Im Netz der Schlepper-Mafia
Professionelle Banden profitieren vom Leid der Flüchtlinge – Wer mehr zahlt, hat bessere Überlebenschancen
Einst war der illegale Transport von Flüchtlingen nach Europa das Geschäft von Fischern, Schmugglerfamilien oder Stämmen. Inzwischen ist das Schleppergeschäft weitgehend in den Händen von Mafia-Gruppen.
Paris. Riesige Profite, begrenzte Risiken und eine weiter ansteigende Nachfrage: Der lukrative Transport von Flüchtlingen über das Mittelmeer zieht Experten zufolge in zunehmendem Maße mächtige Mafia- Gruppen an. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) schätzt den jährlichen Umsatz der Menschenhändler auf rund sieben Milliarden Dollar (gut 6,22 Milliarden Euro). Einen Großteil dieser Summe schöpfen inzwischen gut organisierte kriminelle Netzwerke ab. Örtliche Kriegsherren und Clanchefs wurden zu ihren Komplizen. Die Migrationsströme hingen immer öfter mit dem organisierten Verbrechen zusammen, stellte das UNODC in seinem Bericht 2014 zum Menschenhandel fest. Die EU treibt nun mit Hochdruck die Vorbereitungen für einen Militäreinsatz gegen Schlepperbanden voran. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte gestern, er rechne mit einem UN-Mandat für die Mission.
Nicht immer war der illegale Transport von Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa so professionell organisiert. Lange Zeit war er das Geschäft von Fischern, Schmugglerfamilien oder Stämmen, die als Nomaden durch die Wüste ziehen. Bis 2013 hätten die meisten Migranten ihre Reise in Raten bezahlt, von einer Etappe zur anderen an unterschiedliche Schlepper, erläutert Arezo Malakooti von der Beratungsagentur Altai, die vor allem für die Internationale Organisation für Migration (IOM) arbeitet. Doch seit dem vergangenen Jahr gebe es immer mehr Flüchtlinge, die für die gesamte Reise zahlten. „Dies zeigt, dass es Netzwerke gibt, die die gesamte Strecke organisieren – oder zumindest Schlepperbanden, die eng zusammenarbeiten.“Malakooti führt dies nicht zuletzt auf die hohe Zahl von Syrern zurück, die vor dem Krieg in ihrem Land flüchten. Viele gehörten der Mittelschicht an, seien also wohlhabender als die vom Elend vertriebenen Afrikaner. Die Menschenhändler hätten sich darauf mit neuen Angeboten eingestellt. Wer mehr zahle, könne etwa eine Rettungs-
Syrische Flüchtlinge gehen in der Dämmerung an der Küste der griechischen Insel Kos an Land. Für professionelle Schlepper ist ihr Transport ein lukratives Geschäft. Die EU will gegen die Banden vorgehen und hofft auf ein UN-Mandat.
weste buchen oder einen Platz auf dem Schiffsdeck – und so seine Überlebenschancen bei einem Unglück auf See erhöhen.
Den hohen Grad der Organisation der Banden bestätigt auch der Sprecher der IOM-Zentrale in Genf, Joel Milman. Die einzelnen Netzwerke stünden in Verbindung, erläutert er. So seien Frauen, die über Libyen geflüchtet seien, als Prostituierte in europäischen Städten aufgetaucht.
Auf organisierten Menschenhandel weist auch ein jüngster Zugriff der italienischen Polizei hin: Sie gab im Dezember die Festnahme von elf mutmaßlichen Schleppern aus Eritrea bekannt, die offenbar ein mafiöses Netzwerk zwischen Italien und Libyen sowie anderen nordafrikanischen Ländern bildeten. Ihr Chef, der in Deutschland lebte, soll im Sommer 2014 mindestens 23 Flüchtlingstransporte nach Italien koordiniert haben. Insgesamt kamen dort im vergangenen Jahr 170 000 Migranten an. Die Schleuser verdienen mit jedem Flüchtlingsschiff mehrere zehntausend Euro – egal, ob das Schiff ankommt oder untergeht. Laut IOM sind seit Jahresbeginn bereits mehr als 1750 Flüchtlinge im Mittelmeer ums Leben gekommen.
Erleichtert wird den Schleusern ihre Aktivität durch das Chaos in Libyen. Dort hätten Milizen Flüchtlingslager eingerichtet, die vermutlich eigens für Schlepperbanden gedacht seien, sagt Malakooti. Die libyschen Menschenhändler seien Teil eines weltweiten Netzwerkes, bestätigt Abdelsalam al-Kueiri, der im international nicht anerkannten Innenministerium in Tripolis für den Kampf gegen die illegale Einwanderung zuständig ist. Sie hätten starke Verbindungen zu Italien und anderen europäischen Ländern. Umverteilung und Neuansiedlung: Ankommende Flüchtlinge sollen per Quotenregelung auf die EU-Staaten umverteilt werden. Großbritannien, Irland und Dänemark müssten nicht mitmachen. Dabei geht es um schutzbedürftige Menschen, deren Asylverfahren noch ansteht. Auf Deutschland soll mit 18,42 Prozent der größte Anteil entfallen. Zudem will die EU 20 000 Flüchtlinge aus Ländern außerhalb Europas aufnehmen
Legale Einwanderung:
Auffanglager: Was schlagen Sie denn vor? Göring-Eckardt: Die Menschen müssen einen sicheren Weg nach Europa erhalten. Das entzieht den Schleuserbanden die Geschäftsgrundlage. Dafür müssen wir humanitäre Visa einführen, damit Flüchtlinge sicher hierher kommen und ihre Asylverfahren beantragen können. Es geht nicht darum, alle aufzunehmen. Aber die Frage ist doch, wie wir das Recht auf Asyl gewährleisten können, bevor die Menschen ertrunken sind. Kritiker sagen, der Ausbau der Seenotrettung ermutigt Schleuser, noch mehr Menschen auf die Meere zu schicken. Was entgegnen Sie?