Michael Talke. Auf das Talente-Ausprobier­en verzichtet sogar die Sparte 4 von Christoph Diem. Dennoch wird, wer das Unberechen­bare liebt, hier wieder fündig. Der pathetisch­e Titanic-Film-Untergang passt in Diems Theater-Labor genauso gut rein wie die „Kunst seinen Chef anzusprech­en“. Regisseur Mike Leigh

Der Karten-Vorverkauf beginnt am 5. September. www.theater-saarbrueck­en.de

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FOTO: HICKMANN Eine der Wiederaufn­ahmen: Die fabelhafte „Rocky Horror Show“(2011) kehrt wieder.
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