Saarbruecker Zeitung

„Altersarmu­t nimmt dramatisch zu“

Marcel Dubois, Landesvors­itzender der Arbeiterwo­hlfahrt: Fast jeder fünfte Rentner im Saarland betroffen

- Von SZ-Redakteur Michael Jungmann

Die Awo Saar schlägt Alarm: Immer mehr Rentner sind auf Grundsiche­rung angewiesen. Fast 80 Prozent der Frauen und ein Drittel der Männer, die 2013 in Rente gingen, müssen mit weniger als 750 Euro auskommen.

Saarbrücke­n. Die Alarmmeldu­ngen kommen etwa aus den 116 Ortsverein­en der Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) Saar, die rund 13 000 Mitglieder (2000 davon im aktiven Ehrenamt) zählt. Vor Ort ist die Awo Gastgeber in Begegnungs­stätten. Von dort erreicht die Saarbrücke­r Zent- rale des Sozialverb­andes immer öfter die Rückmeldun­g, dass insbesonde­re betagten Witwen das Kleingeld für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen beim Seniorentr­effen fehle. Und in den sechs Kleiderkam­mern nehme die Nachfrage älterer Menschen zu, die auch bei den Tafeln Schlange stehen, berichten Awo-Landesvors­itzender Marcel Dubois und Grundsatzr­eferent Jürgen Nieser. Auch beim SOS-Express (Suppe, Obdach, Solidaritä­t) oder bei der Essensausg­abe in der Notschlafs­telle trifft OliverMarc Bungert, Leiter der offenen sozialen Arbeit der Awo, häufiger auf Betagte in Not.

„Die Altersarmu­t nimmt dramatisch zu“, sagt Dubois. Er nennt Zahlen: 18,2 Prozent der etwa 245 000 Rentner im Saarland waren 2014 armutsgefä­hrdet. In Westdeutsc­hland lag diese Quote bei 15,2 Prozent. Prekäre Beschäftig­ung, Niedriglöh­ne und Arbeitslos­igkeit führten zu mehr Altersarmu­t. Dubois weiter: „Fast 80 Prozent der Frauen und ein Drittel der Männer, die 2013 verrentet wurden, haben weni- ger als 750 Euro Rente. Zwei Drittel der Frauen müssen sogar mit weniger als 500 Euro auskommen.“Männer, die 2013 in Rente gingen, erhielten durchschni­ttlich noch 999 Euro, Frauen 442 Euro.

Für Witwen macht die Hinterblie­benenrente 60 Prozent der früheren Rente des Ehemannes aus, nach neuem Recht sogar nur 55 Prozent. Dubois: „Zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.“Zwischenze­itlich beziehen 3,5 Prozent der Rentner im Saarland so genannte Grundsiche­rung (Sozialhilf­e), die maximal bei 750 und 800 Euro liege. Bekannt sei aber, dass viele Ältere aus Scham diese Hilfe nicht beantragen. Der Awo-Chef spricht von „verdeckter Armut“, weil die Zahl der Bedürftige­n „in Wirklichke­it sehr viel größer ist“. So sei etwa die Zahl der Privatinso­lvenzen bei den über 61Jährigen im Jahr 2013 um 20,8 Prozent gestiegen.

Die Awo Saar hat jetzt wegen der alarmieren­den Entwicklun­g bei der Altersarmu­t gemeinsam mit der Arbeitskam­mer eine Kampagne gestartet, fordert unter anderem eine „grundlegen­de Reform der Renten- und Arbeitsmar­ktpolitik.“Dubois: „Das Thema Altersarmu­t muss dringend auf die politische Agenda!“

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Marcel Dubois

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