Vaterfigur, Volksheld, Gott
Phänomen Jagr lässt Tschechien bei Eishockey-WM vom Titel träumen
Dieser Mann ist ein Phänomen: Jaromir Jagr drückt mit 43 Jahren der Eishockey-Weltmeisterschaft in seinem Heimatland den Stempel auf. Im Halbfinale soll er Tschechien zum Sieg gegen TopFavorit Kanada führen.
Prag. Jaromir Jagr setzte zu einem gewaltigen Jubelschrei an und breitete beide Arme aus, so als wollte er das ganze Land umarmen. Und irgendwie tat er das dann auch, denn 17 000 euphorisierte Eishockey-Fans in der Prager Arena und Millionen Tschechen vor dem Fernseher drückten ihren Nationalhelden nach dem Einzug ins WM-Halbfinale gedanklich an ihre Brust.
Jagr hat mit einer herausragenden Leistung und zwei Treffern beim 5:3-Viertelfinalsieg gegen Finnland an seinem Legenden- Status gearbeitet. Was der inzwischen 43 Jahre alte Ausnahmespieler bei der WM aufs Eis zaubert, ist phänomenal. Zwei Dinge treiben den „alten Mann“an: „Ich spiele für mein Land, das ich liebe. Und ich liebe dieses Spiel.“
Deswegen will er immer gewinnen, auch im Halbfinale an diesem Samstag (15.15 Uhr/Sport1) gegen den Top-Favoriten Kanada. „Wir können nicht abwarten und zwölf Runden boxen, sondern wir müssen den Knockout gleich in der ersten Runde suchen“, sagte Jagr. Vielleicht erzähle er „nur Blödsinn“, ergänzte er, „aber Kanada ist machbar“.
Und wenn Jagr das sagt, dann glaubt es die Nation. „Er ist hier ein Gott“, sagte der Schweizer Nationalspieler Damien Brunner, der mit dem ersten europäischen NHL-Topscorer bei den New Jer- sey Devils gespielt hat: „Er könnte sogar Staatspräsident werden, wenn er wollte.“Jagr ist politisch interessiert, seine Rückennummer 68 ist eine Reminiszenz an die Revolution des „Prager Frühlings“im Jahr 1968. Durch die Folgen der gewaltsamen Zerschlagung hatte sein Großvater sein Leben gelassen. Doch bei der WM will Jagr nur Eishockey spielen, und das tut er so gut wie vor zehn oder 20 Jahren.
Sechs Turnier-Tore und drei Assists gelangen dem NHL-Star (1802 Scorerpunkte in 1550 Spielen) bislang. Seine perfekte Puckführung auf engstem Raum sei „wie Süßigkeit für die Augen“, findet Bundestrainer Pat Cortina. Jagrs Schwächen in der Defensive machen seine Nebenleute wett. Sie wissen: Wenn sie ein paar Meter mehr laufen, zahlt Jagr es ihnen doppelt zurück.
„Wir haben den besten Spieler der Welt. Die Kanadier glauben, sie haben ihn in Sidney Crosby, aber wir haben Jagr“, sagte Teamkollege Martin Erat. Tschechiens Nationaltrainer Vladimir Ruzicka, der das Eishockey-Idol für die Heim-WM zu einem Rücktritt vom Rücktritt überredet hatte, meinte: „Jagr ist wie ihr Vater.“Erfolge sind nicht mehr seine größte Motivation, er hat bereits alles gewonnen: 1998 bei Olympia, 1991 und 1992 den Stanley Cup, 2005 und 2010 den WMTitel. Er brauche „nicht mehr viel, um ein zufriedener Mensch zu sein“, sagte Jagr. Puck und Schläger gehören aber dazu. sid