Tagebuch eines Traumstrandes
Die spanische Küstenregion Platja Les Deveses wandelt sich in einem Jahr rasant von der Strandidylle zur Touristenhochburg und zurück
Im Hochsommer feiern Urlauber in die Party-Nächte hinein. Das Frühjahr am schönsten Sandkasten der Costa Blanca ist dagegen beschaulich. Besucher können ungestört Strandwanderungen machen oder Surfen gehen.
Deveses. Einsam liegt er da, und nur der Wind schaut vorbei, streichelt über den Sand, sortiert die Körnchen, modelliert manchmal einen neuen Pfad zwischen die Dünen. Ab und zu lassen Böen einen Fetzen Plastikplane im Tiefflug tanzen, spielen mit einem angeschwemmten Stück Tau. Und auf dem Meer jagen Gischtkrönchen heran wie Wellenreiter. Doch eines fehlt in diesem Bild – die vielen Menschen, die sich im Hochsommer hier tummeln und in August-Nächten an den Tresen der Chiringuitos, der Strand-Bars, bis in den nächsten Morgen tanzen und feiern.
Der schönste Sandkasten der spanischen Costa Blanca – Platja Les Deveses – ist über fünf Kilometer lang, zwischen 50 und 100 Meter breit, gen Westen von einem schmalen Dünengürtel gesäumt und erstreckt sich entlang des Küstenortes Deveses.
Im Frühjahr ist es still. Am Himmel ziehen wieder die Segel der Kite-Surfer ihre Bahnen, die sich vom Wind über die Mittelmeerwellen peitschen lassen – und am liebsten nahe der Mündung des Rio Molinell bei den Dünen starten. Und auf dem Dünen- pfad stapft manchmal eine Nonne in schwarzer Kluft mit Klappstuhl unterm Arm barfuß bis ans Wasser. Für die nächsten Stunden macht sie es sich dort gemütlich, ohne irgendein Stückchen Stoff abzulegen. „Im Sommer“sagt sie, „ist es im kühlen Klostergarten schöner.“Aber jetzt, da liebe sie den Strand, den salzigen Geschmack der Luft.
Die ersten Urlauber der neuen Saison spielen dennoch bereits Hochsommer, plantschen im Mai im Wasser, rekeln sich auf den Badelaken im Sand. Die ersten Wirte der Strandrestaurants verbinden ihre Boxen mit dem Stromkreis, lassen Sinatra und Iglesias singen. Traktoren mit schwerem Gerät im Schlepp haben den Sand geharkt. Deveses ist herausgeputzt für den Sommer.
Und endlich, meist so gegen Mitte Juni, wird sie wieder aufgebaut: die Bar mit den hellbraunen Pappmaché-Felsen, den kreisrunden Regalen voller Caipirinha-Flaschen in der Mitte und den zwölf Meter hohen Mörtel-undPlastik-Köpfen im OstserinselStil an den Seiten. Und ganz plötzlich hämmern Bässe aus eben noch verpacken Boxen.
Es dauert nur ein paar Minuten, und die ersten Bar-Hocker sind belegt, die ersten Tische im Sand besetzt, ein paar Caipirin- has serviert. Mit der Tanz-Premiere der neuen Saison aber ist so schnell noch nicht zu rechnen: Dafür muss es dunkel sein, müssen Fackeln im Sand stecken. Und vor allem: Es muss warm sein – TShirt- und Shorts-Wetter die ganze Nacht hindurch. Das ist meistens erst im Juli so weit. Aber dann geht es richtig rund – erfrischendes Bad zwischen zwei Tänzen im mittlerweile knapp 25 Grad warmen Mittelmeer inklusive.
Die nächsten acht Wochen sind nur die Familien schon morgens am Strand. Die jungen Leute kommen fortan erst nach zwei Uhr nachmittags: Tribut an die durchzechten Nächte.
Irgendwann kurz nach dem ersten September-Wochenende ist der große Rummel schlagartig wieder vorbei: Spanien ist wieder bei der Arbeit, und in den Chiringuitos ist nur noch in der Büropause während der mittäglichen Siesta und an den Wochenenden etwas los. Schon Ende des Monats holpert wieder ein Kleinlaster über die schmalen Fahrwege bis an den Dünenrand: Fässer mitnehmen, Gläser einladen, Chiringuitos abbauen.
Im Oktober wird die Nonne noch das eine oder andere Mal mit ihrem Klappstuhl auftauchen, aufs Meer schauen, sinnie- ren, lesen. Die Temperaturen sind angenehm, tagsüber gut und gerne noch über zwanzig Grad. „Ich bin hier, weil wir im Klostergarten keine Wellen haben und die Luft dort nicht nach Salz schmeckt“, wird sie sagen. Ein paar hundert Meter weiter werden auch die Boxen der Restaurant-Terrasse aus ihren Halterungen geschraubt. Deveses versinkt im Winterschlaf, bekommt allenfalls Besuch von Strandwanderern, von ein paar Hunden, die ungestört durch den Wind toben. Wieder tanzen kleine Körnchen in der Luft, spielt das Meer mit Bojen, die es anschwemmt und wieder mitnimmt.