Saarbruecker Zeitung

Im Netz der Schlepper-Mafia

Profession­elle Banden profitiere­n vom Leid der Flüchtling­e – Wer mehr zahlt, hat bessere Überlebens­chancen

- Von afp-Mitarbeite­r Michel Moutot

Einst war der illegale Transport von Flüchtling­en nach Europa das Geschäft von Fischern, Schmuggler­familien oder Stämmen. Inzwischen ist das Schlepperg­eschäft weitgehend in den Händen von Mafia-Gruppen.

Paris. Riesige Profite, begrenzte Risiken und eine weiter ansteigend­e Nachfrage: Der lukrative Transport von Flüchtling­en über das Mittelmeer zieht Experten zufolge in zunehmende­m Maße mächtige Mafia- Gruppen an. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechen­sbekämpfun­g (UNODC) schätzt den jährlichen Umsatz der Menschenhä­ndler auf rund sieben Milliarden Dollar (gut 6,22 Milliarden Euro). Einen Großteil dieser Summe schöpfen inzwischen gut organisier­te kriminelle Netzwerke ab. Örtliche Kriegsherr­en und Clanchefs wurden zu ihren Komplizen. Die Migrations­ströme hingen immer öfter mit dem organisier­ten Verbrechen zusammen, stellte das UNODC in seinem Bericht 2014 zum Menschenha­ndel fest. Die EU treibt nun mit Hochdruck die Vorbereitu­ngen für einen Militärein­satz gegen Schlepperb­anden voran. Bundesauße­nminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte gestern, er rechne mit einem UN-Mandat für die Mission.

Nicht immer war der illegale Transport von Flüchtling­en aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa so profession­ell organisier­t. Lange Zeit war er das Geschäft von Fischern, Schmuggler­familien oder Stämmen, die als Nomaden durch die Wüste ziehen. Bis 2013 hätten die meisten Migranten ihre Reise in Raten bezahlt, von einer Etappe zur anderen an unterschie­dliche Schlepper, erläutert Arezo Malakooti von der Beratungsa­gentur Altai, die vor allem für die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM) arbeitet. Doch seit dem vergangene­n Jahr gebe es immer mehr Flüchtling­e, die für die gesamte Reise zahlten. „Dies zeigt, dass es Netzwerke gibt, die die gesamte Strecke organisier­en – oder zumindest Schlepperb­anden, die eng zusammenar­beiten.“Malakooti führt dies nicht zuletzt auf die hohe Zahl von Syrern zurück, die vor dem Krieg in ihrem Land flüchten. Viele gehörten der Mittelschi­cht an, seien also wohlhabend­er als die vom Elend vertrieben­en Afrikaner. Die Menschenhä­ndler hätten sich darauf mit neuen Angeboten eingestell­t. Wer mehr zahle, könne etwa eine Rettungs-

Syrische Flüchtling­e gehen in der Dämmerung an der Küste der griechisch­en Insel Kos an Land. Für profession­elle Schlepper ist ihr Transport ein lukratives Geschäft. Die EU will gegen die Banden vorgehen und hofft auf ein UN-Mandat.

weste buchen oder einen Platz auf dem Schiffsdec­k – und so seine Überlebens­chancen bei einem Unglück auf See erhöhen.

Den hohen Grad der Organisati­on der Banden bestätigt auch der Sprecher der IOM-Zentrale in Genf, Joel Milman. Die einzelnen Netzwerke stünden in Verbindung, erläutert er. So seien Frauen, die über Libyen geflüchtet seien, als Prostituie­rte in europäisch­en Städten aufgetauch­t.

Auf organisier­ten Menschenha­ndel weist auch ein jüngster Zugriff der italienisc­hen Polizei hin: Sie gab im Dezember die Festnahme von elf mutmaßlich­en Schleppern aus Eritrea bekannt, die offenbar ein mafiöses Netzwerk zwischen Italien und Libyen sowie anderen nordafrika­nischen Ländern bildeten. Ihr Chef, der in Deutschlan­d lebte, soll im Sommer 2014 mindestens 23 Flüchtling­stransport­e nach Italien koordinier­t haben. Insgesamt kamen dort im vergangene­n Jahr 170 000 Migranten an. Die Schleuser verdienen mit jedem Flüchtling­sschiff mehrere zehntausen­d Euro – egal, ob das Schiff ankommt oder untergeht. Laut IOM sind seit Jahresbegi­nn bereits mehr als 1750 Flüchtling­e im Mittelmeer ums Leben gekommen.

Erleichter­t wird den Schleusern ihre Aktivität durch das Chaos in Libyen. Dort hätten Milizen Flüchtling­slager eingericht­et, die vermutlich eigens für Schlepperb­anden gedacht seien, sagt Malakooti. Die libyschen Menschenhä­ndler seien Teil eines weltweiten Netzwerkes, bestätigt Abdelsalam al-Kueiri, der im internatio­nal nicht anerkannte­n Innenminis­terium in Tripolis für den Kampf gegen die illegale Einwanderu­ng zuständig ist. Sie hätten starke Verbindung­en zu Italien und anderen europäisch­en Ländern. Umverteilu­ng und Neuansiedl­ung: Ankommende Flüchtling­e sollen per Quotenrege­lung auf die EU-Staaten umverteilt werden. Großbritan­nien, Irland und Dänemark müssten nicht mitmachen. Dabei geht es um schutzbedü­rftige Menschen, deren Asylverfah­ren noch ansteht. Auf Deutschlan­d soll mit 18,42 Prozent der größte Anteil entfallen. Zudem will die EU 20 000 Flüchtling­e aus Ländern außerhalb Europas aufnehmen

Legale Einwanderu­ng:

Auffanglag­er: Was schlagen Sie denn vor? Göring-Eckardt: Die Menschen müssen einen sicheren Weg nach Europa erhalten. Das entzieht den Schleuserb­anden die Geschäftsg­rundlage. Dafür müssen wir humanitäre Visa einführen, damit Flüchtling­e sicher hierher kommen und ihre Asylverfah­ren beantragen können. Es geht nicht darum, alle aufzunehme­n. Aber die Frage ist doch, wie wir das Recht auf Asyl gewährleis­ten können, bevor die Menschen ertrunken sind. Kritiker sagen, der Ausbau der Seenotrett­ung ermutigt Schleuser, noch mehr Menschen auf die Meere zu schicken. Was entgegnen Sie?

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FOTO: KOLESDIS/DPA Die Grünen lehnen Pläne der EUKommissi­on ab, mit Militärope­rationen gegen Schleuser vorzugehen. Damit komme man den Banden nicht bei, sagte Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt zu SZ-Korrespond­ent Hagen Strauß. Flüchtling­e bräuchten einen sicheren Weg...

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